VORWORT
Das römische Kaiserreich von Augustus bis Marc Aurel bescherte der Mittelmeerwelt und Europa eine lange Friedenszeit sowie eine wirtschaftliche und kulturelle Blüte. Welche Dynastie regierte eigentlich in dieser Zeit in China? Und was passierte dort? Gab es schon die Große Mauer und die Seidenstraße?
Jeder weiß, dass die Kreuzfahrer gegen Sultan Saladin kämpften. Aber wie sah die arabisch-islamische Welt des Mittelalters »hinter« den Kreuzfahrerstaaten aus? Und was genau ist ein »Sultan«? Und ein »Kalif«? Wann begannen die Maya, ihre Tempel zu bauen, und woher kamen die Azteken? Was geschah in Russland, als Luther die Reformation ins Rollen brachte, und wie und wann verleibten die Engländer Indien ihrem Kolonialreich ein?
Wir leben heute in einer globalisierten Welt, ja in einem »globalen Dorf«, doch es fällt uns schwer, einen einzigen chinesischen Kaiser mit Namen zu nennen. Aber die Sache wird anschaulich und überaus interessant, wenn wir die eigene, deutsche und europäische Geschichte betrachten und erfahren, was gleichzeitig »in der Welt los war«. Diesen Überblick möchte dieses Buch geben.
Natürlich kann man nicht alle Ereignisse der Weltgeschichte auf 440 Seiten zwischen zwei Buchdeckel pressen. Allein über Cäsar, Bismarck, Richelieu gibt es mehrbändige Biografien. Es gibt 120-seitige Werke zur »Geschichte Chinas« (die über 5000 Jahre währte), genauso wie es 1000-seitige Werke über den Ersten Weltkrieg gibt (der nur vier Jahre lang dauerte).
Es gab einmal eine Zeit, da waren Geschichtsbücher mehr oder weniger »Chroniken«. In diesem Buch möchte ich zwar keineswegs auf die aus der Schule gefürchteten Jahreszahlen verzichten. Geschichte ist sozusagen von Natur aus chronologisch. Aber Zahlen sind eben sehr abstrakt und dienen immer nur als Gerüst. Ich gehe lieber vom einzelnen Begriff oder Schlagwort aus. Welches konkrete historische Geschehen verbindet sich mit einem Wort wie »Canossa« oder »Gegenreformation« oder »Mogul-Reich«? Seit wann spricht man in Tibet vom »Dalai Lama«? Die Stichworte bilden Themen, die man leicht überschauen kann. Und wenn es auf der »Zeitachse« in einer anderen Weltgegend interessant wird, wechselt eben der Schauplatz. Weil man es in einem Buch nur auf hintereinander folgenden Seiten darstellen kann, ergeben sich dadurch manchmal kleinere zeitliche Vor- und Rücksprünge.
Gleichwohl lässt sich die Weltgeschichte auf diese Weise leichter im globalen Überblick erfassen. Und so werden weltgeschichtliche Zusammenhänge verständlich, die man bisher kaum so gesehen hat. Denn Dschingis Khan richtete mit seinem Mongolensturm weit mehr an, als ein paar polnische und russische Ritter in Aufruhr zu versetzen. Und dass Iran heute ein schiitisch-fundamentalistischer »Gottesstaat« ist, hat weit zurückliegende, aber ganz konkrete Gründe in der Geschichte Persiens. Und auch die jüngste, globale Finanzmarktkrise ist nicht vom Himmel gefallen.
Mein ganz herzlicher Dank gilt an dieser Stelle den kritischen Begleitern dieses Manuskripts, Frau Ilse Koch und Frau Barbara Werner van Benthem, die mit wertvollen Hinweisen unermüdlich dazu beigetragen haben, die gewaltige Stoffmasse zu zähmen. Mein Dank geht auch an den Eichborn Verlag, der mich in sehr entgegenkommender Weise bei der Entstehung des Buches unterstützt hat.
April 2010
WS
MIT STEINEN FING ALLES AN
ca. 2,7 Millionen bis 2600 v. Chr.
Als der dänische Historiker Christian Jürgensen Thomsen (1788–1865) die Leitung des Nordischen Museums in Kopenhagen übernahm und die Sammlungen neu ordnete, fiel ihm etwas auf: Die Fundgegenstände waren überwiegend aus Stein, Bronze und Eisen gefertigt und in genau dieser zeitlichen Abfolge entstanden. Die Einteilung der frühen Menschheitsgeschichte (in erster Linie Europas) in Steinzeit, Bronzezeit und Eisenzeit stammt von Thomsen.
EISZEIT Der Gedanke, die Alpengletscher könnten früher einmal eine viel größere Ausdehnung gehabt haben, entstand um 1820 unter Schweizer Naturgelehrten. Der badische Privatgelehrte Karl Friedrich Schimper (1803–1867) entwickelte daraus um 1835 in seinen Münchener Vorträgen über Weltsommer und Weltwinter eine Theorie der Klimaschwankungen – damals eine außerordentlich kühne Idee.
Schimper hatte Findlinge, also Gesteinsbrocken, die offensichtlich nicht aus der Gegend stammten, in der sie lagen, sowie Schleifspuren im Schweizer Jura untersucht. 1837 verfasste er eine Ode (!) mit dem Titel Über die Eiszeit. Dies ist die Taufurkunde des Wortes »Eiszeit«. Schimper schrieb nie ein systematisches Werk über seine Entdeckungen und blieb daher weitgehend unbeachtet. Ein befreundeter Kollege, der Schweizer Louis Agassiz, verstand seine Ideen am besten und propagierte sie mit mehr Erfolg.
2,7 Millionen v. Chr.
PLEISTOZÄN Die Ursachen jener landschaftsprägenden Vereisungen sind bis heute ungeklärt. Klar ist nur, dass sie vor etwa 2,7 Millionen Jahren einsetzten und das Klima seitdem in Zeiträumen von einigen zehntausend bis zu hunderttausend Jahren stark schwankte. Von »der« Eiszeit im Rahmen der frühen Erdgeschichte zu sprechen, wäre also irreführend, zumal es zwischen den Eiszeiten immer wieder beachtliche Wärmeperioden gab. Diese Periode der Erdgeschichte wird Pleistozän genannt. In der letzten Phase, von ca. 100000 bis 10000 v. Chr., waren die Klimaschwankungen geradezu dramatisch. Vor 20000 Jahren reichte das Eis bis 50 Kilometer südlich von Berlin. Nach 5000 Jahren war »Berlin« wieder eisfrei, noch einmal vier- bis fünftausend Jahre später auch die Ostseeküste.
2,5 Millionen v. Chr.
ALTSTEINZEIT Die Altsteinzeit datiert man auf etwa 2,5 Millionen Jahre, als frühe Hominiden wie Homo habilis und Homo ergaster in Afrika erste Steinwerkzeuge herstellten, bis zum Sesshaftwerden der Jäger und Sammler in der Jungsteinzeit vor 10000 bis 12000 Jahren. Sesshaftigkeit ist demnach relativ neu. Die Faustkeile aus Stein sind das charakteristischste Werkzeug jener Hominiden. Oft erkennt der geübte Blick des Archäologen nur noch daran das Vorkommen von Menschen. Knochenfunde sind eher selten.
500000–30000 v. Chr.
NEANDERTALER Der Mensch aus dem Neandertal bei Düsseldorf stammt etwa aus der Zeit um 42000 v. Chr. Seine Knochenreste entdeckte 1856 der Elberfelder Lehrer Carl Fuhltrott, der ihn sofort als »Urmensch«-Typus erkannte, was die damalige »Fachwelt« jedoch zunächst nicht akzeptierte.
Im sogenannten mittleren Pleistozän schweiften die Neandertaler durch riesige Gebiete von Südrussland, Ostanatolien und dem Nahen Osten bis nach Portugal. Trotz dieses enormen Verbreitungsgebietes lebten wohl immer nur höchstens 10000 Neandertaler gleichzeitig. Und sie lebten natürlich nur in den südlichen Breiten Europas – südlich des 50. Breitengrades (Mainlinie). Nördlich davon war ja alles vergletschert. So ist das Neandertal eine der nördlichsten Fundstellen überhaupt.
Die ältesten Funde sind rund 125000 Jahre alt; man schätzt das Alter dieses Homo aber wesentlich höher ein – auf bis zu 500000 Jahre. Neandertaler beherrschten den Umgang mit dem Feuer, sie fertigten Speere und Faustkeile und wechselten häufig den Lagerplatz, um die natürlichen Ressourcen optimal zu nutzen. Mittlerweile kennt man Hunderte von Neandertaler-Lagerplätzen »im Freien«. Die Vorstellung, sie hätten ebenso wie die ihnen folgenden Cro-Magnon-Menschen in Höhlen gehaust, entstand, weil sich die Fundrelikte in Höhlen wesentlich besser erhalten haben.
Die Archäologie teilt die mittlere Steinzeit in mehrere Perioden, die alle nach Fundorten in Südwestfrankreich benannt sind. Die älteste ist das Mousterién (ca. 120000–40000). Es fällt erdgeschichtlich in die letzte, die Würm-Eiszeit. Möglicherweise gab es in dieser Periode einige tausend Jahre lang ein Nebeneinander von Neandertaler und Cro-Magnon-Mensch. Die Cro-Magnon gehören in das Aurignacien (40000–30000 v. Chr.).