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1985

GLASNOST UND PERESTROIKA    Am 11. März 1985 ernannte die sowjetische Führung Michail Gorbatschow zum neuen Generalsekretär der Kommunistischen Partei. Der Führungszirkel im Kreml entschied sich damit für einen Reformer. Man war sich darüber im Klaren, dass die Sowjetunion in der Ära des Parteichefs Leonid Breschnew von 1964 bis 1982 erstarrt war und durchgreifend erneuert werden musste, um im Systemwettbewerb mit den USA nicht noch weiter ins Hintertreffen zu geraten. Der neue Mann mit dem »Biss aus Stahl« sollte den Umbau bewältigen. Gorbatschow setzte Uskorenije, Perestroika und Glasnost auf die politische Agenda. Von Uskorenije, der Beschleunigung der wirtschaftlichen Entwicklung, hat man seitdem nichts mehr gehört. Die ungeheuren Ressourcen, die das Wettrüsten verschlang, fehlten bei der Versorgung der Bevölkerung. Gorbatschow wollte die Planwirtschaft dezentralisieren und den Betriebsleitern mehr Entscheidungsbefugnisse einräumen. Das war mit Perestroika (»Umbau«) gemeint. Begleitet werden sollte der Prozess im Innern von einer Lockerung der Zensur. Glas bedeutet »Stimme, Sprechen«, gemeint war mit Glasnost die »Transparenz«, die Rede- und Meinungsfreiheit.

Was danach geschah: Im Anschluss an den KSZE-Prozess und wegen der wirtschaftlichen Schwäche der Sowjetunion verzichtete Gorbatschow in der Außenpolitik stillschweigend auf die Anwendung der Breschnew-Doktrin und verständigte sich mit den USA über einen Gewaltverzicht in Mitteleuropa. Dieser Gewaltverzicht und die Einsicht, dass die Sowjetunion niemals in der Lage gewesen wäre, eine bankrotte DDR durchzufüttern, bildete den Hintergrund für die – aus sowjetischer Sicht – »Preisgabe« der DDR, als dort der Wunsch nach Wiedervereinigung unüberhörbar laut wurde – und für den friedlichen Verlauf dieser deutschen Revolution im Herbst 1989.

August 1989

PANEUROPÄISCHES PICKNICK    Die von Coudenhove-Kalergi gegründete Paneuropa-Union veranstaltete nahe der ungarischen Stadt Sopron am 19. August 1989 ein Treffen, bei dem vom ungarischen Außenminister Gyula Horn und dem österreichischen Außenminister Alois Mock der Stacheldrahtzaun zwischen der Grenze durchschnitten wurde, was vielen Bürgern der DDR die gefahrlose Ausreise in den Westen ermöglichte. Das Paneuropäische Picknick bildete den Auftakt zu den Ereignissen, die am 9. November des gleichen Jahres im Mauerfall in Berlin ihren historischen Höhepunkt erreichten.

Ebenfalls seit dem 19. August kampierten 120 DDR-Bürger auf dem Gelände der westdeutschen Botschaft in Prag, täglich kletterten dort Dutzende weitere über den Zaun. Seit September blieb die Grenze von Österreich und Ungarn dauerhaft offen. Auf diesem Weg flohen viele DDR-Bürger in den Westen.

November 1989

MAUERFALL    Vom Picknick bis zur Epochenwende des Mauerfalls vergingen nicht einmal drei Monate. Die Montagsdemonstrationen in Leipzig begannen am 4. September. Der massive Exodus von Sopron und Prag verstärkte den Druck dermaßen, dass der deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher am 30. September die Ausreise der mittlerweile über 5000 Menschen in der Prager Botschaft verkünden konnte. Nun wurden die Montagsdemonstrationen zu Großveranstaltungen, die live in der westdeutschen Tagesschau übertragen wurden. »Wir sind das Volk!« und »Keine Gewalt!« waren die wichtigsten Losungen einer der erfolgreichsten und friedlichsten Revolutionen aller Zeiten.

Bei den Feiern zum 40. Jahrestag der DDR am 7. Oktober sagte Michail Gorbatschow zu Erich Honecker auf Russisch in etwa: »Schwierigkeiten lauern auf den, der nicht auf das Leben reagiert«, was auf Deutsch mit »Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben« übersetzt wurde. Honecker wurde am 18. Oktober von seinem eigenen Politbüro zum Rücktritt gezwungen. Am gleichen Tag verkündete sein Nachfolger Egon Krenz eine »Wende«, um »die politische und ideologische Offensive wiederzuerlangen«. Aber die Wende kam bald anders, als von ihm gedacht. Am Abend des 9. November verhaspelte sich der schlecht informierte ZK-Pressesprecher Günter Schabowski bei der Bekanntgabe über Vorbereitungen zu einem neuen Reisegesetz der DDR vor der internationalen Presse: »Das tritt nach meiner Kenntnis … ist das sofort, unverzüglich.«

Der Rest ist Geschichte.

WIEDERVEREINIGUNG UND ZERFALL    Aus der demokratischen Forderung nach politischer Mitsprache »Wir sind das Volk!« wurde nun die nationale Forderung nach Vereinigung der beiden deutschen Staaten: »Wir sind ein Volk!« Um die Aufbruch- und Wendestimmung für die notwendigen internationalen Verhandlungen nutzen zu können, handelte die Regierung der Bundesrepublik dementsprechend. Anlässlich der Einführung der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion am 1. Juli 1990 versprach Kanzler Helmut Kohl die »blühenden Landschaften«. Nach internationalen Verhandlungen erlangte Deutschland die Zustimmung der ehemaligen Alliierten für den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes am 3. Oktober 1991: Das waren die Einheit und die volle Souveränität. Mindestens genauso gravierend wie für Deutschland waren die Folgen der Wende auch in Ost- und Südosteuropa, bis nach Zentralasien. Die Sowjetunion hörte am 21. Dezember 1991 auf zu existieren. Ebenso der Warschauer Pakt (1. Juli 1991). Sozusagen als Ersatz war die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) gegründet worden, die aber rasch an Bedeutung verlor. Viele ihrer Mitgliedsländer von Armenien bis Ukraine und Usbekistan gingen eigene Wege und suchten sich der Dominanz Moskaus zu entziehen. In Georgien führte die Rosenrevolution von 2003 zur Ablösung von Präsident Eduard Schewardnadse, zu einer ähnlichen Veränderung kam es durch die Tulpenrevolution in Kirgisistan 2004 und durch die Orangene Revolution 2004 in der Ukraine. 2010 wurde der damals von Wladimir Juschtschenko – auf den der russische Geheimdienst kurz vor seiner Wahl ein Giftattentat ausgeführt hatte – und Julia Timoschenko abgelöste Regierungschef Janukowytsch erneut gewählt.

Fast völlig geräuschlos entstanden auf dem Gebiet der ehemaligen Tschechoslowakei durch Parlamentsbeschluss zum Ende des Jahres 1992 zwei unabhängige Staaten: die Tschechische Republik und die Slowakische Republik – eine späte Revision der englisch-französischen Friedenskunst von Versailles. Umso geräuschvoller vollzog sich ab 1991 der Zerfall Jugoslawiens.

SCHLACHTFELDER DER GEGENWART

Nach dem Tod Titos 1980, der Jugoslawien 35 Jahre lang regiert hatte, blieb das Land trotz einiger Unruhe noch geeint. Seit 1987 zeichnete sich dann Slobodan Miloševic´ als neuer starker Mann ab, der 1988 Präsident einer Teilrepublik Serbien wurde und nach der Vereinigung Serbiens mit Montenegro als jugoslawischer Bundespräsident amtierte. Miloševic´ führte die gewaltsame Kriegs-, Terror- und Vertreibungspolitik der Serben gegen die anderen Völker des ehemaligen Jugoslawien, vor allem gegen Kroaten, Bosnier und Kosovo-Albaner. All diese Völker waren miteinander verfeindet, lebten und leben in teilweise enger räumlicher Nachbarschaft. Und alle sind sehr gewaltbereit.

1991–1999

BALKANKRIEGE    Im Juni 1991 proklamierten die Teilrepubliken Slowenien und Kroatien als erste jugoslawische Nachfolgestaaten ihre Unabhängigkeit. Zwischen Serben und Kroaten begann 1991 ein lang anhaltender Krieg, zunächst mit Kämpfen um Vukovar und Dubrovnik. Seit 1992 war auch die UNO involviert. Trotz vielseitiger internationaler Anerkennung Kroatiens zog sich der Krieg bis Dezember 1995 (Abkommen von Dayton). Auf beiden Seiten flohen Hunderttausende von Kroaten und Serben oder sie wurden vertrieben.

Anfang 1992 entbrannte der Kampf um Bosnien, ein Vielvölkerstaat im Vielvölkerstaat. Hier proklamierten die Serben im Januar eine Serbische Republik Bosnien-Herzegowina, im März verkündeten die bosnischen Kroaten und die (muslimischen) Bosniaken ein unabhängiges Bosnien-Herzegowina. Heftig umkämpft war in diesem von April 1992 bis Dezember 1995 dauernden Teilkrieg des jugoslawischen Nachfolgekrieges die bosnische Hauptstadt Sarajewo, die von bosnischen Serben fast 1500 Tage lang belagert wurde. Im Juli 1995 schlachteten die serbischen Truppen von Präsident Radovan Karadžic´ in Srebrenica bis zu 8000 Bosniaken ab.