Bereits 1989 hatte das serbisch dominierte Parlament in Belgrad die bis dahin laut jugoslawischer Bundesverfassung bestehende Autonomie des überwiegend von Albanern bewohnten Kosovo (Amselfeld) aufgehoben. Seit Mitte der Neunzigerjahre führte die Befreiungsarmee des Kosovo UÇK Krieg gegen die serbisch-jugoslawische Armee und Polizei. Die serbische Regierung unter Präsident Miloševic´ bekriegte die UÇK und die albanische Zivilbevölkerung mit so brutaler Gewalt, dass die NATO unter Führung der USA (Regierung Clinton) und mit deutscher Beteiligung (Regierung Schröder/Fischer) von Ende März bis Anfang Juni 1999 gegen die Serben vorging, zum Schluss mit weit über 1000 Kampfflugzeugen. Anschließend sicherten internationale KFOR (Kosovo-Force)-Truppen mit einem Mandat der UNO das Kosovo. Es erklärte sich 2008 für unabhängig. Die während des Balkankrieges begangenen Massaker sind heute Gegenstand des Haager Kriegsverbrechertribunals.
1991
DIE MUTTER ALLER SCHLACHTEN 1990 besetzte der irakische Diktator Saddam Hussein (Regierungszeit 1979–2003) das benachbarte Ölscheichtum Kuwait und drohte den USA in einer Radioansprache für den Fall einer militärischen Gegenaktion zur Befreiung Kuwaits mit der »Mutter aller Schlachten«. Er verstand seine Gegenwehr als Beginn epochaler Auseinandersetzungen zwischen dem Islam und dem Westen. Die USA begannen unbeeindruckt davon am 17. Januar 1991 mit einer Teilinvasion Iraks im Zweiten Golfkrieg (Operation Wüstensturm). Nach einem Monat war Kuwait befreit, und Irak willigte in einen Waffenstillstand ein. So endete vorläufig die »Mutter aller Schlachten« – bis 2003 der Dritte Golfkrieg mit Unterstützung der »Koalition der Willigen« vom Zaun gebrochen wurde.
Zu den »Willigen« zählten die nach dem Mauerfall neu in die NATO aufgenommenen baltischen und osteuropäischen Staaten, die vom amerikanischen Verteidigungsminister Rumsfeld als das »neue Europa« gelobt wurden. Länder aus dem »alten Europa« wie Frankreich und Deutschland nahmen an dem unter vorgeschobenen Gründen vom Zaun gebrochenen neuen Krieg nicht teil. Um das militärische Eingreifen zu rechtfertigen, behauptete US-Außenminister Colin Powell am 5. Februar in einer Rede vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen: »Alles, was ich heute sage, ist von Quellen gedeckt, soliden Quellen.« Das bezog sich vor allem auf die Behauptung, Saddam Hussein verfüge über biologische und chemische Massenvernichtungswaffen – eine reine Erfindung der CIA. Die amerikanische Regierung glaubte – oder ließ jedenfalls verbreiten –, die Iraker würden die Soldaten und ihre Alliierten wie Befreier begrüßen. »Befreit« wurde lediglich Saddam Hussein, der sich in einem Erdloch versteckte. Er wurde 2006 von einem Kriegsverbrechertribunal in Bagdad verurteilt und gehängt.
11. SEPTEMBER 2001 Einzig die »lokalen« Konflikte am Persischen Golf und auf dem Balkan trübten die vergleichsweise euphorische Weltstimmung der Neunzigerjahre, als man nach dem Ende des Kalten Krieges schon das »Ende der Geschichte« nahe wähnte, selbst ehemalige erzkommunistische und erzsozialistische Staaten wie China und Indien mit ihrer ständig steigenden Nachfrage die Weltwirtschaft belebten und extrem liberalisierte Finanzmärkte in London und New York anscheinend unbemerkt von Aufsichtsbehörden und Medien ein immer größeres Rad der gegenseitigen Verschuldung drehten.
Dann fiel der entsetzliche Schatten zweier Flugzeuge auf die Türme des World Trade Centers, die innerhalb weniger Stunden zerbarsten und über 3000 Opfer unter sich begruben. Der scheinbare Sieger des Kalten Krieges war aus buchstäblich heiterem Himmel ins Herz getroffen. Seitdem herrscht ein neuer »asymmetrischer« Weltkrieg, der jedermann zu jeder Zeit an jedem Ort treffen kann, wie kurz vor der Fertigstellung dieses Buches der Anschlag vom 29. März 2010 auf die Moskauer U-Bahn an den Haltestellen Lubjanka und Kulturpark gezeigt hat.
9/11 machte das Schlagwort vom »Asymmetrischen Krieg« zum geläufigen politischen Begriff: Asymmetrie von oben durch das Einsetzen überlegener militärischer Mittel der Großmächte gegen von vornherein unterlegene Staaten oder Völker. Asymmetrie von unten durch »terroristische Gegenanschläge«.
1978
MUDSCHAHEDDIN »Afghanistan« wird erst seit Beginn des 20. Jahrhunderts als Staatsbezeichnung verwendet. Das Land am Hindukusch war immer Randzone Persiens, Indiens und Zentralasiens, Durchgangsland am Khaiber-Pass von Ost nach West oder für turkmongolische Invasoren von Nord nach Süd, seit jeher Schauplatz der Interessen der Großmächte. Dementsprechend groß ist seine strategische Bedeutung und es stand fast immer unter Fremdherrschaft. Die wichtigsten Stammesgruppen, die Paschtunen, vermochten zwar durch Aufstände die jeweils Herrschenden in Atem zu halten, konsolidierten aber kein autonomes Machtzentrum. Daran war auch nicht zu denken, als im 19. Jahrhundert und bis zum Ende des Ersten Weltkrieges hier im Great Game die Interessensphären des Zarenreiches und des Britischen Empires aufeinanderstießen: Russland drängte zum Indischen Ozean, Großbritannien wollte genau dies verhindern. Durch die Oktoberrevolution von 1917 schied Russland aus diesem großen geostrategischen Machtspiel vorläufig aus. Seit 1919 gab es ein paschtunisches (konstitutionelles) Königreich von britischen Gnaden als Puffer zu Russland. Noch in den 1970er Jahren konnten unternehmungslustige Hippies aus Westeuropa über den malerischen Khaiber-Pass zu ihren Gurus nach Indien pilgern und sich unterwegs mit preiswertem »Afghan« eindecken.
Der letzte Paschtunen-König Sahir Schah wurde 1973 in Afghanistan gestürzt (und kehrte erst nach der Zerschlagung des Taliban-Regimes in hohem Alter aus dem Exil zurück). 1978 übernahm die Kommunistische Partei die Macht. Sie versuchte ähnliche weltliche und soziale Reformen durchzusetzen wie seinerzeit der Schah in Persien. Dagegen wehrte sich die einheimische Bevölkerung in lose organisierten Mudschaheddin-Kampfgruppen. Das Wort »Mudschaheddin« hängt zusammen mit »Dschihad«. Diese »heiligen Krieger« führten gegen die 1979 einmarschierten sowjetischen Truppen einen zehnjährigen verlustreichen Guerillakrieg. Wegen dieses Einmarsches wurden die Olympischen Spiele in Moskau 1980 von vielen Staaten boykottiert. Die Mudschaheddin wurden über Pakistan von den USA und Saudi-Arabien mit Waffen unterstützt und ausgebildet. Erst Michail Gorbatschow leitete den Abzug der sowjetischen Truppen ein, die 1989 ein zerstörtes, innerlich verfeindetes Land im Chaos hinterließen.
TALIBAN heißt: »Schüler«. Gemeint sind Schüler von Koranschulen (Madrassas), die von paschtunischen Stammesangehörigen im afghanischen Kandahar-Gebiet besucht wurden. Zunächst wurden diese Gruppen im pakistanischen und amerikanischen Interesse eingesetzt, um die Sicherheit auf den Straßen in Afghanistan zu gewährleisten. Seit der Zeit des Abwehrkampfes gegen die Sowjets herrschte wegen des Treibens von Banditen und Stammeshäuptlingen weitgehend Anarchie in Afghanistan. Nach dem Abzug der Sowjets folgte ein Bürgerkrieg zwischen den verschiedenen Mudschaheddin-Gruppen, aus denen Mitte der Neunziger die Taliban als Sieger hervorgingen, die seit 1996 auch Kabul kontrollierten. Unter ihrem Anführer Mohammed (»Mullah«) Omar errichteten sie das Islamische Emirat Afghanistan und kontrollierten den größten Teil des Landes. Sie werden vor allem von den armen Bevölkerungsschichten unterstützt und hängen einem strenggläubigen Wahabismus an, einer fundamentalistischen islamischen Glaubensrichtung, die sich auf den Wortlaut des Korans beruft. Mullah Omar bot wohl auch dem al-Qaida-Führer Osama bin Laden »Asyl«. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 griffen die USA auf der Grundlage einer UN-Resolution noch im Herbst des gleichen Jahres militärisch in Afghanistan ein und vertrieben die Taliban. Auch Deutschland beteiligt sich heute neben anderen NATO-Staaten an dem Einsatz der International Security Assistance Force (ISAF, »Internationale Unterstützungstruppe zur Gewährleistung der Sicherheit«). Seitdem wird auch die Sicherheit Deutschlands, wie 2004 der damalige deutsche Verteidigungsminister Peter Struck sagte, »nicht nur, aber auch am Hindukusch verteidigt«. Bisher sind bei diesem Einsatz 1267 Soldaten gefallen, davon 751 Amerikaner und 43 Deutsche (18. April 2010). Deren Zahl erhöht sich laufend.