In der Amarna-Zeit waren die traditionellen Kulte keineswegs verboten, sie wurden nur nicht mehr am Pharaonen-Hof bevorzugt. Das ägyptische Volk aber konnte dem Pharao auf seinen spirituellen Höhenflügen nicht folgen, sondern tanzte weiter lieber um seine goldenen Kälber, Stiere, Widder und Schakale. Umstritten ist, ob Echnaton als »Ketzerkönig« jene Andersgläubigen verfolgen und die Tempel schließen ließ.
NOFRETETE IN AMARNA Echnaton strebte nicht nur einen neuen Kult, sondern eine umfassende Reichsreform an, bei der der Erbadel zugunsten eines Dienstadels entmachtet werden sollte. Um dem Einfluss Thebens zu entgehen, ließ er in wenigen Jahren Bauzeit eine riesige Residenzstadt aus dem Wüstenboden stampfen. Amarna, heute: Tell-el-Amarna, lag auf halbem Weg zwischen Theben und Memphis. Die Stadt hieß eigentlich Achet-Aton (»Horizont des Aton«).
Die Amarna-Kunst von Achet-Aton ist weniger statisch-idealisierend als die sonstige ägyptische Kunst. Berühmte Reliefs zeigen das Pharaonenpaar in hauchdünne Gewänder gehüllt beim Spiel mit den eigenen Kindern. Echnatons Gattin Nofretete (»die Schöne ist gekommen«) spielte eine herausragende Rolle in der Regentschaft.
Nofretetes Kalksteinbüste wird in Berlin aufbewahrt, seit kurzer Zeit im wiederaufgebauten Neuen Museum. Gefunden wurde die Büste 1912 bei Ausgrabungen der Deutschen Orient-Gesellschaft im Schutt eines Lehmziegelhauses in Amarna. Nicht zuletzt wegen dieser Büste ist Nofretete eine der berühmtesten Frauen der Weltgeschichte – und eine der schönsten.
Was danach geschah: Nach dem Ende der Herrschaft Echnatons und Nofretetes übernahm die Amun-Priesterschaft wieder das Regiment und verlegte die Hauptstadt zurück nach Theben. Jegliche Erinnerung an Echnaton wurde getilgt, sein Name in Inschriften gelöscht. Trotz dieser Zerstörungen ist Amarna heute eine der besterhaltenen altägyptischen Städte, eben weil sie in Vergessenheit geriet. Sie wurde erst durch die napoleonischen Truppen wiederentdeckt.
1333–1323 v. Chr.
TUTENCHAMUN Unter Echnatons Sohn Tutenchamun (er regierte 1333 bis 1323 v. Chr.) wurde der traditionelle Reichskult des Amun-Re umgehend wiederhergestellt. Sein Name bedeutet: »Lebendes Abbild des Amun«. Eine archäologische Sensation – die Auffindung seines beinahe unversehrten Grabes 1922 durch Howard Carter – machte den eigentlich unbedeutenden, jung verstorbenen König zu einer der berühmtesten Gestalten der ägyptischen Geschichte. Kurz nach Tutenchamun endete die 18. Dynastie.
ab 1300 v. Chr.
RAMSESSIDEN Mit Ramses I. beginnt um 1300 v. Chr. die 19. Dynastie und damit der letzte Höhepunkt des pharaonischen Ägypten. Die meisten Pharaonen tragen nun den Namen Ramses, ägyptisch Ramesesu (»Re hat ihn geboren«). Innenpolitisch sind Ramses I. und Sethos I. vor allem noch damit beschäftigt, die Erinnerung an Echnaton auszulöschen. In die Herrschaftszeit von Sethos I. fällt der Bau der großen Säulenhalle im Tempel von Karnak und sein gewaltiger Totentempel in Abydos. Sethos war der Vater von Ramses II. Etwa die Hälfte aller erhaltenen altägyptischen Bauwerke stammt aus der Zeit dieser beiden Pharaonen.
Ramses II. herrschte ungefähr von 1290 bis 1220 v. Chr. Gleich zu Beginn seiner langen Regierungszeit bestritt er um 1275 v. Chr. die Schlacht von Kadesch gegen die Hethiter, in der die Ägypter nur knapp einer Niederlage entgingen. Daraufhin schwenkte Ramses bewusst auf eine Friedenspolitik ein und ließ auf allen größeren Tempeln Darstellungen anbringen, wie er die übermächtigen Feinde besiegte. »Kadesch« war in Ägypten allgegenwärtig, und Ramses präsentierte sich als Hüter und Verteidiger der Weltordnung. Das berühmteste Bauwerk jener Epoche ist der Felsentempel von Abu Simbel (altägyptisch Ibschek), der in den Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts wegen des Baus des Assuan-Staudamms 64 Meter höher gelegt wurde.
Bereits zur nachfolgenden 20. Dynastie gehörte Ramses III. (ca. 1190–1150 v. Chr.). In dessen Regierungszeit fielen die Seevölker in den gesamten Ostmittelmeerraum ein, was letztlich für Ägypten den Verlust seiner Großmachtstellung bedeutete.
um 1200 v. Chr.
SEEVÖLKERSTURM Die Heimsuchung durch die »Seevölker« um 1200 v. Chr. ist das einschneidendste Ereignis der altantiken Geschichte. Auch Ägypten ist davon betroffen. Weil man aber nicht weiß, wer diese Seevölker eigentlich waren, handelt es sich auch um eines der umstrittensten Ereignisse. Klar ist nur, dass sämtliche Küsten rund um das Ostmittelmeer aufs Stärkste in Mitleidenschaft gezogen wurden: Troja erlebte eine verheerende Zerstörung. Diese gilt als der »historische Hintergrund« der Sage vom Trojanischen Krieg. Die bronzezeitliche mykenisch-minoische Palastkultur ging völlig unter, auch auf Kreta. Das Reich der Hethiter wurde ausgelöscht. Assur und Ägypten gerieten ins Wanken. Die altorientalische Welt der vier bronzezeitlichen Großmächte zerbrach.
Nicht nur der Alte Orient, die gesamte vorderasiatisch-europäische Welt erlebte nach 1200 v. Chr. einen Umbruch: Im Ostalpenraum entsteht die indogermanische Urnenfelderkultur, und im Nordbalkan beginnt die Dorische Wanderung, aus der das antike Griechenland hervorgeht.
Unumstritten ist, dass in jener Zeit der sogenannten eisenzeitlichen Wanderung die indogermanischen, mit Eisenwaffen gerüsteten Philister in Südpalästina (Gaza) auftauchen und sich dort festsetzen. Auch die israelitischen Stämme wandern unter Gewaltanwendung in Kanaan ein. Ägypten verliert seine Vormachtstellung im Nahen Osten. Nur die Invasion der Seevölker in das Nilland selbst konnte gerade eben abgewendet werden. Ob es sich bei dem Seevölkerangriff um eine indogermanische Invasion vom Balkan oder gar aus Mitteleuropa, um mykenische Aggression, epidemische Seeräuberei oder eine Kombination dieser Faktoren handelte, ist bis heute ungeklärt.
Was danach geschah: Im letzten Jahrtausend vor der Zeitenwende dämmerte Ägypten – geschwächt, wenngleich äußerlich unangetastet – nur noch vor sich hin. 662 v. Chr. eroberten die Neu-Babylonier unter Nebukadnezar kurzzeitig das Land, bevor um 550 v. Chr. eine letzte Selbstständigkeit und ein reger Austausch mit den Griechen und Ioniern folgte. Die Griechen, damals relative Neuankömmlinge in der Ostmittelmeerwelt, bewunderten die jahrtausendealte ägyptische Kultur, die aber nicht mehr als eine sterbende Hülle war. 525 v. Chr. machten die Perser das Nilland zu ihrer Provinz. Persien selbst wurde 333/332 v. Chr. durch Alexander überwunden, der im Nildelta Alexandria gründete, den geistigen Mittelpunkt der hellenistischen Welt. Als seine Nachfolger regierten die makedonischen Ptolemäer Ägypten noch 300 Jahre lang erfolgreich als »Pharaonen«, mit anderen Worten: Sie passten sich der ägyptischen Kultur an. Die letzte ptolemäische Königin im »altägyptischen Stil« war Kleopatra.
Während sich in Mesopotamien (Assyrer), Ägypten, Anatolien (Hethiter), auf Kreta und rund um die Ägäis zwischen 2500 und 1200 die großen Kulturen entfalteten, war das Gebiet nördlich der Alpen keineswegs eine reine Kulturwüste. Im Gegensatz zu den orientalischen sind die bronzezeitlichen Kulturen im Norden jedoch alle schriftlos, und es wurden auch keine bleibenden Bauwerke aus Stein errichtet. Sich eine Vorstellung von den Leistungen der Menschen diesseits der Alpen zu machen, fällt also schwer.
Bereits aus der Frühbronzezeit kennt man gewaltige Fürstengräber mit Goldgrabbeigaben (Leubinger Fürstengrab, Thüringen) oder die Straubinger Kultur, die am Nordrand der Alpen entlang bis in die Schweiz reichte. Mangels Fundstücken sind diese aber nur schwer abgrenzbar und nicht konkreter bestimmbar. Umso mehr zeigt der sensationelle Fund von Nebra, welches Niveau hier durchaus bestanden hat.