Timur wurde im damaligen Europa schlagartig berühmt, nachdem er 1402 den Osmanen-Sultan Bajazid bei Ankara geschlagen hatte und dieser nach einigen Monaten Gefangenschaft starb. Damit war das Osmanische Reich vorübergehend staatsrechtlich ausgelöscht. Diese Nachricht schlug ein wie eine Bombe. Unter Sultan Bajazid hatte das Osmanische Reich soeben, nach der Schlacht auf dem Amselfeld, seine bisher größte Ausdehnung erreicht, und Bajazid hatte gerade mit der Belagerung von Konstantinopel begonnen. Wegen des Erscheinens von Timur Lenk musste der Sultan diese Belagerung abbrechen, um sich ihm entgegenzustemmen, verlor aber seine Armee und sein Leben. Ausgerechnet durch einen anderen turkmongolischen Eroberer schien das Abendland vor der Türkengefahr gerettet. Trotz des vernichtenden Sieges über die Osmanen zog Timur Lenk aus unbekannten Gründen wieder aus Anatolien ab. Sonst hätte vielleicht er statt der Osmanen Byzanz erobert.
1453
FALL VON KONSTANTINOPEL Sultan Mehmet II. (1432–1481), der Urenkel Bajazids, war entschlossen, die Stadt mit allen Mitteln zu erobern. Die ultimative Belagerungsphase begann im April 1453. Extra gegossene Riesenkanonen, Tunnel unter den Mauern, eine Verlagerung der türkischen Kriegsschiffe über Land vom Marmarameer in das durch eine Kette abgesperrte Goldene Horn – nichts wurde unversucht gelassen.
Nach einer letzten ergebnislosen Verhandlung zwischen dem Sultan und dem byzantinischen Kaiser Konstantin XI. zur Übergabe der völlig eingeschlossenen Stadt befahl Mehmet den Generalangriff in den frühen Morgenstunden des 29. Mai. Nach mehrmaligem vergeblichem Anrennen soll eine kleine, unverschlossene Pforte den Janitscharen den Zutritt zur Stadt ermöglicht haben. Sie öffneten rasch die Tore und die übermächtige osmanische Armee strömte in die Stadt. Bereits am Vormittag war Konstantinopel völlig in der Hand der Türken. Mehmet trägt den türkischen Beinamen Fatih: »der Eroberer«.
Damit endete das tausendjährige Byzantinische Reich. Dieser direkte Nachfolger Ostroms hatte unter christlichen Vorzeichen vieles von der spätantiken und sogar der antiken Kultur das ganze Mittelalter hindurch bewahrt. Byzanz war während des gesamten Mittelalters das Bollwerk des Abendlandes gegen die Ausbreitung der Araber und der Türken. Welche mächtige Schutzfunktion die Stadt hatte, zeigt sich daran, dass die Türken nur gut 70 Jahre nach der Eroberung Konstantinopels bereits vor den Toren Wiens standen.
1454
ABENDLAND – DAS EUROPÄISCHE HAUS Der Begriff und das Bewusstsein vom »Abendland« im Sinne eines gemeinsamen, christlichen Europas tauchen erstmals im Zusammenhang mit der akuten türkischen Bedrohung auf. Noch vor seinem Pontifikat als Renaissance-Papst Pius II. formulierte Enea Silvio Piccolomini, ein hochgelehrter Humanist, 1454 auf einem Reichstag in Frankfurt: »Wenn wir die Wahrheit gestehen wollen, hat die Christenheit seit vielen Jahrhunderten keine größere Schmach erlebt als jetzt. Denn in früheren Zeiten sind wir nur in Asien und Afrika, also in fremden Ländern geschlagen worden, jetzt aber wurden wir in Europa, also in unserem Vaterland, in unserem eigenen Haus, an unserem eigenen Wohnsitz aufs Schwerste getroffen.« Piccolomini verwendet erstmals wieder das Wort Europa, das im Horizont der mittelalterlichen Reiche seit den Zeiten Karls des Großen aus dem Blickfeld geraten war, verbindet es mit der Christenheit und nennt es Vaterland und Europäisches Haus.
Der zweite Beleg für dieses Bewusstsein findet sich als »die Abendländer« 1529 bei dem Reformator Kaspar Hedio, der es auf Deutsch für das bis dahin gebräuchliche »Okzident« verwendet; auch er meint damit die »christlichen Abendländer«. 1529 war das Jahr der kurzen, bald wieder abgebrochenen ersten Belagerung Wiens durch die Türken unter Süleiman I. Dieses Ereignis fand europaweit Beachtung. Auch Luther schrieb darüber zwei Traktate und bezeichnete die Türken als »Gottesplage«.
1462
DRACULA Nach seiner epochalen Tat legte Mehmet nicht die Hände in den Schoß. Er eroberte unter anderem noch das Kaiserreich Trapezunt am kleinasiatischen Südrand des Schwarzen Meeres sowie große Territorien auf dem Balkan, in Griechenland, Serbien, Bosnien und in der Walachei des Dracula-Vorbildes Vlad III. Vlad trägt den Beinamen Tepes, »der Pfähler«. Dieser Türkenhasser ließ Zehntausende türkischer Kriegsgefangener, aber auch eigene Untertanen pfählen; eine besonders grausame Tötungsart. Seinen Beinamen »Dracula« (»kleiner Drache«) erhielt er schon früher, weil sein Vater, Fürst Vlad II., Mitglied des von Kaiser Sigismund gegründeten katholischen Drachenordens war und sich Vlad Dracul nannte. Dracula ist die Verkleinerungsform.
Was danach geschah: Mehmet war ein kultivierter Mann und fähiger Herrscher. Er baute die türkische Flotte aus, straffte die Verwaltung und erließ eine Gesetzessammlung. Gleich nach der Eroberung von Byzanz begann er mit dem Bau des Topkapi-Palastes und veranlasste die Errichtung Hunderter von Moscheen, Medresen und Bädern. Die verbliebenen byzantinischen Adligen ließ er allerdings samt ihren Familien köpfen.
1453 war ein weltgeschichtliches Wendejahr in Eurasien, das sich nur mit 490/480 v. Chr. (Marathon/Salamis), 622 v. Chr. (Mohammeds Flucht), 1492 (Entdeckung Amerikas), 1789 (Französische Revolution) und 1989 (Mauerfall und Ende des Kalten Krieges) vergleichen lässt. In Europa war ein Bewusstsein von Abendland entstanden, durch den Fall von Konstantinopel war der internationale Fernhandel zwischen dem Mittelmeer und Asien unterbrochen. Für Venedig, Genua und all die anderen gab es nichts mehr zu verdienen. In Portugal hatte man sich schon angewöhnt, den Blick nach Westen zu wenden, auf den Atlantik und entlang der afrikanischen Küste.
Durch die Medici und andere Gönner, Förderer und Sponsoren, die den Kultur- und Kunstbetrieb in Florenz und anderen italienischen Städten teils aus persönlichem Interesse, teils aus Prestigegründen förderten, wurde die Toskana ein einzigartiger Hotspot der »Renaissance«, des zivilisatorischen Fortschritts, der das europäische wirtschaftlich frei handelnde und selbstbestimmte Individuum hervorbrachte. Cosimo de Medici stiftete das Kloster San Marco und die Biblioteca Laurenziana in Florenz und gab den Palazzo Medici in Auftrag, förderte Brunelleschi, Donatello, Fra Angelico und den einflussreichen »neuplatonischen« Philosophen Marsilio Ficino. Cosimos Sohn Piero war von 1464 bis 1469 praktisch Alleinherrscher von Florenz. Dessen Sohn Lorenzo, genannt il Magnifico (»der Prächtige«), holte den jungen Michelangelo nach Florenz und machte Botticelli zu seinem »Hofmaler«.
1393/1397
MEDICI-BANK Eigentlich waren um 1300 die großen Marktanteile in der Finanzbranche in Europa bereits vergeben. Bankhäuser in Siena oder die florentinischen Bardi besaßen Filialen zum Beispiel in Brügge. Newcomer hatten wenig Chancen.
Nach 1345 kam es zum Zusammenbruch zahlreicher älterer Bankhäuser, weil der englische König Edward III. hohe Schulden aus dem Hundertjährigen Krieg nicht beglich – praktisch ein englischer Staatsbankrott. Die Medici waren durch Tuchfabrikation und Grundbesitz wohlhabend. In die Finanzbranche stiegen sie kurz vor 1400 ein. Durch persönliche Beziehungen wurde die Medici-Bank mitten in den letzten Wirren des Abendländischen Schismas 1413 Bankhaus des Papstes. Unter Cosimo de Medici (1389–1464) war seine Bank um 1450 das führende Geldhaus in Florenz. Durch die Vergabe von Krediten förderte Cosimo seine Freunde und ruinierte seine Feinde. Denn er spielte auch in der Regierung der Stadtrepublik eine führende Rolle. Das alles endete abrupt 1490 im Ruin, weil sich die Medici mit den Kreditvergaben übernommen hatten. 1494 folgte ihre Vertreibung aus Florenz durch den politisch einflussreichen Bußprediger Savonarola.