1439
KONZIL VON FLORENZ Nach der Beilegung des Abendländischen Schismas in Konstanz mit der Wahl des von allen Seiten anerkannten Papstes Martin V. wäre es beinahe auch zur Beilegung des Morgenländischen Schismas mit Byzanz gekommen. Nach Konstanz kam es zu einem Geplänkel von Konzilien und Gegenkonzilien in Basel, Lausanne, Ferrara und Florenz. Das Konzil in Florenz nahm eine unerwartete Wendung, als dort 1439 der byzantinische Kaiser Johannes VIII. angesichts der unmittelbar bevorstehenden Eroberung von Konstantinopel in höchster Not die Unterordnung der orthodoxen Kirche unter den Primat von Rom und damit das Ende des Schismas anbot. Darüber wurde zwar in den Verhandlungen Einigkeit erzielt, aber die orthodoxen Bischöfe erkannten das nicht an. Sie konnten die Schmach der Eroberung und Schändung durch die »fränkischen« Kreuzritter im Vierten Kreuzzug nicht verwinden. Die Kirchenunion kam nicht zustande.
Viel wesentlicher für die Renaissance-Geschichte aber war die beflügelnde Wirkung dieses »Staatsbesuchs«, weil im Gefolge von Kaiser Johannes viele griechische Gelehrte anwesend waren.
ca. 1440
RENAISSANCE Die Attraktion dieser griechischen Delegation muss der rund achtzigjährige Philosoph und Kaiserberater Georgios Gemistos gewesen sein, bekannt unter dem Namen Plethon (ca. 1360–1452). Plethon hielt nicht viel von Christentum oder Islam, sondern trat mit der Erläuterung zu chaldäischen Orakeln auf und propagierte ein ethisches Neuheidentum und einen neuen Platonismus. Damit elektrisierte er die Zuhörer, darunter Cosimo de Medici und Marsilio Ficino. Sein Auftritt führte zur Gründung der platonischen Akademie in Florenz.
Weniger spektakulär, aber fast noch nachhaltiger wirkte der Erwerb von 238 griechischen Kodizes durch den Süditaliener Giovanni Aurispa (1376–1459). Dieser hatte seit 1421 zwei Jahre lang in Konstantinopel beste Kontakte zum Kaiserhof geknüpft. Er brachte griechische Texte mit, Abschriften der Ilias und der Odyssee, von Thukydides, Herodot, Aristoteles und Platon. Das waren die Anfänge der griechischen Antikenbeschäftigung in Italien. Nach dem Fall von Konstantinopel verstärkte sich diese Tendenz kolossal, weil viele Gelehrte vor den Türken aus Konstantinopel nach Italien flohen und ihr Wissen und ihre Bücher mitbrachten. Der Besuch der griechischen Delegation traf den Nerv der Zeit, denn schon Petrarca und Boccaccio suchten systematisch nach antiken Manuskripten und lasen diese Autoren auf der Suche nach alternativen Denk- und Lebensformen im Kontrast zur spätmittelalterlich erstarrten geistigen und künstlerischen Welt, in der sie lebten. Das – unter anderem – bedeutete »Renaissance« (»Wiedergeburt«) der Antike.
RENAISSANCE-KUNST Ein weiterer wichtiger Anstoß war die Wiederauffindung der Zehn Bücher über die Architektur des römischen Architekten Vitruv (1. Jahrhundert n. Chr.) im Jahr 1414. Es ist das einzige erhaltene architekturtheoretische Werk der Antike und wurde zur »Bibel« von Generationen von Architekten – bis in die Gegenwart.
Filippo Brunelleschi (1377–1446) – Erfinder der Renaissancearchitektur, Erbauer der Domkuppel von Florenz und der Pazzi-Kapelle – vermaß römische Ruinen, um Erkenntnisse über antike Bauweisen und Bautechniken zu gewinnen. Mit seiner ingenieurhaften Vorgehensweise gilt er auch als Erfinder der Zentralperspektive, die ja mathematisch konstruiert werden muss. Der Maler Masaccio (1401–1428) übertrug diese Erfindung auf die Malerei. Der Höhepunkt der Antikenbegeisterung war 1506 erreicht, als man in Weinbergen auf dem Esquilin, nahe den Ruinen des Sommerpalastes des Kaisers Nero, eine Skulpturengruppe dreier ineinander verschlungener, von Schlangen umwundener Gestalten fand, die bis dahin nur aus der Literatur bekannt war. Papst Julius II. schickte Michelangelo und den Architekten Sangallo los, die bestätigten: »Das ist der Laokoon, den Plinius erwähnt.« Der antike Schriftsteller Plinius, der 79 beim Ausbruch des Vesuvs umgekommen war, erwähnte das Kunstwerk in seiner Naturalis historia. Es stammt aus ähnlichen Werkstätten wie der Pergamonaltar in Berlin. Irgendein spätantiker Kunstkenner muss die Marmorgruppe in der Völkerwanderungszeit zum Schutz vor anrückenden Barbarenhorden in den gruftähnlichen Raum gebracht haben, wo sie bis zu ihrer Wiederentdeckung die Zeiten überdauerte. Sangallo erkannte das Kunstwerk, das er natürlich nie gesehen hatte, sofort nach der Beschreibung des Plinius. So war die Bildung in der Renaissance.
NEPOTISMUS Bereits während ihrer »Babylonischen Gefangenschaft« in Avignon (1306–1367) pflegten die Päpste eine Hofhaltung, die viel Geld verschlang. Die »Finanzierungsmittel«: Ablass, Ämterverkauf, Nepotismus.
Nach der Rückkehr nach Rom wurde der Nepotismus, die »Neffen-« oder Vetternwirtschaft, geradezu zu einer Institution. Zu den »Nepoten« (lat. nepos = Neffe) zählten mitunter auch die unehelichen Söhne der Päpste. Die meisten bedeutenden Adelsfamilien in Italien gerieten in dieses System, und viele verdankten ihm ihren Aufstieg. Der bekannteste und berüchtigste Fall ist Cesare Borgia. Die Päpste waren eben seit dem Ende der Antike mit der Übernahme so vieler imperialer Elemente des Römischen Reiches und mit ihrem mittelalterlichen Machtanspruch immer eine Art inoffizieller Könige von Italien geblieben, mit allem, was »dazugehört«. Diese Verweltlichung der Kirche erreichte ihren Höhepunkt in der Zeit der Renaissancepäpste.
1497
DAS FEGEFEUER DER EITELKEITEN Wie anstößig das Treiben der weltlichen wie der geistlichen Oberschicht beim einfachen Volk selbst der nicht uneitlen Italiener wahrgenommen wurde, zeigt sich an dem Zulauf, den der Dominikanermönch und Bußprediger Girolamo Savonarola (1452–1498) verzeichnete. Als er 1492 das Sterbedatum von Papst Innozenz korrekt voraussagte, waren alle Dämme gebrochen. Die Woge der Volksbegeisterung für sein Wettern gegen die Reichen und Mächtigen trug ihn an die Spitze des florentinischen Stadtstaates (von 1494 bis 1498). Weder den Medici noch einem Machtpolitiker vom Kaliber Papst Alexanders VI. Borgia gelang es, dem Treiben Einhalt zu gebieten. Die Medici vertrieb Savonarola 1494.
1497 stiftete Savonarola jugendliche Banden dazu an, »nutzlosen Tand« zu beschlagnahmen. Teure Kleider und Möbel, Musikinstrumente, Spielkarten, Schmuck, Kosmetika, Spiegel, Bücher und Kunstwerke wurden gesammelt und auf einem riesigen Scheiterhaufen auf der Piazza della Signoria verbrannt. Botticelli, der Hofmaler der Medici, warf eigene Gemälde in die Flammen. 1498 schlug die Stimmung aus politischen Gründen und auf päpstlichen Druck hin um. Der Bußprediger wurde aus seinem Kloster gezerrt und vor der riesigen Volksmenge an derselben Stelle, wo er im Jahr zuvor sein »Feuer der Eitelkeiten« veranstaltet hatte, verbrannt.
Spätestens nach diesen Ereignissen ging der inoffizielle Titel der Kulturhauptstadt der Renaissance von Florenz auf Rom über.
1527
SACCO DI ROMA In der Periode der Hochrenaissance, als im blühenden und wohlhabenden Rom Michelangelo die Decke der Sixtinischen Kapelle bemalte (1508–1512) und Raffael den Petersdom baute, war in Deutschland die Reformation ausgebrochen (1517) und der junge Habsburger Karl V. zum römisch-deutschen Kaiser gekrönt worden (1520). Sofort führte Karl mit seinem europäischen Rivalen König Franz I. von Frankreich Krieg um die Vorherrschaft im reichen Oberitalien.