1492
NEUE WELT Ganz zu Anfang, als man wirklich noch glaubte, in Indien gelandet zu sein, sprach man von Las Indias, dann von Nuovo Mondo. Immerhin haben die Ureinwohner davon bis heute ihre Bezeichnung »Indianer« beziehungsweise »Indios«. Der erste schriftliche Beleg für »Neue Welt« findet sich in dem Wappen, das König Ferdinand II. von Kastilien und Leon dem von seiner ersten Entdeckungsfahrt soeben heimgekehrten Kolumbus in Barcelona verlieh. Das Motto lautet: Por Castilla y por Leon / Nuebo mundo alló Colon (»Für Kastilien und Leon fand Kolumbus eine neue Welt«). Spanien erreichte umgehend die Anerkennung seiner Ansprüche durch Papst Alexander VI. Borgia, der im Jahr darauf auch die Teilung der Welt zwischen Spaniern und Portugiesen im Vertrag von Tordesillas vornahm. Spanier und Portugiesen einigten sich 1494 in Tordesillas auf eine Demarkationslinie 370 spanische Meilen (ca. 1170 Kilometer) westlich der Kapverden, die der Papst denn auch auf einer Karte mit einem Federstrich eintrug. Es war der erste derartige Federstrich auf einer Landkarte, der Welten teilte. Die Einigung besagte: Alle Gebiete östlich der Linie sind portugiesischer Einflussbereich, die Gebiete westlich davon stehen den Spaniern zu. Weil die Linie durch das damals noch unentdeckte Brasilien ging, fiel dieser Teil des südamerikanischen Kontinents an Portugal, alles andere wurde spanisch. Auch Nordamerika war jahrhundertelang spanischer Besitz.
1498
DER SEEWEG NACH INDIEN Vasco da Gama segelte wie Kolumbus ebenfalls mit drei Schiffen Anfang Juli 1497 von Lissabon ab. An Bord befanden sich die erfahrensten portugiesischen Seeleute in den afrikanisch-atlantischen Gewässern. Die kleine Flotte erreichte im April 1498 Mombasa, den damals arabisch dominierten Hafen am Indischen Ozean im heutigen Kenia. Die Araber waren alles andere als begeistert. Aber der Sultan der benachbarten Mombasa-Konkurrentin Malindi stellte da Gama einen Lotsen für die Überquerung des Indischen Ozeans zur Verfügung. Am 20. Mai 1498 landete der Portugiese nahe Kalikut im heutigen südindischen Bundesstaat Kerala. Kalikut war längst ein Hauptzentrum des chinesisch-indisch-arabischen Handels und eine kosmopolitische Metropole an der Malabarküste, der Pfefferküste, geworden.
Da Gama belud seine Schiffe mit Pfeffer, Zimt, Ingwer, Tamarinde, Teak- und Sandelholz. Im Herbst 1499 wurde ihm in Lissabon ein triumphaler Empfang bereitet. Ab 1502 durfte er sich »Admiral des Indischen Meeres« nennen. Eine zweite Reise Da Gamas nach Indien mit 21 schwer bewaffneten Schiffen folgte in diesem Jahr. Die Portugiesen brachen den Widerstand der Araber und lokaler indischer Fürsten, bauten ein Fort und sicherten sich über 100 Jahre lang das Monopol auf den Gewürzhandel und die Seemacht in diesem Bereich. Die Kenntnis des Seewegs nach Indien war sorgsam gehütetes Know-how der Portugiesen. Erst die Niederländer brachen mit militärischen Mitteln das Wissens- und Handelsmonopol.
Was danach geschah: Es schien nicht nur so: Die Portugiesen hatten den Wettlauf nach Indien doch gewonnen. Allerdings konnte man in diesen Jahren um 1500 noch nicht ermessen, was Kolumbus gewonnen hatte. Im Jahr 1500 entdeckte die zweite portugiesische Indienflotte unter dem Kommando von Pedro Àlvares Cabral Brasilien. Cabral hielt das Land zuerst für eine Insel. Auf der Weiterfahrt durch den Südatlantik gingen einige Karavellen im Südatlantik im Sturm unter. Dabei starb auch der Entdecker des Kaps der Guten Hoffnung, Bartolomeu Diaz. 1502 bis 1504 fuhr Kolumbus zum vierten und letzten Mal nach »Indien«.
1507
AMERIKA Die Waldseemüller-Karte von 1507 zeigt erstmals Umrisse des amerikanischen Kontinents – soweit damals bekannt. Es handelt sich um Küstenlinien Mittelamerikas und Südamerikas und einen ziemlich stumpfen Stummel von Florida. Der Florentiner Amerigo Vespucci, der sich in der damals üblichen Gelehrtensprache Latein Americus nannte, hatte von 1499 bis 1502 an mehreren Erkundungsreisen in das von Kolumbus entdeckte Seegebiet teilgenommen und erkannt, dass es sich bei den karibischen Inseln und dem umgebenden Festland am Golf von Mexiko um einen ganzen bisher unbekannten Kontinent handelt. Deshalb trugen Matthias Ringmann und Martin Waldseemüller 1507 in Lothringen Americus’ Namen auf der berühmten »Waldseemüller-Karte« ein. Sie gilt als die Taufurkunde Amerikas.
KANADA Nicht in die Karibik, sondern über den Nordatlantik fuhr der erste französische Amerika-Entdecker Jacques Cartier (1491–1557). Er reiste mit zwei Schiffen auf Anweisung von König Franz I. und erkundete 1534 bis 1536 den St.-Lorenz-Strom. Dort traf er auf Irokesen, die ihn in ihr canada führten. In der Irokesen-Sprache ist damit ihr Dorf, ihre Siedlung gemeint. Cartier übertrug das Wort auf das gesamte Gebiet nördlich des St. Lorenz, und unter dieser Bezeichnung taucht es in der folgenden Zeit großflächig auf Landkarten auf.
Was danach geschah: Die Entdeckung Amerikas war für alle Beteiligten auf beiden Seiten des Atlantiks ein umwälzendes Ereignis. Den Europäern brachte sie eine radikale Veränderung ihres geografischen Weltbildes. Aber nicht nur die Weltkarten wurden neu gezeichnet. Die Europäer wandten sich von nun an verstärkt allen »realen« Dingen dieser Welt zu. Das schlagartig einsetzende koloniale Zeitalter ist zugleich das erste wirklich globale Zeitalter. Die Verkehrsverdichtung auf den Seehandelsstraßen hatte eine ganz andere Qualität als auf der Seidenstraße oder sonstigen Handelswegen in Afrika, Asien und Europa. Weltweit wanderten wieder einmal ganze Völker – oder jedenfalls Bevölkerungsgruppen: zuerst die Sklaven aus Afrika, dann Auswanderer aus Europa auf alle Kontinente. Die Entdeckung Amerikas hatte aber auch aus amerikanisch-indianischer Sicht epochale Folgen: Ihre Kulturen und einige ihrer blühendsten Reiche wurden binnen kürzester Frist ausgelöscht. Der Sturm, der über sie hinwegfegte, war viel kürzer und sicherlich um ein Vielfaches heftiger als die germanische Völkerwanderung in der Spätantike und lässt sich wohl nur mit der eisenzeitlichen Wanderung um 1200 v. Chr. vergleichen, die Kulturen wie die Minoer, Mykener und Hethiter ebenfalls auslöschte und die altorientalischen Reiche der Ägypter und Altbabylonier in den Grundfesten erschütterte.
Weltreich wird genannt, wenn ein Reich auf mindestens zwei Kontinenten vertreten ist. Das war bei den alten Ägyptern der Fall, bei Alexander, den Römern und den Mongolen. Nach 1500 herrschten die Osmanen gleich auf drei Kontinenten: Europa, Asien und Afrika.
ab ca. 1500
DER SCHAH VON PERSIEN Dass der schiitische Islam die vorherrschende Religion in Persien ist, geht auf die Safawiden-Dynastie zurück, die unter Ismail I. (1484–1524) die Macht übernahm. Von Anfang an waren Süd-Irak und Iran Hochburgen der Schiiten. Innerhalb der islamischen Welt bestand auch stets ein gewisser Gegensatz zwischen – grob gesprochen – semitischen und sunnitischen Arabern und indoeuropäischen, schiitischen Persern. Seit den Safawiden behaupteten sich die Perser auch wieder machtpolitisch gegenüber der osmanischen und sunnitischen Vormacht. Die Safawiden erhoben den Schiismus zur Staatsreligion. Die neue Dynastie ging aus einer Familie kurdischer Scheichs hervor, die seit dem 14. Jahrhundert dem Sufismus nahestand. Ismail gelang die Eroberung von Persien und Teilen des Irak bis 1507. Die Safawiden waren kurdischer, also indoeuropäischer Abstammung und knüpften bewusst an die seit den Achämeniden bestehende persische Tradition von Großkönigen (Schah-in-Schah) an. In der Regierungszeit Abbas I. von 1588 bis 1629 wurde Persien zur Großmacht im Mittleren Osten und erlebte eine große kulturelle Blütezeit.