1530/1555
AUGSBURGER BEKENNTNIS UND AUGSBURGER RELIGIONSFRIEDE Waren bisher Worms und Speyer die Hauptschauplätze der Auseinandersetzungen zwischen Kaiser und Fürsten, so wurde nun Augsburg zweimal der maßgebliche Tagungsort.
Für den Reichstag von 1530 verfasste Philipp Melanchthon (1497–1560) im Auftrag von Kurfürst Johann von Sachsen das »Augsburger Bekenntnis«, in dem er die reformatorische Lehre darlegte. Luther billigte Melanchthons Erklärung, und die meisten protestantischen Reichsstände bekannten sich dazu. Kaiser Karl V. war dieses Mal anwesend, nahm die Confessio Augustana immerhin zur Kenntnis, bestätigte dann aber das Wormser Edikt von 1521, mit dem Luther zum Ketzer erklärt worden war. Dem wollten sich die protestantischen Fürsten und Reichsstädte nun nicht unterwerfen und schlossen sich 1531 zum Schmalkaldischen Bund zusammen. Dieser wurde in den Dreißigerjahren des Jahrhunderts sehr mächtig, und die Protestanten konsolidierten ihre Positionen. Doch die entscheidende militärische Auseinandersetzung gewann Karl V. 1547 in der Schlacht bei Mühlberg an der Elbe. Es war der erste Religionskrieg in Europa zwischen Protestanten und Katholiken.
Trotz des Sieges bei Mühlberg änderten sich bald darauf die deutschen Machtverhältnisse. Karl V. wollte seinen Sohn Philipp II. von Spanien als deutschen Kaiser durchsetzen, das wollten nun viele deutsche Fürsten nicht und wechselten die Seite. Karls Bruder Ferdinand handelte 1555 wiederum in Augsburg den Kompromiss auf der Grundlage des Cuius regio, eius religio aus. Sie erlaubte dem Landesherrn – nicht seinen Untertanen – die Religion zu wählen und eigene Landeskirchen zu errichten. Mit diesem Reichsgrundgesetz wurde das Prinzip der Religionsfreiheit in Europa sozusagen verfassungsrechtlich anerkannt, auch wenn es nicht die individuelle Religionsfreiheit im modernen Sinn war. Außerdem wurden dadurch die protestantischen Reichsstände als gleichberechtigt anerkannt. Durch den Augsburger Friedensschluss wurde einerseits die konfessionelle Spaltung Deutschlands besiegelt, andererseits die Einheit des Reiches gewahrt. Der Erfolg der Reformation war auch »außenpolitisch« bedingt. Die beiden Habsburger waren zu stark in Konflikten außerhalb des Reiches involviert: Karl V. in seinen Auseinandersetzungen mit Franz I. und Ferdinand mit den Türken, die in Ungarn standen.
1555 verfasste Karl V. seine Abdankungserklärung und stellte sie 1556 den deutschen Kurfürsten zu. Dann zog er sich in das spanische Kloster San Yuste zurück, wo er 1558 starb.
EMIGRATION ist als geschichtliches Phänomen eine Folge der Reformation, und das Wort wird erst seit dieser Zeit gebraucht. Bereits die Vertreibung der Mauren und Juden aus Spanien am Ende der Reconquista war eine Form der Zwangsemigration aus religiösen Gründen. Später emigrierten auch viele protestantische Hugenotten aus Frankreich in die Niederlande, die Schweiz oder nach Preußen, und Puritaner nach Amerika.
Im ohnehin zersplitterten Reich wird die Religionsfrage mit dem politischen Tauziehen um die Macht zwischen Fürsten und Kaiser verquickt. Die nach dem Hundertjährigen Krieg gerade wieder gefestigten Monarchien Frankreich und England werden durch die Glaubensspaltung erneut destabilisiert. In den skandinavischen Ländern wird die Reformation vergleichsweise problemlos eingeführt; in Schweden 1527, in Dänemark 1536. Italien, Spanien und Portugal bleiben von der Reformation unberührt.
1534
ANGLIKANISCHE KIRCHE Nach dem Ende der Rosenkriege war Tudor Heinrich VII. seit 1485 neuer König und begründete damit eine neue Dynastie. Um England gegen Frankreich außenpolitisch zu stärken, ging Heinrich VII. ein Bündnis mit Spanien ein. Es sollte durch eine Heirat zwischen dem englischen Thronfolger Arthur und der spanischen Prinzessin Katharina von Aragón besiegelt werden. Doch Arthur starb. Heinrichs VII. zweiter Sohn, der spätere Heinrich VIII., übernahm die Stelle des Prince of Wales und auch die Ehefrau seines Bruders.
Doch Katharina gebar keinen Sohn. Betört von deren ehemaliger Zofe Anne Boleyn wollte Heinrich seit etwa 1530 nun diese heiraten. Der König war mittlerweile 40 und betrieb die Scheidung per Dispens, den der Papst nicht gewährte. Der Erzbischof und Lordkanzler Thomas Wolsey hielt zum Papst. Die meisten englischen Bischöfe erklärten schon 1531, dass sie den Papst nicht länger als Oberhaupt anerkennen wollten; dies zielte auch auf ihr Bekenntnis zur Reformation. Anne war 1533 schwanger, und Heinrich heiratete sie in der Hoffnung auf den Thronerben. Wolsey und der Erzbischof von Canterbury wurden ausgewechselt. Die Nachfolger erklärten die Ehe mit Anne für gültig und annullierten die bis dahin (!) noch bestehende Ehe mit Katharina. Hier ist schon eine englische Kirchengerichtsbarkeit zuständig. Im September gebar Anne eine Tochter, Elisabeth, die spätere Königin.
Im November 1534 ließ Heinrich vom Parlament den Act of Supremacy verabschieden. Per Gesetz wurde der englische König damit »Oberhaupt« der englischen Kirche. Die englische Kirche wurde als anglikanische Staatskirche neu begründet und der römisch-katholischen Kirche völlig entzogen. Alle Geistlichen und Beamten mussten Heinrich einen Treueeid leisten. Im Zuge dessen wurden auch die Klöster aufgehoben und ihr (Grund-)Besitz eingezogen oder veräußert. Deswegen gibt es in England so viele Klosterruinen.
Was danach geschah: In England wurde mit der Thronbesteigung von Elisabeth I. 1558 die Reformation wieder aufgenommen, nach einer kurzen katholischen Reaktion unter Königin Mary Tudor (1553–1558). Die »Bloody Mary« war die älteste Tochter Heinrichs VIII. und seiner ersten, streng katholischen Frau Katharina von Aragón. Mary hatte 300 Protestanten hinrichten lassen.
1540
DAS PROTESTANTISCHE ROM Heute sind etwa 150 Millionen Menschen Calvinisten, vor allem in der Schweiz, den Niederlanden, Schottland und den USA. Der hauptsächlich in Genf wirkende Jean Calvin (1509–1564) gehört zu den einflussreichsten Denkern überhaupt. Auf der Basis der reformatorischen Lehre entwickelte Calvin eine eigene Variante, die Gott in jeder Hinsicht absolut setzte. Er wandte sich schroff gegen alles Kirchliche und Kultische wie liturgischen Gottesdienst, Sakramente, Reliquien und natürlich den Ablass. In dieser Verabsolutierung ging er so weit zu behaupten, dass Gott das Schicksal jedes Menschen zur Erlösung oder zur Verdammnis vorherbestimmt habe – die sogenannte Prädestination. Da Gottes Wille in Bezug auf den Einzelnen aber nicht zu erkennen sei, müsse sich jeder eines äußerst tugendhaften Lebenswandels befleißigen. Für Calvin hieß das: keine Zeitvergeudung, sondern lernen, beten und arbeiten, kein Luxus, keine Laster.
Seit 1540 setzte Calvin seine Ansichten über Kirchen- und Glaubenszucht in Genf mit fanatischer Härte durch. In seinem Eiferertum und der unnachgiebigen Strenge stand Calvin seinem Zeitgenossen und indirekten katholischen Widersacher Ignatius von Loyola, dem Gründer des Jesuitenordens, in nichts nach.
Calvins dauerhafteste institutionelle Leistung war 1559 die Gründung der Genfer Hochschule, an der Generationen von protestantischen Theologen und deutschen Fürstensöhnen ausgebildet wurden. Hauptsächlich wegen dieser Akademie und weil in der Stadtrepublik ein besonders strenger protestantischer Geist vorherrschte, wurde Genf als das »protestantische Rom« apostrophiert.