TÜRKENKRIEGE Seit der Schlacht von Mohács 1526, bei der Ungarn verloren ging, und der ersten Belagerung Wiens 1529, die vom Osmanen-Sultan wegen schlechten Wetters abgebrochen wurde, standen die Habsburger gegen das Osmanische Reich in Europa in vorderster Front. Nur der nordwestliche Zipfel Ungarns konnte gehalten werden. 1551 bis 1555 und 1566 bis 1568 war es zu erneuten Zusammenstößen gekommen. Venedig war im Ostmittelmeer ebenfalls an der Türkenfront engagiert und hatte 1571 Zypern verloren; 1671 musste die Lagunenstadt auch Kreta aufgeben. Und 1683 standen die Türken erneut vor Wien.
Die Stadtbefestigung war nach der ersten Türkenbelagerung 1529 mithilfe italienischer Festungsbaumeister auf den neuesten Stand gebracht worden. Die Osmanen versuchten, sie zu unterminieren, indem sie Tunnel in die Stadt gruben. In den Wiener Häusern musste immer jemand im Keller stehen und horchen, ob gegraben oder geklopft wurde.
Die Osmanen waren 1683 drei Monate lang unter der militärischen Führung des Großwesirs Kara Mustafa Pascha über den Balkan angerückt. Sie schlossen Wien von drei Seiten ein. Am 14. Juli begann die Belagerung. Kaiser Leopold I. hatte die Stadt verlassen, was keinen guten Eindruck hinterließ. Der Wiener Stadtkommandant Graf Starhemberg stand mit rund 20000 Mann den Türken gegenüber. Eine Mitte Juli geforderte Kapitulation lehnte er im Vertrauen auf die baldige Ankunft des Entsatzheeres von Kaiser Leopold ab. Die Wiener mussten zwei Monate ausharren, bis es am 11. September eintraf.
Am 12. September kam es zur Schlacht am Kahlenberg oberhalb von Wien. Die Abwehrkoalition war auf Initiative von Papst Innozenz XI. zwischen Kaiser Leopold und dem polnischen König Johann III. Sobieski zustandegekommen, wobei der Papst erheblich zur Finanzierung des Feldzuges beitrug. Den entscheidenden Beitrag lieferte aber der polnische König. Das eingeschlossene Wien hätte nicht mehr lange durchhalten können, als er in letzter Minute erschien. Er übernahm die Führung im Feld. Die Schlacht am Kahlenberg war sein Sieg. Der türkische Feldherr Kara Mustafa Pascha wurde später auf Befehl des Sultans erdrosselt – mit einem Seidenband.
Übrigens: Angeblich hatten die Türken bei ihrem überstürzten Abzug etliche Säcke mit braunen Bohnen hinterlassen. Ihre zweckentsprechende Verwendung und Darreichung begründete seit jenen Jahren die Kaffeehaus-Kultur in Wien. Erste Kaffeehäuser in Europa hatten allerdings bereits um 1650 in Venedig, Paris, Oxford und London eröffnet. Auch in Hamburg gab es schon vor der Schlacht am Kahlenberg ein Kaffeehaus. Richtig ist, dass das erste Wiener Kaffeehaus 1685 von dem Griechen Johannes Theodat eröffnet wurde. Die Kaffeesäcke-Belohnung für den Kundschafter Kolschitzky ist eher eine Legende. Neu an der in ganz Europa seither aufblühenden Kaffeehaus-Kultur war, dass sie von Angehörigen aller Stände »gleichberechtigt« besucht wurden – bis weit ins 19. Jahrhundert hinein allerdings nur von Männern.
Was danach geschah: Vier Jahre später, 1687, erteilte König Leopold den Auftrag für den Bau von Schloss Schönbrunn nach dem Vorbild von Versailles. Nachfolger Johanns III. auf dem polnischen Thron war 1697 der sächsische Kurfürst August der Starke.
Die erfolgreiche Abwehr der Wiener Belagerung brachte für Europa die Wende im Verhältnis zu den Türken. Große Teile des Balkans wurden relativ zügig zurückerobert. Zuerst Ungarn durch den Markgrafen Ludwig Wilhelm von Baden (»Türkenlouis«) und den Prinzen Eugen von Savoyen. Das Osmanische Reich geriet zunehmend in die Defensive. Beginnend mit Peter dem Großen führte seit 1710 auch Russland Türkenkriege bis hin zum Krimkrieg (1853–1856). Vor allem dem späteren Expansionsdruck aus Russland hatte das immer kraftlosere Osmanische Reich immer weniger entgegenzusetzen. Mit der Wende 1683 begann auch die große kulturelle Ausstrahlung Österreichs auf den Balkan und den ganzen südosteuropäischen Raum. Für diese Gebiete wurde Wien das, was Paris und Versailles für Westeuropa waren.
1688–1748
ERBFOLGEKRIEGE In der Hochzeit der europäischen Monarchien waren dynastische Fragen politisch hochbrisant, vor allem, wenn es keinen direkten Thronerben gab. Aufgrund der komplizierten Verwandtschaftsverhältnisse der Adelshäuser machten dann »auswärtige« Fürsten Ansprüche geltend. Alle großen Erbfolgekriege zwischen 1690 und 1750 bestimmten die europäische Politik in der Hochphase des Absolutismus, als die Feldherren in prächtigen Barockroben, mit wallenden Perücken, blitzenden Degen und kostbaren Zelten in den Krieg zogen. Wie der Dreißigjährige Krieg waren es europäische Weltkriege, in die stets sehr viele Nationen in komplizierten Bündnissen und Koalitionen involviert wurden.
Vor dem Pfälzischen Erbfolgekrieg (1688–1697) hatte die pfälzische Kurfürstentochter Charlotte (Liselotte von der Pfalz) den Bruder von Ludwig XIV. geheiratet. Nach dem kinderlosen Tod des Bruders von Liselotte ließ Ludwig XIV. die Pfalz besetzen. Sie wurde von den Franzosen grausam verwüstet, das Heidelberger Schloss zerstört. Danach gehörten Straßburg und das Elsass zu Frankreich.
Der Spanische Erbfolgekrieg (1701–1714) nach dem Tod des letzten Habsburgers in Spanien fand auf zahllosen Haupt- und Nebenschauplätzen in ganz Europa statt. Das Frankreich Ludwigs XIV. wurde unterstützt von Bayern, Savoyen, Kurköln. Die Wiener Habsburger waren mit Großbritannien verbündet. Am Ende kannte der Krieg fast nur Gewinner. Ludwig konnte seinen Enkel Philipp von Bourbon auf dem spanischen Thron durchsetzen. Auch der heutige spanische König Juan Carlos ist Bourbone. Allerdings hatten sich durch die hohen Kriegskosten die Staatsschulden Frankreichs verzwanzigfacht.
Der Österreichische Erbfolgekrieg (1740–1748) ergab sich, weil einige europäische Mächte die Thronfolge der Habsburgerin Maria Theresia nicht anerkannten. Friedrich II. von Preußen marschierte in die reiche österreichische Provinz Schlesien ein, die er später behalten konnte. Maria Theresia musste Besitztümer in Italien abtreten, blieb aber auf dem Thron.
1714–1748
GLEICHGEWICHT DER MÄCHTE Die Expansions- und Hegemonialpläne Ludwigs XIV. waren durch das Eingreifen Großbritanniens im Spanischen Erbfolgekrieg gestoppt. Insofern hatte Ludwig in diesem Krieg seine Ziele nicht erreicht. Der Sieger der wichtigen Schlacht von Höchstädt bei Ulm (in England Schlacht von Blenheim), John Churchill, Herzog von Marlborough, erhielt zum Dank von Queen Anne Grund, Boden und Mittel zum Bau von Blenheim Palace, dem größten und bedeutendsten Barockschloss Englands. (Hier wurde später Winston Churchill geboren.) Österreich hatte durch seine Erfolge in den Türkenkriegen nach der Befreiung Wiens (1683) und der anschließenden Eroberung Ungarns erheblich an Gewicht gewonnen und war ebenfalls seit dem Spanischen Erbfolgekrieg als europäische Großmacht etabliert.
Damit ergab sich aus den Erbfolgekriegen in Europa ein Gleichgewicht der Mächte England, Frankreich, Österreich. Auf dem Kontinent hielten sich Österreich und Frankreich gegenseitig in Schach. Assistiert wurde England von der kleinen, aber reichen und ebenfalls protestantischen Niederländischen Republik, nach der Frankreich gern den Arm ausstreckte. Fast gleichzeitig trat im Osten erstmals Russland durch Zar Peter den Großen in diesen Kreis, eine Generation danach der Aufsteiger Brandenburg-Preußen. Bei dieser Konstellation blieb es bis zum Ende des Ersten Weltkrieges.
1682
ZAR UND ZIMMERMANN Zar Peter regierte von 1682 bis 1721 als dritter Romanow. Nach seinem Militärdienst als einfacher Soldat und anschließenden Reisen nach Westeuropa hatte sich der junge Zar ein Bild von der Rückständigkeit Russlands und der Fortschrittlichkeit der seefahrenden Nationen des Westens gemacht. In den Niederlanden absolvierte er 1697 sogar eine Ausbildung zum Schiffszimmermann.