Zar Peter reformierte Russland umfassend nach westlichem Muster. Die altrussischen Bärte mussten abrasiert werden, die Kittelhemden wurden verboten. Im Jahr 1700 führte Peter den Gregorianischen Kalender ein. Seit dem Dreißigjährigen Krieg hielt Schweden die russische Ostseeküste besetzt. Peter führte einen längeren Krieg gegen die Ostsee-Großmacht, bis Schweden in der Schlacht von Poltawa in der Ukraine 1709 vernichtend geschlagen wurde. Damit war für Russland der Zugang zur Ostsee frei. 1703 gründete der Zar die neue Hauptstadt Sankt Petersburg. »Sankt« deswegen, weil der Zar die Stadt keineswegs nach sich selbst, sondern nach dem Apostel Petrus benannte. Wesentlich geprägt wurde das Stadtbild aber erst unter Zarin Katharina II. (1762–1792) im italienischen Barockstil.
1716
»SELBSTHERRSCHER ALLER REUßEN« »Seine Majestät ist ein selbstherrschender Monarch, der niemandem auf der Welt über seine Handlungen Rechenschaft abzulegen hat, sondern die Macht und Gewalt besitzt, seine Staaten und Länder als christlicher Herrscher nach seinem eigenen Wohlwollen und Gutdünken zu regieren«, lautet die wohl eindeutigste Formulierung absolutistischen Herrscherverständnisses im »Militärstatut«, das Zar Peter 1716 erließ. Den Titel »Selbstherrscher aller Reußen« führten die russischen Zare seit 1470. Das Statut war gegen das orthodoxe Patriarchat gerichtet, die letzte Instanz in Russland, die noch kurz zuvor eigene Rechte artikulieren zu können meinte, indem sie sich darauf berief, nur Gott und Gottes Gesetz als höchste Instanz anzuerkennen. Trotz seiner proklamierten Allmacht konnten weder Zar Peter noch die ebenso absolutistische wie aufgeklärte Zarin Katharina auf religiöse Weihen verzichten.
1756–1763
SIEBENJÄHRIGER KRIEG Im Österreichischen Erbfolgekrieg (1740–1748) hatte der 1740 ebenfalls frisch inthronisierte Friedrich II. von Preußen die von seinem Vater gedrillte Armee unverzüglich und ohne Skrupel eingesetzt, um angesichts der noch ungefestigten Stellung Maria Theresias in Schlesien einzumarschieren. In den Siebenjährigen Krieg waren nochmals fast alle europäischen Mächte verwickelt, auch im Hinblick auf ihre überseeischen Besitzungen. Insbesondere in Nordamerika bekriegten sich England und Frankreich. Die neue Großmacht Russland nahm ebenfalls daran teil – mit ausschlaggebenden Folgen. Der Krieg war im Verlauf der sieben Jahre von wechselnden Koalitionen, zahlreichen Schlachten und wechselndem Glück im Felde gekennzeichnet. Seinen Beinamen »der Große« erhielt Friedrich nach seinem Sieg in der Schlacht bei Roßbach im heutigen Sachsen-Anhalt 1757, einer der vielen Schlachten des Siebenjährigen Krieges. Sie dauerte nur wenige Stunden. Der Sieg war für Friedrich, wie er selbst bekannte, »ein Spaziergang«. Gegner waren in erster Linie die Franzosen. Seit Ludwig XIV. war die französische Armee die stärkste in Europa und in jeder Hinsicht vorbildlich. Bis Roßbach galt sie als beinahe unbezwingbar. Als bekannt wurde, dass eine große französische Armee von märkischen und pommerschen Bauernsöhnen besiegt worden war, rief die Mätresse des französischen Königs Ludwig XV., Madame de Pompadour (1721–1764): Après nous le déluge! (»Nach uns die Sintflut!«)
1757
FRITZISCH GESINNT Der damals achtjährige Johann Wolfgang von Goethe (geboren 1749) war, wie er in Dichtung und Wahrheit sagt, »fritzisch gesinnt« und stritt sich deswegen durchaus mit seinem Vater, der als Staatsrat des Reiches eher dem Kaiser oder der Kaiserin in Wien gegenüber loyal war. Nach dem Sieg von Roßbach ging erstmals eine Welle »nationaler Begeisterung« durch Deutschland. Man sah in Friedrich den Vorkämpfer der protestantischen Sache; viele protestantische Sachsen und Württemberger liefen aus der mit den Franzosen verbündeten Reichsarmee zu den Preußen über. Außerdem stand der damals selbst erst 37 Jahre alte Friedrich, der sich gegenüber Österreich und damit gegenüber dem Reich zu behaupten versuchte, für das Neue, eine gesamtdeutsche Mentalität, wie sie sich unter preußischer Führung letztlich durchsetzen sollte.
1759/1762
MIRAKEL DES HAUSES BRANDENBURG Im nunmehr vierten Kriegsjahr des Siebenjährigen Krieges waren alle beteiligten Mächte finanziell angeschlagen und die Regimenter ausgeblutet. Preußen war eingekreist, Friedrich musste sein Kernland verteidigen. 1759 vereinigten sich russische und österreichische Heere bei Kunersdorf in der Nähe von Frankfurt an der Oder und brachten Friedrich dem Großen seine größte Niederlage bei. Der Weg nach Berlin stand offen. Erschüttert übergab Friedrich das Oberkommando seinem Bruder Heinrich. Aber aus Uneinigkeit nutzten die Österreicher die Gelegenheit nicht, sondern zogen sich zurück. In einem Brief an Heinrich schrieb Friedrich: »Ich verkündige Ihnen das Mirakel des Hauses Brandenburg.« Statt nach Berlin sei »der Feind nach Müllrose und Lieberose« im Spreewald marschiert.
Friedrichs Formulierung wird oftmals fälschlich auf ein anderes Ereignis 1762 bezogen. Seit 1761 war die Lage für Friedrich denkbar ungünstig. Die Österreicher und die Russen hielten Ostpreußen, Sachsen und Schlesien besetzt, und Friedrich hatte keine ausreichenden Kräfte mehr für Angriffe. Da starb am 5. Januar 1762 unerwartet Zarin Elisabeth, eine Tochter Peters des Großen. Die ausgesprochen gottesfürchtige, aber durchaus aufgeklärt und fortschrittlich regierende und sehr antipreußische Zarin hatte keine eigenen Kinder. Nachfolger wurde ihr Neffe Peter III., der einen deutschen Herzog (von Holstein) zum Vater hatte und ausgesprochen fritzisch gesinnt war. Er korrespondierte eifrig mit dem glühend Verehrten. In seiner ersten Amtshandlung schloss er einen Separatfrieden mit Preußen und stellte Friedrich Truppen zur Verfügung. Die von den Generälen der Zarin eroberten Gebiete Preußens gab er zurück.
Nach dieser ebenfalls »wunderbaren« Entlastung konnte Friedrich die Österreicher aus Schlesien (und Sachsen) verdrängen. Schlesien gehörte später auch zum Deutschen Reich und blieb bis 1945 bei Preußen.
POTEMKINSCHE DÖRFER Zar Peter III. überlebte sein erstes Regierungsjahr nicht, sondern wurde von Adligen, die unter Elisabeth sehr viel Einfluss hatten und wie sie sehr »russisch« gesinnt waren, zum Rücktritt gezwungen und anschließend ermordet. Nachfolgerin wurde seine Gattin, die anhaltinische Prinzessin Katharina, von 1762 bis 1796 als Zarin Katharina II. die einzige Herrscherin weltweit mit dem Beinamen »die Große«.
Die kolossale Süderweiterung Russlands während ihrer Herrschaft auf Kosten des Osmanischen Reiches und der Krimtataren war im Wesentlichen das Werk ihres sehr, sehr engen Vertrauten, des nachmaligen Fürsten Potemkin. Seine Karriere vom Wachtmeister zum Oberkommandierenden und Minister verdankte Potemkin seinem guten Aussehen, seiner Tüchtigkeit und natürlich der Gunst der Zarin. Bei Inspektionsreisen im neu eroberten Süden pflegte er der Herrscherin prächtig herausgeputzte Dörfer vorzuführen, die beim neidischen Petersburger Adel verschrienen Potemkinschen Dörfer.
ANCIEN RÉGIME Durch den Spanischen Erbfolgekrieg hatten sich für Frankreich die Staatsschulden verzwanzigfacht. Dies trieb das Land in den Ruin und geradewegs in die Revolution. Denn als wegen des bevorstehenden Staatsbankrotts – zu spät – die Generalversammlung einberufen wurde, am 5. Mai 1789, erklärte sich der Dritte Stand am 17. Juni zur Nationalversammlung und stürzte mit dieser Verfassungsänderung das »alte Regime«, das Ancien régime.
Auch die anderen Kriege des 18. Jahrhunderts waren für Frankreich natürlich extrem kostspielig, vor allem der »indianische Krieg« in Nordamerika gegen England und der Siebenjährige Krieg, der auch Preußen an den Rand der finanziellen und staatlichen Existenz brachte. Aber Frankreich stand meist auf der Verliererseite. Das Land verfügte nicht über eine mit England vergleichbare Wirtschaftsdynamik, wodurch man die Kosten hätte auffangen können. Das Steuersystem wurde nicht reformiert, die Steuerprivilegien des Adels und des Klerus blieben unangetastet. Den Adligen war der Gelderwerb »standesgemäß« nicht erlaubt, sie lebten auf Kosten der Gemeinschaft. Welches gewaltige Potenzial hier brachlag, zeigte sich alsbald an der ungeheuren Dynamik, mit der die Revolution und Napoleon die in der Agonie des Ancien régime vor sich hin dämmernde Nation zur Hegemonialmacht in Europa katapultierte.