Выбрать главу

1760

VOLONTÉ GÉNÉRALE    Völlig konträr zum herrschenden Absolutismus waren die Theorien des Genfer Bürgers und Uhrmachersohns Jean-Jacques Rousseau (1712–1778). Rousseau entwickelte eine sozialromantische Vorstellung vom Menschen als eines im natürlichen, »wilden« Urzustand guten Wesens, das erst durch Bildung, Gesellschaft und Kultur verdorben wird. Wie konnten die »edlen Wilden« sich in ihrer unveräußerlichen Freiheit zu einer (staatlichen) Gemeinschaft zusammentun? Sie schlossen einen Gesellschaftsvertrag (Contrat social) miteinander. Die Ordnung und Gesetze dieser staatlichen Gemeinschaft, durch (Mehrheits-) Abstimmungen festgestellt, repräsentieren die Volonté générale, den »allgemeinen Willen«, dem sich jeder Einzelne zu unterwerfen hat – auch wenn er persönlich anderer Meinung ist.

Diese nicht besonders realitätsnahe Konstruktion wurde durch die Französische Revolution als Prinzip der Volkssouveränität zur Grundlage der Legitimation staatlicher Herrschaft in den westlichen Demokratien.

Was danach geschah: Heute heißt es im Artikel 20 Absatz 2 des deutschen Grundgesetzes: »Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.« Die Ideen Montesquieus von der Gewaltenteilung und die Rousseausche Volkssouveränität sind hier bündig zusammengefasst. Sie bildeten die gedankliche Grundlage für die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika von 1787/1789. Durch den revolutionären Akt der französischen Nationalversammlung im Jahr 1789 wurde auch in Europa der Weg dafür frei gemacht.

FRANZÖSISCHE REVOLUTION

»Revolution« war ursprünglich überhaupt kein revolutionärer Begriff und hatte nichts mit Politik zu tun. In der Astronomie bezeichnete man damit seit der Zeit von Kopernikus, Kepler und Galilei die Umlaufbewegung der Planeten um die Sonne – nachdem man gerade erst entdeckt hatte, dass es eine solche Umlaufbewegung gab und auch die Erde auf solche Weise »revolucionierte«. Der Titel von Kopernikus’ wahrhaft revolutionärem Buch lautete: De revolutionibus orbium caelestium (»Über die Umläufe der Himmelskörper«). Später wurde daraus ein Alltagsbegriff (»Revolution des Geschmacks«) und erst danach ein politischer Begriff. Die Französische Revolution hatte viele Ursachen, aber vor allem zwei Anlässe: die schlechten Ernten der Vorjahre, die 1789 zu einem Höchststand der Getreidepreise führten, und die exorbitanten Staatsschulden.

Am 5. Mai 1789 versammelten sich die Generalstände in Versailles. Der Finanzminister wollte zur Überbrückung des Staatsdefizits eine 80-Millionen-Anleihe. Strittig zwischen Adel und Klerus auf der einen und (bürgerlichem) Dritten Stand auf der anderen Seite war der Abstimmungsmodus. Stimmte man nach Ständen ab, hätten Adel und Klerus die Mehrheit. Bei einer Abstimmung nach Köpfen war eine bürgerliche Mehrheit denkbar. Darüber wurde bis Mitte Juni keine Einigung erzielt. Der Moment der Revolution war gekommen, als sich am 17. Juni 1789 der Dritte Stand zur alleinigen Nationalversammlung erklärte. Mit dieser Erklärung, nicht mehr Vertreter eines Standes, sondern der gesamten Nation zu sein, war die »Verfassung« mit einem Schlag grundlegend verändert. Frankreich hatte einen neuen Souverän.

20. Juni 1789

BALLHAUSSCHWUR    König Ludwig XVI. wollte weitere Zusammenkünfte des zur »Nationalversammlung« mutierten Dritten Standes verhindern, indem er den Versammlungssaal in Versailles sperren ließ. Die Abgeordneten trafen sich daraufhin im benachbarten Jeu de Paume. Die geräumige Mehrzweckhalle diente normalerweise dem Ballsport, nämlich der Jeu de Paume genannten Vorläuferform des Tennis. In diesem »Ballhaus« schworen die Deputierten, nicht mehr auseinanderzugehen, bis der Staat eine neue Verfassung hatte.

14. Juli 1789

DER STURM AUF DIE BASTILLE    König Ludwig XVI. gibt zunächst nach und befiehlt Adel und Klerus, mit der Nationalversammlung zu kooperieren, doch am 11. Juli entlässt er den beim Volk beliebten Finanzminister Necker und zieht Truppen in Versailles zusammen. Als die Nachricht am 12. Juli das überbevölkerte Paris erreicht, fürchtet die hungernde Menge eine Gegenrevolution der Aristokraten. Drei Tage lang wogt die Volksmasse zwischen Hôtel de Ville und Hôtel des Invalides hin und her, auf der Suche nach Waffen. Auch in der Bastille soll es Waffen und Schießpulver geben. Das zinnenbewehrte Festungsbauwerk am Ostrand der Stadt, mitten im Arme-Leute-Viertel Faubourg St. Antoine, wurde im Hundertjährigen Krieg als Bollwerk gegen die Engländer errichtet und später als Gefängnis genutzt. Am Nachmittag des 14. Juli kann der Kommandant das Gebäude mit einer kleinen Garnison von Invaliden und 30 Schweizern kaum noch verteidigen. Eine Schießerei fordert ungefähr 100 Opfer, dann wird die Bastille von der aufgebrachten Menge zerstört. Der abgeschlagene Kopf des Kommandanten wird kurz darauf auf einem langen Spieß durch die Stadt getragen. Der Sturm auf die Bastille gilt als Rettung der Revolution durch das Volk von Paris; der ereignisreiche Tag ist der französische Nationalfeiertag.

Was danach geschah: Beschlüsse zur Abschaffung des Adels und der feudalen Standesrechte, zur Einziehung der Kirchengüter und der Einteilung Frankreichs in 83 Departements folgten im Sommer und Herbst. Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte wurde am 28. August verkündet, die formelle schriftliche Verfassung 1790 verabschiedet. Die Revolution pflanzte sich auch in der Provinz fort, die Aristokraten verließen scharenweise Frankreich. Die Staatsverfassung, zunächst als konstitutionelle Monarchie geplant, wurde nach der vereitelten Flucht der königlichen Familie von 1791 im Jahr darauf in eine Republik umgewandelt. Ludwig XVI. war abgesetzt. Er und seine Frau Marie Antoinette wurden noch im gleichen Jahr 1792 zum Tod verurteilt und 1793 mit der Guillotine hingerichtet.

1792

JAKOBINER UND GIRONDISTEN    Die Entscheidung im französischen Nationalkonvent von 1792, die Jakobiner aus der Sicht der Rednertribüne links und die Girondisten rechts zu platzieren, ergab in den Staaten mit parlamentarischen Demokratien eine nachhaltige und wirksame Möglichkeit zur politischen Orientierung. Die Girondisten, die »Rechten«, repräsentierten die gemäßigten Republikaner, die Jakobiner, die »Linken«, hingegen die Radikaldemokraten, die in der Folgezeit (1793–1794) die Schreckensherrschaft in Frankreich errichteten. Der »politische Klub« der Jakobiner, der die Interessen der kleinen Leute vertrat, hieß nach seinem Versammlungsort, dem ehemaligen Kloster St. Jacques in Paris. Der Kern der gemäßigten Girondisten stammte aus der Gegend von Bordeaux (Gironde).

Die heute weit verbreitete Anordnung der Abgeordnetensitzplätze wie in einem Amphitheater hat historische, symbolische und praktische Gründe. Das erste moderne republikanische Parlament, der französische Nationalkonvent, tagte im Theatersaal des (1882 abgebrochenen) Tuilerien-Palastes in Paris. Das Parlament sollte die Einheit der Nation und des Volkes, das es repräsentierte, zum Ausdruck bringen, was in der Halbkreisform besser deutlich wird, als wenn sich die Abgeordneten gegenübersitzen wie in England. Dort versammelten sich die Abgeordneten in der Frühzeit in einer Kirche und wurden im Chorgestühl platziert. Als Symbol der Einheit der Nation fungiert in England der Monarch auf seinem Thron und die Abgeordneten sprechen nicht von einem Rednerpult, sondern von ihrem Platz aus.

1792/1793