Was danach geschah: Unter Hammurapis Nachfolgern schwand die Macht seiner Dynastie. Es war das Schicksal Mesopotamiens, von immer neuen Völkern erobert und innerhalb wechselnder Grenzen beherrscht zu werden – bis in die Gegenwart. Das altbabylonische Reich endete 1530 v. Chr. mit der kurzzeitigen Eroberung seiner Hauptstadt durch den Hethiterkönig Mursˇili. Dessen Großmacht verfügte zu jener Zeit bereits über ein Monopol in der Eisengewinnung und -verarbeitung – und Eisen durchschlägt Bronze. Unmittelbar darauf herrschten im Gebiet Babylons bis 1160 v. Chr. die iranischen Kassiten, ein halbnomadisches, kriegerisches Bergvolk, das mangels Zeugnissen keiner Sprachfamilie zuzuordnen ist. Ihre vierhundertjährige Herrschaft bedeutete einen kulturellen und wirtschaftlichen Rückschritt für Babylon, auch wenn die Kassiten-Könige im 14. Jahrhundert v. Chr. Beziehungen zu Ägypten, insbesondere zu Echnaton und Tutenchamun, unterhalten hatten.
SIEBEN-TAGE-WOCHE Sumer, Akkad, Assur und Babylon unter Hammurapi werden manchmal etwas pauschal unter der Bezeichnung »Alt-Babylon« zusammengefasst. Die »altbabylonische Zeitrechnung« ist das älteste nach wie vor lebendige Kulturgut, das uns überliefert ist. Zu den heute noch präsenten Kalendervorstellungen der Alt-Babylonier zählen etliche Sternbilder, der Tierkreis, die Sieben-Tage-Woche sowie der Sabbat, aus dem in spätantiker Zeit der sonntägliche Ruhetag wurde.
Ganz zu Anfang zählte man die Woche zu fünf Tagen nach den Fingern an einer Hand. Dann beobachtete man, dass die auffälligste rhythmische Erscheinung, der Mondzyklus, sich (annähernd) in vier Viertel zu je sieben Tagen unterteilen ließ. Die Altbabylonier, vermutlich schon die Sumerer, verknüpften die Tage mit den sieben Wandelsternen einschließlich Sonne und Mond, die allesamt mit bloßem Auge am Himmel zu sehen sind. Diese »Planeten« wurden für Götter gehalten und mit Götternamen benannt. Die Wochentage hießen nach den Planetengöttern, ganz wie in dem uns vertrauten Kalender: Sonntag, Montag …
Bezeichnenderweise steht die Zeitmessung auch am Anfang des biblischen Schöpfungsberichts: »Es war Abend und es ward Morgen: erster Tag« (Genesis 1, 5). Hier wird die Nacht gezählt, was typisch ist für »Mondkalender«, die verbreitetste Kalenderform in den alten Kulturen. Das »Sieben-Tage-Werk«, der Bericht von der Schöpfung der Welt in der Genesis, beruht also auf bereits fest etablierten Kalendervorstellungen, die überall im Nahen Osten aus Mesopotamien mit seiner großen kulturellen Ausstrahlungskraft übernommen wurden. Der Jahwe oder Elohim der Bibel hat sie nicht erfunden.
Übrigens: Die sonst so schlauen Griechen hatten erstaunlicherweise ein sehr umständliches Kalenderwesen, das nichts zur weiteren Entwicklung beitrug.
SABBAT Wort und Brauch Schabbaton sind babylonischen Ursprungs; an diesem »Vollmondtag«, den man für einen Unglückstag hielt, sollte die Arbeit ruhen, da sie nicht unter guten »Vorzeichen« stand. Das schwingt noch im englischen Saturday mit, da Saturn ein eher düsterer Gott der Melancholie war. Im christlichen Zusammenhang ist der Ruhepausentag natürlich nicht identisch mit dem jüdischen Sabbat, sondern man nimmt den darauffolgenden als »Tag des Herrn« (französisch dimanche, spanisch domingo). Diese Bezeichnung wird erst im 4. Jahrhundert n. Chr. im Römischen Reich offiziell. Das deutsche und englische Sonntag und Sunday (lateinisch sol invictus-Tag) ist schon vorher entstanden.
HEXAGESIMALSYSTEM Schon die Babylonier konnten Zahlen mit sehr reduzierten Zeichen schreiben, und sie hatten bereits einen ähnlichen Begriff von deren Stellenwert wie die moderne Mathematik. Allerdings benutzten sie nicht das Dezimalsystem, sondern das Hexagesimalsystem, das auf der Grundlage der Zahl 60 beruht. Unsere Einteilung des Kreises in 360 Grad und die Stundeneinteilung in 60 Minuten zu 60 Sekunden gehen auf dieses babylonische System zurück.
DER BABYLONISCHE TIERKREIS In enger Analogie zum Monatskreis steht der Tierkreis. Die Babylonier unterteilten die Sonnenbahn in zwölf etwa gleich lange Abschnitte. Diese belegten sie mit Sternbildernamen. Ob Mythenhelden, Götter oder Kulttiere, man sah darin immer göttliche Wesen. Dieser Himmel war sehr lebendig und voller Bedeutungen. Alle Tierkreiszeichen außer »Skorpion« und »Fische« haben ein babylonisches Vorbild.
ca. 1800/1700 v. Chr.
ABRAHAM Für Abraham war diese polytheistische Welt mit ihren vergöttlichten Planeten und Sternbildern, ihren Feld-, Wald-, Wiesen- und Tiergottheiten oder ihren lokalen Götterstandbildern oberflächlich und austauschbar. Für ihn waren diese Götter tot. Er postulierte den Glauben an ein einziges, einheitliches göttliches Prinzip: an einen Gott, dem der Mensch Gehorsam schuldete.
Der biblische Urvater Abraham ist natürlich keine historische Persönlichkeit, genauso wenig wie König Artus, aber als literarische Gestalt lässt er sich einem bestimmten Umfeld zuordnen. Man sieht ihn in etwa als »Zeitgenossen« Hammurapis. Nach den Schilderungen der Bibel kann man sich ihn als eine Art Nomadenfürsten oder Scheich vorstellen, der aus Ur stammte und an der Seite seines Vaters nach Haran im heutigen Syrien gekommen war. In späten Jahren wies ihn sein Gott Jahwe an, mit seinem Nomadentross nach Kanaan zu ziehen. Als er nach einem langen Umweg über Ägypten und den Negev dort eintraf, schloss Jahwe mit Abraham einen Bund und versprach ihm: »Ich will deine Nachkommenschaft zahlreich machen wie den Staub der Erde.« (Genesis 13, 16). Auf dieser Verheißung beruht der Name Abraham, was wörtlich »Vater der Vielen«, »Vater der Völker« bedeutet. Doch Abraham hatte nur einen Sohn, den Isaak (den er beinahe opferte). Das Versprechen erfüllte sich erst mit seinen Urenkeln, den zwölf Söhnen Jakobs.
So wird eine historisch sicher ganz anders verlaufene Geschichte vom Zusammenwachsen mehrerer Nomadenclans zu einem »Volk« als geradlinige Abstammungsgeschichte erzählt. Geschichte als Familiengeschichte kann man sich leichter merken. Den Juden gilt Abraham als Urvater. Die von ihm ebenfalls auf Gottes Geheiß vorgenommene Beschneidung der Knaben ist das Zeichen der Zugehörigkeit zu seinem Volk.
Wegen ihrer gemeinsamen »Abstammung« aus der monotheistischen biblischen Tradition werden die drei Religionen Judentum, Christentum und Islam auch »abrahamitische« Religionen genannt. Die Namensversion auf Arabisch lautet »Ibrahim«.
ab ca. 2000 v. Chr.
HETHITER Neben Babyloniern, Assyrern, der minoisch-kretischen Kultur und Ägypten gab es im Vorderen Orient ab etwa 2000 v. Chr. noch das Großreich der Hethiter. Es umfasste einen Teil der heutigen anatolischen Türkei. Bereits bei den Griechen der klassischen Antike war das Hethiter-Reich gründlichst in Vergessenheit geraten. Erst im späten 19. Jahrhundert wurde es von Archäologen und Sprachforschern wiederentdeckt, und man erkannte sehr schnell, dass es sich um ein Volk mit indoeuropäischer Sprache handelte.
2000 v. Chr.
HATTUSA Die Hethiter nannten ihr Reich »Hatti«. Die Ägypter, mit denen sie in diplomatischem und zuweilen auch feindlichem Kontakt standen, nannten sie Ht’, die hebräische Version lautet Hittim. Die Hauptstadt Hattusa (gesprochen: hattusch) ist noch immer nicht vollständig ausgegraben. Sie hatte unter anderem ein »Löwentor« und vermutlich auch Königsgräber.
Die Hethiter schufen ausgedehnte Steinbauten, besaßen ein hochstehendes Kunsthandwerk und schrieben ihre Sprache in Keilschrift. Hauptsächlich über die benachbarten Assyrer trieben sie Handel mit ganz Mesopotamien. Ihr Regierungssystem war eine Art Feudalsystem mit einem König an der Spitze. Sie gehörten zu den ersten, die Eisen verarbeiten konnten, was ihnen im Konzert der vier Großmächte der Bronzezeit eine herausragende Stellung verlieh. König Muršili, plünderte Babylon 1530 v. Chr. und besiegelte damit das Ende der Dynastie Hammurapis. Die berühmteste Verbindung aber bestand zu einem Ort, den die Hethiter »Wilusa« nannten. Es könnte ein Vasallenstaat, ein bronzezeitliches Kleinkönigtum oder ein Handelspartner gewesen sein. Womöglich handelte es sich bei diesem »Wilusa« um das griechische Wilios / Ilios / Ilion, den Namensgeber für die Ilias, zu Deutsch: Es handelte sich um Troja.