MODERNE
20. und 21. Jahrhundert
Der zweite Parteitag der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands fand nicht in Russland, sondern 1903 in London statt. Wladimir I. Uljanow (1870–1924), Deckname: Lenin, forderte auf dieser Versammlung den Sturz des zaristischen Regimes, kurz: einen Staatsstreich und keine sozialdemokratischen Reformen.
1903
BOLSCHEWIKI Lenin erhielt für seine radikale Forderung nach einer Revolution auf dem Parteitag eine Mehrheit (russisch: bolschinstwo). Die Bolschewiki sind also »die Mehrheit« im Gegensatz zu den lediglich reformerisch gesinnten Menschewiki (die »Minderheitler«). Aus der Bolschewiki-Fraktion der russischen Sozialdemokraten ging die Kommunistische Partei Russlands hervor, eine straff geführte Kaderpartei. Lenin und die Bolschewiki bekannten sich zur »Diktatur des Proletariats«, wie Karl Marx sie gefordert hatte. Demokratie, Liberalismus, Pluralismus und Gewaltenteilung lehnten sie ausdrücklich ab.
1905
PANZERKREUZER POTEMKIN Nach dem Beginn des Krieges zwischen Russland und Japan im Winter 1905 fanden in ganz Russland Demonstrationen, Streiks, vor allem der Eisenbahner, aber auch Meutereien statt. Der Unmut richtete sich gegen Armut, Hunger und die allgegenwärtige Unterdrückung durch Zar Nikolaus II. (1868–1918). Die Unruhen wurden gewaltsam beendet, etwa beim Petersburger Blutsonntag 1905 mit Hunderten von Toten. Auch die Meuterei auf dem »Panzerkreuzer« (eigentlich war es ein Schlachtschiff) Potemkin im Schwarzmeerhafen Odessa wurde blutig unterdrückt. Das Ereignis war die Vorlage für den berühmten Stummfilm aus dem Jahr 1925. Diese »Russische Revolution« hatte keinerlei revolutionäres Ergebnis. Der Zar machte kleinere Zugeständnisse und blieb – weiterhin ohne Machteinschränkungen durch eine Verfassung – noch zwölf Jahre lang auf dem Thron, auch wenn eine Duma (Volksvertretung) eingerichtet wurde.
Lenin befand sich damals in Russland, floh aber vor der Geheimpolizei zuerst nach Finnland, dann in die Schweiz.
1917
FEBRUARREVOLUTION – OKTOBERREVOLUTION Das Zarenregime unter Nikolaus II., innerlich zerrissen zwischen Machterhalt und Reform, hielt den Belastungen des Ersten Weltkriegs nicht stand. Es mangelte schließlich an allem, Brennstoff, Nahrung, dazu kamen die militärischen Rückschläge. Die im Februar 1917 ausgebrochenen Unruhen streikender Soldaten- und Arbeiterfrauen wurden von den Gardisten nicht niedergeschlagen. Die Generalität zwang den Zar am 15. März zur Abdankung. Nach dem julianischen Kalender trugen sich die Ereignisse hauptsächlich im Februar zu. Zwei bürgerliche Regierungen konnten die Probleme aber auch nicht lösen.
Gleich nach der Februarrevolution schleuste die deutsche Heeresleitung Lenin im plombierten Eisenbahnwaggon von seinem Schweizer Exil quer durch Deutschland nach Russland, in der Hoffnung auf eine weitere Destabilisierung der dortigen Lage durch revolutionäre Umtriebe. Am 25. Oktober (julianischer Kalender) verhafteten Lenin und der Vorsitzende des Petrograder Sowjets, Leo Trotzki, im Winterpalais in Sankt Petersburg handstreichartig die Mitglieder der amtierenden Regierung. Die Oktoberrevolution (nach gregorianischem Kalender schon am 7. November) war also kein Massenaufstand auf Barrikaden, sondern ein Staatsstreich im Palast. Außer dem Platzpatronenschuss aus der Kanone des Panzerkreuzers Aurora, der einigen Truppeneinheiten das Signal gab, strategisch wichtige Punkte der Stadt zu besetzen, gab es keine öffentlichen Schießereien.
ab 1920
LUBJANKA Bürgerliche, Zaristen, Sozialdemokraten, die Geistlichkeit, andere vermutete Oppositionelle und Konterrevolutionäre und vor allem die Kulaken, die wohlhabenden Bauern, wurden durch die sowjetische Staatssicherheitspolizei Tscheka systematisch terrorisiert, in Lager interniert oder ermordet. Als Hauptquartier diente der Tscheka ein ehemaliges Versicherungsgebäude am Lubjanka-Platz in Moskau. Es wurde mit seinem berüchtigten Gefängnis und den Folterkellern zum Inbegriff der sowjetischen Willkürherrschaft. Alle späteren sowjetischen Geheimdienste, GPU, NKWD, KGB, hatten hier ihre Zentrale.
1919
KOMINTERN Die 1889 gegründete Sozialistische Internationale, auch Zweite Internationale genannt, war eine lockere Vereinigung sozialistischer/sozialdemokratischer Parteien gewesen. Ganz anders die Dritte, nunmehr Kommunistische Internationale (Komintern), ein Zusammenschluss kommunistischer Parteien, deren erklärtes Ziel die Ausbreitung der Weltrevolution war. Lenin hielt eine proletarische Revolution in den Industrieländern für konsequent und wünschenswert. Russland aber war viel mehr ein Bauern- als ein Arbeiterstaat. Die Unruhen nach Kriegsende im industrialisierten Deutschland schienen die Weltrevolution in Reichweite zu rücken. Die KPD war die bedeutendste kommunistische Partei außerhalb Sowjetrusslands. Zur Unterstützung der Kommunisten in den verschiedenen europäischen Ländern war die Komintern gedacht.
Bis zu Lenins Tod machte sich die Komintern mit gescheiterten Umsturzversuchen in Hamburg, Estland und Bulgarien lächerlich. Unter Stalins Einfluss wurde sie zu einem Instrument der sowjetischen Außenpolitik.
Im Ersten Weltkrieg waren erstmals Länder und Kriegsteilnehmer praktisch aller Kontinente in das Geschehen miteinbezogen: Der Hauptschauplatz war Europa, aber auch in den Kolonien Afrikas wurde gekämpft. Indische, australische und kanadische Truppen standen in Europa, die Engländer bekämpften das Osmanische Reich im Nahen Osten, der Kriegseintritt der USA 1917 wirkte sich entscheidend aus, Japan führte gleichzeitig einen Krieg im pazifischen Raum. So schrecklich jeder einzelne Krieg der Weltgeschichte bisher war – im Vergleich damit blieben sie regional überschaubar. Die umfassende Technisierung und Industrialisierung, der Weltverkehr und die globalen Interessen der Kolonialmächte hatten im 19. Jahrhundert die Voraussetzungen für diesen weltweiten Krieg geschaffen.
1914
ATTENTAT VON SARAJEWO Auslösendes Moment für den Ersten Weltkrieg war die Ermordung des österreichisch-ungarischen Thronfolgerpaares am 28. Juni 1914 durch einen serbischen Nationalisten in der bosnischen Hauptstadt Sarajewo. Die Serben strebten nach einem südslawischen Großstaat auf dem Balkan, wurden darin vom damals noch zaristischen Russland unterstützt und damit auch von der Triple Entente (Russland, Großbritannien, Frankreich). Österreich auf der anderen Seite hatte die Unterstützung des Deutschen Reichs. Nach der Kriegserklärung Österreichs an Serbien am 28. Juli 1914 traten aufgrund der damaligen Bündnissysteme die bereits mobilisierten europäischen Mächte binnen weniger Tage in den Krieg ein. Die österreichisch-serbische Lokalkrise wurde in kürzester Zeit zum Großkrieg.
MATERIALSCHLACHT Die Unmengen an herangeführtem Material, neuer Kriegstechnik (Panzer, Luftwaffe, U-Boot, Maschinengewehr, Gas) und Menschenmassen (über 70 Millionen Mobilisierte) stellten eine völlig neue Dimension der Kriegführung dar. Begriffe wie »Materialschlacht«, »Grabenkämpfe«, »Stellungskrieg«, »Trommelfeuer« charakterisieren den Kriegsverlauf, der ungeheure Gelder in allen Ländern verschlang. Der Krieg war eine einzige Katastrophe ohne irgendein »positives« Ergebnis, eine ungeheure gegenseitige Zermürbung auf allen Seiten mit kolossalen Menschenverlusten (ca. 15 Millionen Soldaten und Zivilisten). Praktisch die gesamte junge Generation Europas verblutete auf den Schlachtfeldern.