Diese schwächende Krankheit war für einen Orc unwürdig, und sie würde nicht gewinnen. Das würde er nicht zulassen.
Er grollte, ein Laut, der tief aus seiner Brust drang, dann sammelte er all seine Kraft und nutzte sie für zwei Dinge: um Spalter zu heben und den Mund zu einem Kampfschrei aufzureißen.
Die Stimmen der anderen Frostwölfe gesellten sich fast augenblicklich zu seiner hinzu. Sein Sohn und Orgrim setzten sich neben ihn, und so, wie sie es schon viele Male gemeinsam mit Geyah getan hatten, ritten sie als Einheit los, ihre Wölfe so dicht nebeneinander, dass sie einander berührten. Anschließend teilten sie sich auf, und jeder ritt auf sein eigenes Ziel zu.
Garad konzentrierte sich auf den Anführer. Während er ihn noch ansah, lächelte der andere Orc und nickte. Er hielt eine Axt, auf der etwas Klebriges glänzte – Baumharz. Zweifelsohne hatte dieser respektlose Kerl sie benutzt, um die Äste von den Bäumen zu hacken. Garad nutzte seinen Zorn über diese Tat als Antrieb, und er spürte, wie neue Energie in ihm hochstieg, echte Energie, wenn sie auch durch Blutdurst erkauft war.
Der kahlköpfige Orc brüllte und rannte ihm entgegen, wobei seine stämmigen Beine ihn so schnell vorantrugen, wie es im Schnee nur möglich war. Doch selbst der schnellste Orc war nichts verglichen mit einem berittenen Frostwolf, und Garad grinste, als er seinem Feind praktisch entgegenflog.
Eis war ebenfalls für diesen Kampf bereit. Sein Maul stand offen, und seine rote Zunge hing zwischen seinen scharfen, weißen Zähnen hervor. Garad hob Spalter, beide Hände um den Axtgriff geschlossen, und wartete den richtigen Moment ab, um sich vorzubeugen und seinen Gegner zu köpfen.
Doch da schrie der Orc: „Mak’gora!“
Der Häuptling verlagerte abrupt das Gewicht, und Eis wich ungelenk zur Seite aus. Noch nie hatte Garad davon gehört, dass eine Herausforderung zum Mak’gora mitten in der Schlacht ausgesprochen wurde. Die Rotläufer sahen sich einer sicheren Niederlage gegenüber; den Ausgang nun durch einen Zweikampf entscheiden zu wollen, kündete von purer Feigheit. Wären die Frostwölfe in der Unterzahl gewesen, hätten sie selbst gegen eine erdrückende Übermacht bis zum Tod gekämpft, um ehrenvoll zu sterben. Niemals hätten sie versucht, den Ausgang der Schlacht zu verändern, indem sie sie auf ein Duell reduzierten!
Garads Verachtung für die Rotläufer nahm weiter zu, aber gleichzeitig erfüllte ihn Sorge. Unter normalen Umständen wäre er dem Südländer mehr als gewachsen, aber dies waren keine normalen Umstände: Seine Glieder wogen schwer und drohten, ihn im Stich zu lassen. Er konnte sich nicht auf seine verbliebene Körperkraft verlassen.
Doch wie könnte er so tun, als hätte er die Herausforderung nicht wahrgenommen? Falls andere sie gehört hatten und sahen, dass er das Mak’gora nicht ehrte, dann wäre er es, der sich beschämte, nicht der Eindringling. Sein Feind sah die widerstreitenden Gefühle auf Garads Gesicht, und ein herzloses Grinsen verzerrte den Mund um seine Hauer.
Diese Unverfrorenheit war mehr, als Garad dulden konnte. Er sprang von Eis’ Rücken, stolperte leicht, gewann aber schnell das Gleichgewicht wieder, als er seinen Willen darauf konzentrierte. Du bist stark, sagte er sich. Diese Krankheit wird vorübergehen. Sie wird dich nicht in die Knie zwingen. Du bist ein Häuptling, und sie ist nichts. Du wirst diesen Herausforderer besiegen, und deine Frostwölfe werden die Rotläufer auslöschen.
„Ich nehme an“, knurrte er und griff an.
Die harzbesudelte Axt prallte gegen Spalter, als wäre er nur eine Übungswaffe für Kinder, und wischte ihn mit erschreckender Leichtigkeit beiseite. Garad fing sich, packte seine Axt fest mit beiden Händen und versuchte, auf den Beinen zu bleiben. Sollte er jetzt stürzen, wäre das sein Todesurteil.
Der Rotläufer ging nun in die Offensive, und allein, Spalter zu heben und die tödlichen Schläge zu parieren, war so anstrengend, dass Garad laut ächzte. Zu mehr war er gar nicht mehr in der Lage; weder in seinen Armen noch in seinen Beinen oder sonst wo in seinem Körper steckte noch genug Kraft, um selbst einen Angriff auszuführen. Zu spät erkannte er, dass er einen Fehler gemacht hatte, als er sich zu diesem Zweikampf provozieren ließ. Zorn und Schmerz durchströmten ihn, und ausgerechnet aus ihnen zog er schließlich die nötige Energie, um die mächtige Axt zu heben und sie in einem letzten, gewaltigen Hieb horizontal durch die Luft zu schwingen.
Doch der Orc war nicht mehr da. Er war zur Seite gesprungen, und nun lachte er ungeniert über Garads Anstrengungen. Ringsum kristallisierten sich die Frostwölfe als klare Gewinner dieser Schlacht heraus. Die Rotläufer kämpften gut, aber sie stolperten im Schnee und sahen sich einer zahlenmäßigen Übermacht gegenüber. Der kahlköpfige Orc blickte sich schmunzelnd um.
„Ich bringe das wohl besser schnell zu Ende“, sagte er. „Nur du und ich scheinen zu wissen, dass dies ein Mak’gora ist.“
Er hob seine Axt. Garad knurrte wütend und versuchte, Spalter ebenfalls in die Höhe zu stemmen. Hilflos musste er mitansehen, wie seine Arme zitterten und die Axt nur ein paar Fingerbreit nach oben wanderte, bevor sie seinen kraftlosen Händen entglitt.
Sei’s drum. Dann soll dies das Ende sein, dachte er. Ich sterbe im fairen …
Mit einem Mal wurde ihm alles klar. Sein Feind hatte gewusst, dass er leicht zu besiegen sein würde.
Das Messer – Gul’dans Klinge …
Bei dieser Erkenntnis breitete sich eine Kälte, frostig wie der Winter, in Garads Eingeweiden aus.
Dann sauste die Axt des Rotläufers herab.
6
Eis brauchte neben der Leiche seines Meisters keinen anderen Reiter.
Der große Frostwolf hatte erbärmlich geheult, als Garad gefallen war, anschließend war er vorgestürmt und hatte seinem Mörder ein blutiges Ende gemacht. Jetzt stand er still, zitternd, während Durotan die Leiche seines Vaters auf den starken Rücken des Tieres lud. Die Blicke von Orc und Wolf begegneten einander, und Durotan sah eine Reflexion seiner eigenen Trauer in Eis’ großen, bernsteinfarbenen Augen. Die meisten Orc-Klans sahen in den Wölfen, die sie ritten, lediglich Bestien – Reittiere, nichts weiter. In manchen Fällen hielt man sie gar für unbedeutender als die Waffen, die ihre Reiter in der Schlacht trugen, weil lebende Wesen früher oder später starben und nicht an die nächste Generation weitervererbt werden konnten.
Die Frostwölfe hatten nie so empfunden. Diese Tiere wählten ihre Reiter, nicht andersherum, und sie blieben ihren Meistern treu, bis dieses Band durch den Tod gebrochen wurde. Eis würde trauern; nicht auf dieselbe Weise wie ein Orc, aber doch wirklich und wahrhaftig. Durotan fragte sich, ob der Wolf sich wohl je wieder von jemandem reiten lassen würde. Mitgefühl mit dem mächtigen Tier und mit seiner Mutter, der er die schreckliche Nachricht überbringen musste, drohten, sein Herz zu zerreißen. Er gestattete sich einen kurzen Moment, um sich mit seinem Verlust auseinanderzusetzen. Vater. Freund. Lehrer. Häuptling.
Das Leben am Frostfeuergrat war hart, und im Lauf der Zeit war es nur noch härter geworden. Es war nicht ungewöhnlich, dass ein Vater vor seinem Kind starb. Doch es war die Art, wie Garad sein Leben verloren hatte, die so schwer auf Durotan lastete. Er war seinen Leuten viele Jahre lang ein weiser, starker Anführer gewesen. Er hatte es nicht verdient, unter solchen Umständen dahinzuscheiden.
Sein Sohn und viele andere hatten gesehen, dass Garad während seiner letzten Augenblicke nicht mehr in der Lage gewesen war, Spalter zu halten.