Sie machten mehrere Tage am Rand des Waldes Rast, füllten ihre Wasserschläuche auf, schnitzten neue Pfähle, Speere und Pfeilschäfte und legten Schlingen aus, um kleine Tiere zu fangen.
Der Gesang der wilden Wölfe wurde immer lauter, als der Klan die Reise fortsetzte, aber die drohende Antwort seiner treuen Reittiere hielt die ansässigen Rudel von Angriffen ab. Nichtsdestotrotz befahl Durotan, dass sich seine Leute in bewaffneten Gruppen von mindestens drei Orcs zusammentun sollten, wenn sie sich auf die Suche nach Wasser oder Nahrung machten. Die alten Geschichten erwähnten auch mächtige Bären, so weiß wie die Frostwölfe, die keine Furcht kannten, aber Durotan vermutete, dass diese Tiere noch weiter im Norden lebten.
Die Jäger hielten auf ihren Ausflügen nicht nur nach Beute Ausschau, sondern auch nach allem anderen, was essbar wirkte. Sie lernten, dass das seltsame, harte Moos auf den Steinen nahrhaft war, wenn man es kochte, und sie lernten, den weißen Füchsen zu folgen und dort Schlingen auszulegen, wo diese Tiere jagten.
Eines Tages begann der Himmel, der bis dahin klar und von einem fast schon quälend intensiven Blau gewesen war, in der Nähe des Horizonts blasser zu werden. Als sie weiterzogen, fiel Durotan außerdem auf, dass die Wölfe nun häufiger als üblich in der Luft schnupperten, aber als er selbst tief einatmete, konnte seine Nase keinen ungewöhnlichen Geruch ausmachen.
Ein paar Stunden später runzelte Drek’Thar plötzlich die Stirn. „Brennt hier irgendwo ein Feuer?“, fragte er mit besorgter Stimme.
„Ich kann keines sehen“, erklärte Durotan. „Aber da ist ein weißer Dunst am Horizont.“
„Ich rieche … Rauch. Aber es ist fremdartiger Rauch. Er schmeckt wie … Metall. Oder Erde.“
Durotan wechselte einen besorgten Blick mit Draka, dann lenkte er Scharfzahn zu den besten Kriegern der Klans hinüber: Delgar, Kulzak und Zarka. „Ihr drei“, sagte er. „Reitet voraus und macht dann Meldung. Drek’Thar riecht Rauch, und ich glaube, die Wölfe ebenfalls.“
Sie nickten. „Rotläufer?“, fragte Zarka.
„Vielleicht. Aber was immer es ist, ich möchte wissen, was uns erwartet, bevor ich meine Leute dort hinausführe. Schont eure Wölfe. Seht nur zu, dass ihr zurück seid, bevor es dunkel wird.“
Die Krieger lächelten müde. „Wie mein Häuptling wünscht“, sagte Kulzak, bevor er und die anderen lospreschten und die Hauptgruppe hinter sich zurückließen.
Die Sonne war noch nicht untergegangen, als sie zurückkehrten. Sie hatten kleine Vögel oder kleine Tiere über die Rücken ihrer Wölfe geworfen, und Durotans Herz schlug schwerer, als er ihre Mienen sah. Hastig ritt er ihnen entgegen, denn er wollte ihren Bericht hören, bevor der Rest des Klans davon erfuhr.
„Was ist?“, fragte er. „Wer hat das Feuer entzündet?“
Die Krieger blickten einander an, und schließlich sagte Delgar: „Ich würde es nicht glauben, hätte ich es nicht mit eigenen Augen gesehen, aber …“
„Sprich.“
„Mein Häuptling … es ist die Erde selbst, die brennt.“
23
Durotan wollte schreien. Etwas zerschmettern. Etwas töten. Doch er zwang sich, seinen Zorn zu verdrängen, ihn tief in seinem Inneren einzusperren und langsam durchzuatmen, während er die Hände zu Fäusten ballte. »Wie ein Lauffeuer, meinst du?«, fragte er.
Die Krieger schüttelten den Kopf. „Der Rauch … er steigt vom Boden auf. Es gibt Stellen, wo nicht einmal die Wölfe gehen könnten“, berichtete Zarka.
Draka ritt zu ihnen herüber. Sie sagte nichts, aber allein mit ihrer ruhigen Präsenz schenkte sie Durotan neue Kraft. Doch dann sah er zu seiner Überraschung Drek’Thar, der Weisohr in die Richtung ihrer gedämpften Stimmen gelenkt hatte. „Gibt es einen Weg durch diese brennende Erde?“
„Ich …“ Zarka wirkte unsicher. „Es gab einige Bereiche, die sicher schienen, ja. Aber …“
„Dann müssen wir weiter.“
„Drek’Thar“, begann Durotan. „Man benutzt Erde, um ein Feuer zu löschen. Wenn hier die Erde selbst brennen kann, dann …“
„Das ist doch nichts Neues, mein Häuptling“, entgegnete der Schamane. „Feuer verwandelt sich in einen Fluss. Wasser erhitzt sich. Die Luft wird giftig. Die Erde selbst brennt oder verschlingt uns, und die Pflanzen verwelken am Stiel. Die Elemente sind krank, und in ihrer Qual wenden sie sich gegeneinander. Und gegen uns. Diese Gefahr – und ich weiß, dass es eine Gefahr ist, ebenso wie alles andere, was wir bislang sahen –, sie ist ein Symptom des Leids, das wir lindern müssen. Oder würdest du deiner Mutter etwa den Rücken kehren, weil sie im Fieberwahn nach dir schlägt oder schreckliche Dinge sagt?“
„Natürlich nicht!“
Drek’Thar lächelte. „Nein, das würdest du nicht. Dir wäre klar, dass sie dir nicht wehtun will, sondern krank ist und sich nicht kontrollieren kann. Ebenso ist es mit den Elementen. Sie sind wie unsere Eltern, unsere Familie. Sie ermöglichen es uns, in dieser Welt zu überleben. Mir ist etwas klargeworden: Je schlimmer die Dinger werden, desto wichtiger ist es, dass wir unsere Ängste überwinden und allen Gefahren zum Trotz an unserem Ziel festhalten.“
Durotan blickte zum Rest des Klans zurück. Er versuchte, sie so zu sehen, wie sie wirklich waren, ohne dass sein Blick durch die Liebe verzerrt wurde, die er für sie empfand. Sie waren erschreckend dürr und ungepflegt. Sie waren schmutzig. Ihre Kleidung war zerschlissen und erbärmlich. Einige Orcs hatten nicht einmal Stiefel und stattdessen Fellstreifen um ihre Füße gewickelt. Die Kinder lachten weder noch spielten sie; stattdessen kauerten sie unnatürlich still auf ihren Wölfen.
Sie konnten nicht mehr weiter. Nicht ohne Hoffnung.
Nein.
Er musste die Hoffnung am Leben erhalten, für sich selbst ebenso wie für seine Leute. Wir sind Frostwölfe, hatte er ihnen einst erklärt. Wir überleben. Und sie hatten überlebt. Sein Herz schwoll an vor Stolz auf den Klan. Was sie verloren hatten, hatten sie durch Neues ersetzt; sie hatten Lieder ersonnen, ihre Kinder liebevoll großgezogen, gelernt, selbst die magerste Nahrung zu essen, die man sich nur vorstellen konnte.
Sie verdienten etwas Besseres. Sie verdienten mehr als nur Hoffnung. Sie verdienten alles, was er ihnen versprochen hatte.
„Drek’Thar hat recht“, sagte er mit rauer Stimme. „Wir müssen weiter. Seit dem Anbeginn der Zeit haben die Geister sich unserer angenommen. Und wie gute Kinder müssen wir ihnen helfen, wenn sie krank oder schwach sind.“
Er drehte den Kopf und blickte Draka, Orgrim und Geyah an. „Aber als Häuptling bin ich zudem ein Vater für meine Leute, und ich muss mich um ihre Bedürfnisse kümmern. Darum werden Drek’Thar und ich allein zum Sitz der Geister reiten. Der Rest von euch bleibt hier und beschützt den Frostwolfklan.“
„Nein.“ Drakas Entgegnung kam ebenso schnell wie entschlossen. „Ich habe geschworen, an deiner Seite zu bleiben, Durotan, Sohn von Garad, Sohn von Durkosh. Ich werde dich nicht verlassen.“
Er lächelte sie an. „Ich bin auch der Vater unseres Kindes“, erklärte er. „Und ich werde es nicht in Gefahr bringen, bevor es überhaupt Gelegenheit hatte, sein Leben zu leben. Diesmal wirst du mich nicht umstimmen. Du und unser Kind, ihr müsst hierbleiben. Und du ebenfalls, Orgrim.“
„Aber …“
„Du bist mein Stellvertreter“, sagte Durotan. „Du musst hierbleiben, bei Draka. Ich weiß nicht, was mich dort draußen erwartet.“
„Du klingst, als hättest du nicht vor zurückzukommen.“ Drakas Stimme war beherrscht, aber er konnte sehen, dass sie zitterte. Er nahm ihre Hand.
„Solange eine Frau wie du auf mich wartet, werde ich alles in meiner Macht Stehende tun, um zurückzukommen“, versicherte er ihr mit leisem Humor. „Aber ich brauche Gewissheit, dass du in Sicherheit bist. Dass ihr alle in Sicherheit seid.“
„Ich lasse dich nicht allein reiten“, brummte Orgrim. „Wenn du mich schon nicht mitkommen lässt, dann verlange ich, dass unsere besten Krieger mit dir und Drek’Thar gehen.“