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„Und ich ebenfalls“, sagte Geyah, und sämtliche Blicke richteten sich auf sie. Während der langen Monate waren weitere weiße Strähnen in ihrem Haar erschienen, und die Entbehrungen hatten tiefe Linien in ihre Mundwinkel und ihre Stirn gegraben, die Durotan bislang nicht einmal aufgefallen waren. Er erinnerte sich noch daran, wie sie beide zusammen mit Garad und Orgrim nebeneinanderher geritten waren – eine vereinte Linie –, bis sie sich dann aufteilten, um ihre Beute zu erlegen. Das waren gute Zeiten gewesen. Wundervolle Zeiten.

Aber diese Tage waren vorbei. Es würde nie wieder so sein wie damals. Wenn sie die Welt retten wollten, würden Wünsche allein nicht ausreichen.

Doch vielleicht – nur vielleicht – würde ausreichen, was er und Drek’Thar tun konnten. Bei diesem Gedanken wurde ihm plötzlich klar, warum Geyah sie begleiten wollte.

Sie war die Wissenshüterin in einer Welt, in der die alten Traditionen bedeutungslos geworden waren. Ihr ganzes Leben hatte sie in den Dienst der Geister gestellt, hatte sie dafür gesorgt, dass andere von ihnen erfuhren und sie ehrten. Drek’Thar erfüllte seine Aufgabe, indem er seine Visionen mit dem Klan teilte; Geyah hingegen benutzte Worte, um ihren Beitrag zu leisten, und nicht etwa eigene, neue Worte, wie bei einem Lok’vadnod, das zum ersten Mal gesungen wurde, sondern die alten, die rituellen Worte, die geschmeidig waren wie lange getragenes Leder.

„Ja“, sagte er zu seiner eigenen Überraschung. „Du solltest mit uns kommen, Mutter.“ Er sah, wie sie sich unmerklich entspannte, und kurz fragte er sich, was wohl gewesen wäre, wenn sie seinem Plan ablehnend gegenübergestanden hätte. Hätte er diese Diskussion gewinnen können? Es stand zu bezweifeln. „Und auch deinem Vorschlag stimme ich zu, Orgrim. Es würde nichts bringen, wenn die vermeintlichen Helfer der Geister kurz vor dem Ziel einem wütenden Winterbären zum Opfer fallen.“

„Es wäre schon mehr nötig als ein Bär, um dich zu besiegen“, murmelte Draka zähneknirschend.

„Falls sie zwischen mir und dir stünden, könnte mich eine ganze Legion von Bären nicht aufhalten“, erklärte Durotan, und diesmal lag kein Humor in seiner Stimme. Es gab keinen Gegner, dem er sich nicht stellen würde, um wieder bei seiner Gefährtin und seinem Kind zu sein.

Sie konnte es in seinen Augen sehen, und ihre Züge wurden weicher.

„Also schön“, sagte er. „Ich, Drek’Thar, Geyah, Delgar, Kulzak und Zarka reiten über die brennende Erde zum Sitz der Geister.“

„Möchtest du ein paar Worte an den Klan richten, bevor ihr aufbrecht?“, fragte Orgrim.

Durotan blickte zu den Orcs zurück, aber dann schüttelte er den Kopf. „Man hält Ansprachen, wenn man vor der Schlacht Mut oder nach einem Unglück Trost spenden will. Nichts davon ist jetzt der Fall. Sag ihnen nur, dass wir vorausreiten, um das Terrain zu erkunden. Falls wir nicht zurückkehren, wisst ihr, was ihr zu tun habt.“ Er blickte von Orgrim zu Draka. „Ihr beide. Orgrim – führe sie erst einmal zurück zu der letzten Stelle, wo wir sauberes Wasser gefunden haben. Sie sollen sich ausruhen, bis wir wieder zu euch stoßen.“

„Ich kümmere mich darum. Wann können wir mit eurer Rückkehr rechnen?“

Darauf hatte Durotan keine Antwort. „Drek’Thar? Was sagst du?“

Der alte Schamane legte den Kopf schräg, als würde er einer fernen Stimme lauschen. „Es wird nicht lange dauern“, erwiderte er dann, wobei er die Worte beinahe summte. „Die Geister wissen, dass wir kommen. Sie erwarten uns ungeduldig. Wir müssen sie retten. Höchstens ein halber Tagesritt, dann sollten wir ihren Sitz erreichen.“

Durotan dachte kurz nach. Er hatte keine Ahnung, was sie erwartete, aber gewiss würde es einige Zeit dauern, den Geistern zu helfen. „Drei Sonnen“, sagte er. „Bis dahin sollte jemand zurückkommen. Falls wir Glück haben, werden wir dann bereits eine neue, sichere Heimat gefunden haben. Und falls nicht … bist du in vier Tagen der neue Häuptling.“

„Ich werde die Frostwölfe schützen, so wie du es tun würdest“, versprach Orgrim. „Aber du wirst zurückkommen. Du musst. Ich hätte ja kaum noch Zeit zum Trinken, wenn ich Häuptling spielen müsste.“ Die beiden lachten, obwohl seit der Flucht vom Frostfeuergrat niemand im Klan mehr Alkohol gekostet hatte. Anschließend wandte sich Orgrim den drei Kriegern zu, die Durotan begleiten würden. „Kommt“, sagte er. „Besorgen wir euch ein wenig Proviant für die Reise.“

Draka rutschte von Eis herunter und blickte zu Durotan auf, verwirrt, weil er noch immer auf Scharfzahns Rücken saß. „Willst du denn nicht absteigen und mich zum Abschied umarmen, mein Herz?“, fragte sie.

„Nein“, antwortete er. „Das wird mir als weiterer Anreiz dienen, zu dir zurückzukommen.“

Sie streckte ihm die Arme entgegen, und er drückte ihre Hände. „Du bist überzeugt, dass du das Richtige tust, das kann ich sehen“, murmelte sie.

„Ja“, nickte er. „Draka … ich glaube, all die Prüfungen, all die Verluste, all das Leid … das diente nur dazu, uns hierherzuführen, damit wir jetzt vor die Geister treten.“

„Dann sollst du auch vor sie treten“, erwiderte Draka. „Und anschließend kehrst du zu deiner Gefährtin zurück.“

Er beugte sich herab, und bevor er sie losließ, presste er seine Stirn noch einmal fest gegen die ihre.

24

Etwas in Durotans Seele hatte Ruhe gefunden. Was immer diese Pilgerreise bringen mochte – denn genau das war es, wie er nun erkannte –, er würde es akzeptieren. Er war während der schlimmsten Zeit in der Geschichte seines Volkes Häuptling geworden, und er hatte versucht, ein möglichst guter Anführer zu sein. Jetzt würde er gemeinsam mit zwei Schamanen, von denen einer der Älteste des Klans und die andere die Wissenshüterin war, einen Ort aufsuchen, den bislang nur ein einziger Orc gesehen hatte, wenn die Legenden recht hatten. Und auch dieser Orc war ein Häuptling der Frostwölfe gewesen.

Es fühlte sich gut und richtig an, dass er zumindest für den Moment die Frage beiseitelegen konnte, die ihn seit dem Tod seines Vaters beschäftigte: Die Frage, was geschehen würde, falls er versagte.

Es war ein seltsames Gefühl, wenn man bedachte, in welch düsterer Umgebung sie sich befanden. Delgar hatte nicht übertrieben: Die Erde selbst – oder irgendetwas in ihr – stand in Flammen. Rauchfahnen kräuselten sich wie Dunst von einem Boden hoch, der bar jeglicher Bäume oder Gräser war. Die Luft war atembar, aber unangenehm. Hie und da sah Durotan glühende Stellen, an denen kleine Flammen züngelten, aber nirgends erkannte er Anzeichen von Schnee oder Eis, die mit ihrem Wasser die tief im Boden eingebetteten, mürrisch qualmenden Feuer löschen könnten. Er suchte noch immer nach einer Erklärung dafür, dass Erde brennen konnte.

Doch war das wirklich wichtig? Wie konnte ein Berg flüssiges Feuer speien? Wie konnte sich einfach so der Boden auftun? Wie ließ sich irgendetwas von alldem erklären? Drek’Thar hatte ihm die einzige Antwort gegeben, die er brauchte: Die Geister waren krank.

Während sie dahinritten und versuchten, sich von den qualmenden Stellen fernzuhalten, blickte Durotan immer wieder zu dem Schamanen und zu Geyah hinüber. Auch sie wirkten ruhig, und er spürte eine fast schon jugendliche Ungeduld an ihnen. Seine Mutter hatte vorgeschlagen, dass Palkar beim Klan bleiben sollte. Sie würde Drek’Thar an seiner statt führen. So wäre das Risiko geringer, und falls sie aus irgendeinem Grund nicht zurückkehrten, gäbe es mit Palkar jemanden, der einen Großteil ihres Wissens in sich trug und die Tradition der Wissenshüter am Leben erhalten konnte.

„Wonach suchen wir?“, hatte Durotan Drek’Thar gefragt, als sie zu ihrer Reise aufgebrochen waren.

„Wir werden es wissen, wenn wir es sehen“, hatte der Schamane abwesend gemurmelt. Eine frustrierende Antwort, aber angesichts der Tatsache, dass sie sich ganz auf die Geister verlassen mussten, war es vermutlich die beste, die Drek’Thar ihm bieten konnte.