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Die Geister hatten einen Weg zum Berg eröffnet.

Geyah lächelte zu ihrem Sohn auf, dann nahm sie ihn bei der Hand, und er ließ sich, fast wie in Trance, an den Meeresrand führen. Zarka beschrieb Drek’Thar derweil, was vor sich ging, und der Schamane richtete sich mit strahlendem Lächeln auf, den Stab erhoben, um die Geister zu grüßen, die sie nicht im Stich gelassen hatten.

Durotan starrte eines der natürlichen Flöße an, das den Strand erreicht hatte und mit jeder sanften Welle über den Sand strich, fast so, als würde es ihnen zuwinken. Voller Demut blickten die Orcs einander an, dann trat ihr Häuptling vor. Er rief Scharfzahn zu sich, aber der Wolf wollte nicht an seine Seite kommen; er blickte nur voller Unbehagen zu der Eisscholle hinüber, die Ohren angelegt und unglücklich wimmernd.

Durotan traf eine Entscheidung. „Es gefällt mir nicht, dich hier zurückzulassen, aber noch weniger würde es mir gefallen, wenn du in Panik gerätst und wir alle ins Wasser stürzen“, sagte er. Die anderen Wölfe schienen ebenfalls bereit, hinter ihren Reitern zurückzubleiben. Nun, zumindest hätten sie nun Zeit, etwas zu Essen zu fangen. Sie würden sich nicht außer Hörweite vom Strand entfernen und schnell wie der Wind herbeieilen, sobald die Orcs zurückkehrten. Durotan tätschelte seinen Freund ein letztes Mal und stieg anschließend auf das Eisfloß.

Es wankte gefährlich hin und her, und er blieb reglos stehen, bis es wieder zur Ruhe gekommen war. Dann streckte er Geyah die Hand hin. Zarka und Kulzak nahmen jeweils einen von Drek’Thar Armen und führten ihn behutsam nach vorne. Delgar war der Letzte, der auf die Eisscholle kletterte.

Sie hatten keine Stangen, mit denen sie ihr „Floß“ hätten steuern können, und selbst, falls doch, keine Stange wäre lang genug gewesen, um den Grund dieses Gewässers zu erreichen. Aber Durotan sorgte sich deswegen nicht. Er entspannte die Schultern und öffnete sein Herz, während sich das Floß in den Wellen entgegengesetzter Richtung in Bewegung setzte und rasch auf die dunkelblaue Weite hinausglitt, dem gewaltigen Berg entgegen, wo sich der Sitz der Geister befand.

Durotan musste den Hals recken, als die blauweißen Gipfel in seinem Blickfeld emporwuchsen. Noch nie hatte er etwas Vergleichbares gesehen. Der Altvaterberg hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit diesem Gebilde, nicht einmal, wenn er im Winter in seine weiße Decke gehüllt war. Der Orc fragte sich, ob es überhaupt ein Berg war, oder ob diese heilige Stätte vielleicht vollkommen aus Eis bestand.

Die Scholle kam träge zum Stehen, und die Frostwölfe sprangen auf den Schnee hinüber, sorgsam darauf bedacht, ihr Floß nicht zum Kentern zu bringen. In dieser Umgebung ins Wasser zu fallen, wäre ein sicheres Todesurteil. Vor ihnen gähnte erwartungsvoll ein Eingang, der ins Herz des Eisberges zu führen schien. Schneeverwehungen, halb so hoch wie ein Orc, schienen einen Pfad dorthin zu flankieren. Durotan erwartete nicht, irgendetwas im Inneren erkennen zu können; es lag schließlich in der Natur der Sache, dass Höhlen dunkel waren. Doch zu seiner Überraschung war das bei dieser Höhle nicht der Fall.

Ein leises Keuchen, geboren aus purer Ehrfurcht und Bewunderung, kam über seine Lippen. Der Sitz der Götter leuchtete in jedem Blauton, den er sich nur vorstellen konnte – und in einigen, die er sich nicht einmal erträumt hätte. Auch das schwache Glühen anderer Farben war zu erkennen, und er fragte sich, welche Magie diese Höhle wohl beleuchtete. Dieses Leuchten berührte etwas, tief in seinen Knochen, in seiner Seele.

Er erkannte, dass er sich geirrt hatte: Die angestammte Heimat der Frostwölfe war nicht zerstört worden, als der brennende Fluss den Frostfeuergrat verwüstet hatte. Ihre wirkliche Heimat lag hier.

Durotan riss den Blick von dem verzaubernd leuchtenden Eingang los und drehte sich zu Drek’Thar um. Sanft schob er die Hand unter den Arm des älteren Orcs und führte ihn neben sich her. Der Schamane lächelte ihn blind an, aber gerade, als er etwas sagen wollte, erstarrte er unvermittelt, den Mund halb geöffnet, fast so, als wäre er zu Stein erstarrt.

„Drek’Thar?“, fragte Durotan besorgt. „Was ist los?“

„Sie … etwas stimmt nicht.“ Der alte Orc stöhnte und verzog das Gesicht, während er die Handflächen an die Schläfen presste.

„Sind sie in Gefahr?“, wollte Durotan wissen. Er blickte zu Geyah hinüber, die jedoch nur hilflos mit den Schultern zuckte. Die anderen zückten ihre Waffen, konnten aber auch nicht mehr tun, als sich verunsichert umzublicken. Da war kein Geräusch, das auf einen Feind hindeutete, kein verräterischer Geruch. Alles war weiß und kalt und still und rein.

„Nein, nein“, stöhnte Drek’Thar. „Sie sagen … wir sind in Gefahr!“

Plötzlich war da wirbelnde Bewegung, und etwas brach aus den Schneeverwehungen hervor. Durotan hatte gedacht, dass sie den Weg markieren sollten, aber nun explodierte ihr makelloses Weiß in einem Durcheinander von Farben: dem Grauschwarz von Pelzumhängen, dem grellen, gelblich weißen Funkeln von Metall, auf dem sich die Sonne spiegelt, den abscheulichen Ton von dunklem, getrocknetem Blut, das brüllende Gesichter bedeckte. Voller Grauen erkannte Durotan, dass die Rotläufer sie erwartet hatten – und nun griffen sie an.

25

Einen wertvollen, unwiederbringlichen Herzschlag lang waren die Frostwölfe so verwirrt, dass sich keiner von ihnen bewegte. Es sollte sie teuer zu stehen kommen. Delgar war den Angreifern am nächsten, und er hatte kaum seine Axt erhoben, als ihm auch schon ein Hammer den Schädel einschlug. Durotans Sinne erfassten seine Umgebung mit übernatürlicher Schärfe, und er sah jedes Detail – die Form des Hammerkopfes, das fleckige Rot und Schwarz auf der Hand des Rotläufers, und dann den erschrockenen Ausdruck auf Delgars Gesicht, bevor sich der Steinbrocken hineinbohrte und es auslöschte.

Der Schnee hatte ihren Geruch kaschiert, aber jetzt, wo die Rotläufer sich gezeigt hatten, stürmte ihr Gestank wie ein weiterer Feind auf Durotans Nase ein. Der Geruch ließ ihn würgen, und er hustete, als er sich vor Drek’Thar stellte. Der Schamane rief die Geister um Hilfe an, aber sie hatten keine Zeit, um auf den Beistand der kranken Elemente zu warten. Delgar hatte bereits sein Leben verloren; sein Blut sickerte in den Schnee und verwandelte ihn in eine Pfütze dampfender, schwarzroter Flüssigkeit.

Instinktiv riss Durotan seine Axt in die Höhe, gerade noch rechtzeitig, um einen vernichten Hieb abzublocken. Er beugte die Beine, sodass der Rotläufer von seinem eigenen Schwung weitergetragen wurde, dann wirbelte er herum und legte seine ganze Kraft in die Drehbewegung. Spalter wurde zu einer Verlängerung seiner mächtigen, muskelschweren Arme und hackte den Angreifer beinahe in zwei Hälften. Frisches Blut schoss aus der Wunde und strömte über die getrocknete Kruste alten Blutes, als der Rotläufer nach hinten taumelte. Der Hammer entglitt seinen schlaffen Händen, seine Augen verschleierten sich. Er war bereits tot, als er im Schnee landete.

Geyah hatte ihren Speer mitgebracht, und trotz ihres Alters wirbelte sie ihn noch ebenso behände hin und her wie früher, als sie bei der Sommersonnenwende um das Freudenfeuer getanzt war. Durch die Länge der Waffe hielt sie sich die Keule eines Gegners vom Leib, und dank ihrer schmäleren Gestalt konnte sie sich schneller bewegen als ihr Widersacher. Der Rotläufer sprang vor, um ihre Waffe wie einen Zweig zu zerbrechen, aber bevor seine Keule den Schaft zerschmettern konnte, hatte die Speerspitze sich in seine Kehle gebohrt. Er röchelte, und Krämpfe durchzuckten seinen Leib, als Geyah die Waffe losriss und sich wieder dem Schlachtgewühl zuwandte.

Drek’Thar war noch immer in seine Gesänge vertieft. Eine Rotläuferin erblickte ihn und verzog das Gesicht, sodass sich Risse durch das alte Blut auf ihrem Gesicht zogen und kleine, rote Flocken auf den Schnee hinabrieselten. Gemeinsam mit zweien ihrer Mitstreiter eilte sie auf den alten Orc zu.