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Wasser tropfte von Drek’Thars Gesicht, als er sich zurücklehnte. „Gib mir deine Hand, alter Freund“, sagte Geyah, dann legte sie einen Blutapfel, rot und rund, in seine Handfläche. Die Äpfel waren saftig und prall, die Beeren so reif, dass sie auf der Zunge förmlich aufplatzten. Am liebsten hätte Geyah diesen Ort nie wieder verlassen. Jetzt wusste sie auch, warum der Frostwolfhäuptling aus den Legenden so bereitwillig drei Tage und Nächte auf die Ankunft der Geister gewartet hatte.

Die Nahrung stillte ihren Hunger unnatürlich schnell, aber Geyah beschloss, nicht weiter darüber nachzudenken. Stattdessen führte sie Drek’Thar zu dem kleinen Feuer hinüber, und sie hielten ihre Hände über die Flammen, beide von der seltsamen Gewissheit erfüllt, dass ihnen die Hitze hier, an diesem Ort nicht wehtun würde, selbst, falls sie direkt in das Feuer hineintreten sollten.

„Die Geister …“, begann Drek’Thar, aber dann runzelte er die Stirn, und ein Schatten fiel über seine Züge. „Der … Geist des Lebens möchte mit uns sprechen … mit uns beiden.“

Er sank neben dem Feuer auf den Boden, fast so, als hätten seine Beine nachgegeben. Besorgt griff Geyah nach seinem Arm, aber er winkte ab und streckte sich auf dem weichen, grünen Gras aus. Anschließend nahm er ihre Hand, führte sie zu seinem Herzen und bedeckte sie mit seinen eigenen Fingern.

Als er den Mund öffnete, erklang zwar seine Stimme, aber Geyah wusste, dass es nicht der alte Schamane war, der zu ihr sprach. Ein Schauder rann durch ihren Körper.

„Schon einmal kamen die Frostwölfe hierher“, sagte der Geist des Lebens. „Damals wohnte ihnen eine Arroganz inne, die beinahe herzerwärmend war, denn sie wussten nichts von der Komplexität der Welt und waren voller Unschuld. Und wir, Erde, Luft, Feuer, Wasser und Leben – wir gaben ihnen unseren Segen. Unbeugsam und stark, wie ihr seid, habt ihr uns seitdem verehrt, selbst, als andere unsere Mächte als ihre eigenen darstellten.“

Geyah erkannte, dass es an ihr war, die Fragen zu stellen. Darauf war sie nicht vorbereitet gewesen; sie hatte angenommen, dass Drek’Thar mit den Geistern sprechen würde. Doch stattdessen sprach er nun für sie. Die Wissenshüterin hoffte inständig, dass ihre Fragen die richtigen waren.

„Geister, Drek’Thar sagte, dass ihr unsere Hilfe braucht. Darum sind wir gekommen. Was können wir tun, um euch die Unterstützung zahlloser Generationen von Frostwölfen zu vergelten?“

„Ihr seid gekommen, und ihr habt unseren heiligen Ort gesäubert. Dafür gebührt euch unser Dank. Doch ihr kommt zu spät, Wissenshüterin“, erklärte Drek’Thars Stimme, von so tiefer Trauer erfüllt, dass Tränen aus Geyahs Augen quollen und über ihre Wangen rannen. „Die Blutbefleckten haben sich an die alten Legenden erinnert. Sie kamen hierher, um unseren Sitz für sich zu beanspruchen. Wir konnten dies hier, das Herz unseres Sitzes, schützen, aber auch, wenn sie diesen Ort nicht betreten können, haben sie uns doch unserer Kräfte beraubt. Wir sind einen langsamen Tod gestorben, und jetzt ist kaum noch etwas von uns übrig. Wir riefen alle Schamanen von Draenor an, baten um ihre Hilfe, aber die meisten konnten uns nicht hören. Und was die anderen betrifft: Ein Teil von ihnen ignorierte uns, weil sie nicht glauben wollten, was wirklich vor sich ging. Andere wandten sich von uns ab und folgten dem Hexenmeister Gul’dan und seiner Todesmagie, anstatt uns und unserer Magie des Lebens treu zu bleiben. Ihr, die Frostwölfe, habt uns gehört, und fast wärt ihr noch rechtzeitig gekommen. Fast“, wiederholte der Geist des Lebens bekümmert, und seine geliehene Stimme verstummte kurz. „Aber dieser hier, so weise er auch ist, hat die Wahrheit nicht gänzlich erkannt.“

„Das kann nicht sein!“ Geyah spürte, wie ihr das Herz in der Brust zerbrach. „Ich sehe Feuer, Wasser, Erde. Alle, hier und jetzt – ihr könnt nicht tot sein!“

„Nicht tot“, versicherte ihr der Geist des Lebens. „Aber schwach. Zu schwach. Erst traf es das Feuer, dann die Erde und das Wasser. Die Luft harrt noch aus, aber auch sie hat kaum noch Kraft. Zu guter Letzt wird auch das Leben loslassen und den Kampf aufgeben.“

Aufgeben? Wie konnte ein Geist aufgeben? Keine der alten Schriftrollen – keine Legende, kein Satz, keine Lehre, kein Ritual – hatte sie auf etwas Derartiges vorbereitet. Ihr Herz schlug panisch wie ein eingesperrter Vogel gegen ihre Rippen. Sie zitterte und klammerte sich an die schlaffe Hand des Schamanen, als wäre sie ein Rettungsanker.

„Ihr … ihr lasst uns im Stich? Was sollen wir tun?“ Ihr fielen die Worte ein, die Drek’Thar in jener Nacht gesprochen hatte, als Garads Scheiterhaufen brannte und ihr Sohn zum neuen Häuptling wurde. Lass dich von den Geistern beurteilen, die unser Volk seit dem Anbeginn der Zeit geehrt hat und die noch immer hier sein werden, wenn wir alle vergessen sind und kein Mund mehr unsere Namen singt.

Abrupt machte ihre Furcht dem Zorn Platz, und sie schnappte: „Wenn es zu spät ist, warum habt ihr uns dann hierhergerufen? Damit wir danebensitzen und zusehen, wie ihr alle sterbt?“

Drek’Thars Tonfall blieb sanft, als er dem Geist des Lebens seine Stimme lieh. „Nein, mein liebes Kind. Du warst schon immer stark. Und Drek’Thar war immer seinen Lehren verpflichtet. Die Frostwölfe brauchen das. Ihr müsst bei eurem Klan bleiben. Wir sterben nicht auf die Weise, wie ihr den Begriff versteht. Aber wir können euch nicht länger helfen. Ihr habt uns gelauscht, ihr seid zu uns gekommen, ihr habt die Barbarei der Rotläufer hinfortgewaschen. Ihr sollt Folgendes wissen: Wo immer es Erde, Luft, Feuer, Wasser und Leben gibt … da sind auch wir, selbst wenn wir nicht mehr sind.“

„Das ergibt keinen Sinn!“, rief Geyah. Sie stellte fest, dass sie schluchzte. „Ich verstehe nicht!“

„Du wirst verstehen“, versprach ihr der Geist des Lebens. „Aber jetzt müssen wir gehen und das Wenige bewahren, was noch von uns übrig ist. Wir werden eurem Klan ein letztes Geschenk machen, und ihr werdet es brauchen. So, wie dein Sohn dich brauchen wird, Geyah. Geh zum ihm. Schnell. Und … vergesst uns nicht.“

Drek’Thars Brust sackte nach unten, als seinen Lungen der Atem entfloh, dann hob sie sich langsam wieder. Doch da, das erkannte Geyah, war der Geist des Lebens schon nicht mehr in ihm.

„Drek’Thar, hast du …“

„Ja.“ Er setzte sich auf. „Ich habe alles gehört. Und was ich gefühlt habe …“ Er schüttelte den Kopf. „Ich werde es dir später erzählen. Aber ich habe die Dringlichkeit in den Worten des Geistes gespürt. Durotan braucht uns – jetzt gleich!“

Sie stiegen die Stufen wieder hinauf, schneller als bei ihrem Abstieg, angetrieben von Furcht und Eile. Als die beiden sich dem oberen Ende der Treppe näherten, schoss eine Hand herab und packte Drek’Thar am Arm. Der Schamane wurde die letzten beiden Stufen förmlich nach oben gerissen.

Anschließend packte Durotan, der die Älteren sein ganzes Leben lang mit Respekt behandelt hatte, auch Geyah. Seine Augen waren wild, voller Zorn – und Angst.

„Das war eine Falle“, sagte er. „Dutzende Rotläufer leben hier. Nur ein paar von ihnen sind zurückgeblieben, um uns aufzuhalten, während sich die anderen auf den Weg machten.“

Nach dem, was der Geist des Lebens ihr offenbart hatte, fühlte Geyah sich noch immer wie benommen. „Auf den Weg wohin?“

Durotans Gesicht verzog sich vor Verzweiflung, und seine Antwort ließ sie zurücktaumeln.

„Sie wollen die Frostwölfe auslöschen.“

27

»Haben die Geister irgendetwas gesagt, das uns helfen könnte?«, fragte Durotan drängend, und sein Blick huschte von Drek’Thar zu Geyah und wieder zurück. Er versuchte, nicht zu offensichtlich in das Gesicht des alten Schamanen zu starren, das er noch nie gesehen hatte. Aller Logik zum Trotz hatte er das Gefühl, dass Drek’Thar es merkte. Und wie zur Bestätigung blickte dieser ihn direkt an.