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„Der Geist des Lebens versprach uns ein letztes Geschenk“, erklärte der alte Orc.

Das Blut wich aus Durotans Wangen. „Ein letztes?“

Trotz der schrecklichen Bedeutung dieser Worte wirkte Drek’Thar seltsam gefasst, als er den Kopf schüttelte. „Jetzt ist keine Zeit, alles zu erklären. Außerdem wird nichts davon noch einen Unterschied machen, falls der Klan untergeht. Wir müssen los, jetzt sofort. Lasst uns auf die Worte der Geister vertrauen und hoffen, dass wir nicht zu spät kommen. Die Rotläufer leben hier schon seit Längerem. Sie haben den Geistern einen Teil ihrer Energien entzogen.“

„Sie waren in der Überzahl, aber trotzdem haben wir sie fast ohne jeden Kratzer geschlagen“, warf Zarka ein. „Sie haben nicht schlecht gekämpft, aber sie machten mir keinen übermäßig starken Eindruck.“

Doch Durotan begriff. „Denk nach, Zarka. Sie haben ihre schwächsten Leute zurückgelassen.“

Die Augen der Kriegerin weiteten sich.

„Wir werden sie einholen“, versicherte Durotan ihr – und sich selbst. „Wir haben Wölfe. Sie nicht. Kommt jetzt. Vergießen wir das Blut derer, die sich mit dem unseren schmücken wollen.“

Das Eisfloß war noch da und wartete auf sie. Es war noch immer eine faszinierende Erfahrung, auf der Scholle sicher über das eisige Wasser getragen zu werden, aber Durotan hatte Mühe, seine Ungeduld im Zaum zu halten. Endlich war die Küste wieder deutlich vor ihnen zu erkennen. Doch da erblickte er etwas, das ihn voller Verzweiflung auf die Knie stürzen ließ. Kulzak neben ihm stieß einen gequälten Schrei aus.

Sechs weiße Umrisse waren auf dem weißen Schnee zu erkennen. Sie erinnerten an die Verwehungen, unter denen die Rotläufer im Hinterhalt gelegen hatten. Doch diese Umrisse waren von Fell bedeckt – und sie rührten sich nicht.

„Was seht ihr?“, wollte Drek’Thar wissen.

„Unsere Freunde“, erklärte Durotan mit gebrochener Stimme. „Die Rotläufer haben unsere Wölfe getötet.“

Der Verlust war doppelt schmerzhaft. Zum einen hatten sie nun keinen Vorteil mehr gegenüber den mordgierigen Kannibalen, die ihrem Klan entgegenmarschierten. Aber noch tiefer traf die Pein, einen Verbündeten zu verlieren – einen Freund, wie Durotan es ausgedrückt hatte. Scharfzahn war ihm so lieb gewesen wie ein Bruder.

Doch Drek’Thar schüttelte den Kopf. „Nein“, sagte er. „Sie sind nicht tot. Noch nicht. Nicht alle.“

Wie konnte er da so sicher sein? Durotan konnte keinerlei Lebenszeichen an irgendeiner der reglosen, weißen Formen erkennen. Doch dann hob einer von ihnen kraftlos den Kopf, bevor er in den Schnee zurücksackte. Hoffnung durchströmte den Häuptling, und er sprang auf den Strand, um zu Scharfzahn hinüberzurennen. Sein alter Freund wimmerte, und Durotan brach das Herz, als der Wolf versuchte, mit dem Schwanz zu wedeln.

Er legte den Kopf schräg, wie um zu lauschen. „Einer ist tot. Zweien ist nicht mehr zu helfen“, verkündete Drek’Thar. „Aber drei leben noch, und der Geist des Lebens wird mir erlauben, sie zu heilen. Die Rotläufer haben keine Reittiere, aber nachdem sie so viel Zeit an diesem Ort verbracht haben, sind sie widernatürlich schnell. Ihr werdet sie nicht einholen können, aber ihr werdet nicht weit hinter ihnen sein, wenn sie den Klan erreichen. Ihr könnt noch in den Kampf eingreifen.“

„Aber … drei Wölfe können keine fünf Orcs tragen“, entgegnete Kulzak. „Nicht, wenn sie sich noch von Wunden erholen und so weit rennen müssen.“

„Es geht nicht anders“, erklärte Durotan knapp.

„Nein“, widersprach Drek’Thar. „Ich werde hierbleiben und den sterbenden Frostwölfen Gesellschaft leisten. Mir wird nichts zustoßen, das versichert mir der Geist des Lebens.“

Durotan war hin- und hergerissen. Er wollte dem Schamanen befehlen, dass er mit ihnen kommen sollte, aber in seinem Herzen wusste er, dass Kulzak recht hatte. „Sag mir, was du für das Beste hältst, Drek’Thar, und ich werde mich danach richten. Du bist derjenige, der mit den Geistern spricht, nicht ich.“

Der Schamane trat vor, und Weisohr winselte, als er seinen Meister roch. Drek’Thar legte ihm die Hand auf die Schnauze und drückte sie auf, dann blies er seinem alten Freund sanft ins Maul. Durotan sah ungläubig mit an, wie sich die Wunden an den Flanken des Wolfes schlossen, und ein paar Augenblicke später sprang Weisohr auch schon auf die Beine und leckte seinem Meister wimmernd das Gesicht.

Als Nächstes streckte Drek’Thar die Hand nach Scharfzahn aus, und Durotan atmete erleichtert auf, als sein Wolf durch seine Magie geheilt wurde und aufgeregt auf ihn zusprang. Zuletzt war Zarkas Reittier, Streicher, an der Reihe. Traurig blickte Durotan zu seiner Mutter hinüber, die neben Jauler kniete. Fast solange er sich erinnern konnte, war der Wolf ihr Begleiter gewesen, doch jetzt hielt sie den Schädel des geliebten Tieres in ihren Händen, blickte tief in seine goldenen Augen und nahm Abschied von ihm. „Danke“, murmelte sie, dann stand sie auf und wandte sich an Drek’Thar. „Lindere in diesen letzten Minuten seinen Schmerz.“

Es war kein Zeichen von Schwäche, um seinen Wolf zu weinen. Das Band zwischen Tier und Reiter war stark, rein, und es währte ein ganzes Leben lang. Schwach wäre allein, nicht zu weinen, überlegte Durotan. Er sprang auf Scharfzahns Rücken und streckte Geyah die Hand entgegen.

„Reite mit mir, Mutter“, sagte er. „Nutzen wir das Geschenk, das der Geist des Lebens uns gemacht hat, und retten wir unseren Klan.“

Nachdem sie sich hinter ihm auf den Rücken des Wolfes geschwungen hatte, beugte Durotan sich tief über Scharfzahns Nacken und sagte: „Lauf, mein Freund.“ So wenige sie auch waren, sie mussten den Klan rechtzeitig erreichen und ihm helfen.

„Hör auf zu schmollen“, sagte Draka.

„Ich schmolle nicht“, entgegnete Orgrim. „Ich denke nach.“

Sie verschränkte die Arme und beobachtete ihn, während er den Griff des Schicksalshammers neu umwickelte. „Und ob du schmollst. Aber mir geht es nicht anders als dir. Wir sind Krieger, und wenn wir nicht handeln dürfen wie Krieger, dann sind wir unzufrieden“

„Das ist es nicht“, brummte er, nur um mit einem reuevollen Lächeln nachzuschieben: „Na ja, ein bisschen vielleicht schon. Aber Durotan weiß gar nicht, was für ein starker Anführer er ist. In diesen seltsamen und schrecklichen Zeiten braucht der Klan jemanden wie ihn. Ich mache mir Sorgen, was wohl wird, falls ihm etwas zustößt, und …“ Er deutete auf die Frostwölfe rings um sie herum. Die meisten von ihnen kümmerten sich ebenfalls um ihre Ausrüstung und ihre Waffen, um sich abzulenken. Ein paar Kinder tollten mit den Wölfen herum, die spielerisch knurrten und so taten, als würden sie nach ihnen schnappen. „Könnte ich sie ebenso anführen wie er?“

Draka setzte sich neben ihn. Sie fühlte sich noch immer unbehaglich in ihrem neuen, wachsenden Körper. Das Kind würde innerhalb der nächsten beiden Monde auf die Welt kommen; sie konnte schon seit einer ganzen Weile spüren, wie es sich bewegte und trat. Der Nachkomme von Draka und Durotan würde stark sein, daran hatte sie keinen Zweifel. Sie hoffte nur, dass sie ihn nicht allein großziehen müsste. Eis war nie weit entfernt, und als er sah, wie seine Meisterin Platz nahm, ließ er sich neben ihr auf den Boden sinken und bettete den Kopf auf seine Vorderpfoten.

„Die Antwort ist nein. Du könntest uns nicht so anführen wie er.“ Sie legte die Hand auf ihren angeschwollenen Bauch. „Du bist nicht Durotan. Du bist Orgrim. Natürlich würdest du uns anders führen. Die eigentliche Frage ist also: Würdest du uns gut führen?“

Er musterte sie. Sie hatte ihn seit ihrer Rückkehr aus dem Exil oft beobachtet, und sie wusste – ebenso, wie ihr Gefährte es wissen musste –, dass sich unter seiner hünenhaften Gestalt und schroffen Art ein entschlossener und komplexer Geist verbarg. Und ein gutes Herz. „Und die Antwort auf diese Frage lautet ja. Ich glaube, du würdest uns gut führen.“ Sie schlug ihm gegen den Arm. „Aber noch musst du es nicht beweisen. Durotan wird zurückkehren. Bis er zurückkommt, musst du nur auf einen Frostwolfklan achten, der sich ausruht und seine Waffen und Rüstungen repariert. Denkst du, dass du dieser Herausforderung gewachsen bist, Orgrim Schicksalshammer, Sohn von Telkar, Sohn von Ruvash?“