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So harmlos hatte also begonnen, was sich zu einer schrecklichen Gräueltat entwickeln sollte. Es war nur eine Taktik gewesen, mehr nicht.

„Wir entdeckten einige Draenei, die sich unserem Territorium genähert hatten. Sie erschreckten die Talbuk-Herde, der wir nachgespürt hatten, und in unserem Zorn erschlugen wir sie. Wie es damals unser Brauch war, bemalten wir uns danach mit ihrem Blut.“ Er ahmte diese Tat nach, indem er mit der Hand sein Gesicht berührte. „Ein wenig davon tropfte in unseren Mund.“

Er leckte sich mit der Zunge über die fleischige Unterlippe. „Und es war süß.“

Durotan dachte an die sanftmütigen, lächelnden Gesichter der Draenei, mit denen er sein Feuer geteilt hatte. Sie hatten ihr Leben riskiert, sich großer Gefahr ausgesetzt, nur um die Kinder der Orcs zu retten und sie nach Hause zu bringen. Ein Gefühl der Übelkeit überkam seinen Körper und seinen Geist, als die Erinnerung durch seinen Kopf geisterte.

„Sie haben die Beute verscheucht, die rechtmäßig unsere war. So wurden sie zu unserer Beute.“ Der Häuptling zuckte mit den Schultern. „Als wir das nächste Mal gegen Orcs kämpften und sie bezwangen, war es nicht viel anders. Fleisch ist Fleisch. Aber das wirst du auch noch herausfinden.“

Durotan zuckte zusammen, als hätte ihn eine Faust getroffen. „Was sagst du da?“

„Es ist eure einzige Wahl, falls ihr wie echte Orcs weiterleben wollt. Wir sind Raubtiere, Frostwolf. Und wer kein Raubtier ist, der ist Beute. Es gibt Sieger, und es gibt die Besiegten. Es gibt Orcs, und es gibt Talbuks. Wir lehnten die Hilfe anderer ab, und es hat uns stärker gemacht.“

Er reckte sein Gesicht in die Höhe, und der Gestank alten Bluts erfüllte Durotans Nase. „Die Leichen meiner Rotläufer liegen überall in eurem Lager verstreut. Eure Leute müssen heute keinen Hunger leiden. Lasst uns einen neuen Klan gründen. Lasst uns erstarken, während alle anderen schwächer werden.“

Er lächelte. Sein Atem roch nach Blut. „Tu es, Durotan, Sohn von Garad, Sohn von Durkosh. Mach den letzten Schritt. Werde der Häuptling der Rotwölfe. Sei ein wahrer Orc!“

Die Worte barsten aus Durotan hervor, so glühend und vehement, wie das Feuer aus dem Altvaterberg hervorgeborsten war.

„Wir werden niemals so sein wie ihr!“

Der Häuptling lachte. „Ach, nein? Sieh dich um. Es ist nichts mehr übrig außer Staub und Knochen. Ihr werdet essen – oder ihr werdet sterben.“

„Dann essen wir ihn!“ Es war Kagra. Erst jetzt stellte Durotan fest, dass der gesamte Klan während seiner Unterhaltung mit dem Rotläufer zusammengekommen war. Vor Wut knurrend schob sich Kagra durch die Menge der Frostwölfe nach vorne.

„Töte ihn, Durotan! Dieses Monster verdient tausend Tode für das, was er und seinesgleichen getan haben. Er soll genauso sterben, wie er meinen Nokrar sterben ließ! Oder besser noch, lassen wir ihn leiden! Verzehren wir ihn Stück für Stück!

Es war, als würden ihre Worte Löcher in einen Damm sprengen: All der Zorn, all die Furcht, all die Verzweiflung, die sich angestaut hatten, wurden plötzlich freigesetzt. Wütendes Geheul, Drohungen und Schwüre erfüllten die Luft.

„Töte ihn! Essen wir sein Fleisch! Denkt daran, was er getan hat!“ So hallten die Rufe durch das Lager.

Durotan hörte jeden einzelnen. Er wusste, dass in diesem Moment Trauer und Rachsucht aus seinen Leuten sprachen. Er selbst blieb hingegen ruhig stehen und begegnete dem Blick des Rotläuferhäuptlings. Dessen feuchter, blutverschmierter Mund verzerrte sich zu einem Grinsen, während er den mordlüsternen Schreien der Frostwölfe lauschte.

Schließlich verstummten die wütenden Rufe. Durotan dachte daran, wie sein Vater Gul’dans Angebot abgelehnt hatte. Er hatte den Stolz, die Unabhängigkeit und die Identität seines Klans schützen wollen. Die Frostwölfe sollten ihre angestammte Heimat nicht verlassen und auch nicht ihre alten Sitten aufgeben müssen. Er hatte gewollt, dass sie im Norden blieben, dass sie nach ihren eigenen Regeln lebten.

Auch an sein ungeborenes Kind dachte Durotan. Wie leicht hätte es heute sterben können? Er stellte sich vor, wie dieses kostbare kleine Leben in eine Welt hineingeboren wurde, in der wahnsinniges Verhalten wie das der Rotläufer die einzige Überlebenschance darstellen könnte; in der die Erde tot war und nichts mehr daraus erwuchs, in der Wasser und Luft schmutzig waren und selbst der Boden Feuer fing.

Sein Klan war gerade wütend, sicher. Aber sie waren nicht wie die Rotläufer. Und sie würden auch nie so werden.

Manche Orc-Klans sind grausam, hatte sein Vater ihm vor langer, langer Zeit erklärt. Nur zu gerne quälen und foltern sie ihre Beute … und ihre Feinde. Ein Frostwolf empfindet keine Freude, wenn andere leiden.

Nicht einmal, wenn es unsere Feinde sind.

„Wir sind Frostwölfe“, sagte Durotan nur, dann ließ er Donnerschlag schnell und sauber auf sein Ziel herabsausen.

30

»Hier gibt es keinen Ozean, in den wir die Leichen werfen könnten«, sagte Kulzak. »Lassen wir die Rotläufer doch einfach liegen, damit sie verrotten.«

Doch sein Häuptling schüttelte den Kopf. „Nein“, widersprach er. „Wie wir am Sitz der Geister mit ihren Toten umgesprungen sind … Mir ist inzwischen klargeworden, dass das falsch war. Ich glaube, ich verstehe sie jetzt ein wenig besser. Was immer sie getan haben, sie waren noch immer Orcs. Wir wollen sie mit dem Respekt behandeln, den sie selbst niemandem zeigten. Denn dadurch beweisen wir, dass wir nie so werden wie sie.“

Den Klanmitgliedern gefiel seine Entscheidung nicht, aber sie gehorchten. Durotan konnte ihren Widerwillen verstehen, und er hoffte, dass sie eines Tages auch verstehen würden, warum er seine Meinung geändert hatte und warum er selbst mithalf, Steine für das Begräbnis ihrer Feinde zu sammeln.

Die Stimmung verbesserte sich, als Zarka zurückkehrte und nicht nur Drek’Thar mitbrachte, sondern auch einen humpelnden Wolf, der irgendwie überlebt hatte. Der alte Schamane gesellte sich sogleich zu seinen Brüdern und half ihnen, die Verwundeten zu behandeln.

Schließlich senkte sich die Nacht über das Land. Alles, was sie zu essen hatten, war Flechtensuppe, aber niemand schien sich daran zu stören. Die Frostwölfe verströmten eine Ausgeglichenheit, die ihnen zuvor noch nicht innegewohnt hatte.

Nun wurde es schließlich Zeit für Durotan, seinen Klan zusammenzurufen. Während sie sich an einem schlichten Mahl gütlich taten, berichtete Drek’Thar ihnen von seinen Erlebnissen am Sitz der Geister. Durotans Brust schnürte sich vor Trauer zusammen, als der Schamane das langsame Dahinwelken der Geister beschrieb und die gleichermaßen tröstlichen wie niederschmetternden Worte wiederholte, mit denen sich der Geist des Lebens von ihm verabschiedet hatte. Er haderte mit dem Konzept eines Todes, der kein Tod war, und überlegte, was dieser seltsame Tod der Geister für Draenor bedeutete – und für seinen Klan.

Nachdem sie ihr karges Mahl beendet hatten, saßen sie lange schweigend da. Durotan dachte über all die Ereignisse nach, die sie an diesen Punkt geführt hatten: Gul’dans Besuch, der Tod seines Vaters, Drakas Rückkehr aus dem Exil, die Zerstörung des Frostfeuergrats durch den Altvaterberg und die Reise, die der Klan danach gezwungenermaßen angetreten hatte. Die Rotläufer, Garonas Warnung, die hungrige Erde, das Sterben von Gras und Bäumen, der Sitz der Geister und seine unvergessliche Schönheit. Und schließlich die letzten Worte des Rotläuferhäuptlings.

Er setzte seine Schale ab und betrachtete die Gesichter rings um ihn: Draka, Drek’Thar, Geyah und Orgrim – Freunde und Familienmitglieder, die ihn nie im Stich gelassen hatten. Trotz all der Tragödien, die ihnen wiederfahren waren, erkannte er, dass er gesegnet war, und sein Herz, das so lange von Schmerz geplagt worden war, fand plötzlich Frieden.