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Durotan und Orgrim wechselten stirnrunzelnde Blicke. Hatte Gul’dan gerade eine verschleierte – oder vielleicht gar nicht mal so verschleierte – Drohung ausgesprochen?

„Diese Welt ist in Gefahr. Und darum sind wir es auch. Ich bin weit gereist, um euch Leben in Form einer neuen Heimat anzubieten – grünend, voller Tiere und Früchte und dem Korn der Felder. Was ich verlange, ist, dass du dieses Angebot akzeptierst und dich mir anschließt, Garad von den Frostwölfen.“

Es war, als hätte er einen riesigen Stein in einen windstillen See geworfen, und nun setzte der grüne Orc sich wieder und blickte den Häuptling abwartend an. Alle anderen Augen waren ebenfalls auf Garad gerichtet. Was Gul’dan vorschlug, war nicht nur beleidigend und arrogant – es war verrückt!

Oder?

Einen Moment lang schien der Anführer des Frostwolfklans nicht zu wissen, was er sagen sollte, doch schließlich ergriff er das Wort.

„Es ist gut, dass du unter dem Schutz eines Banners gekommen bist, Gul’dan von keinem Klan“, grollte er. „Andernfalls würde ich dir mit den Zähnen deine verlogene Kehle herausreißen!“

Gul’dan wirkte weder überrascht noch beleidigt. „Das haben vor dir schon andere gesagt“, erklärte er. „Und doch gehören sie jetzt zu meinem Klan. Ich bin sicher, dein Schamane kann Dinge sehen, die normalen Orcs verborgen bleiben, und diese Welt, so viele Probleme sie auch bergen mag, ist groß. Darum bitte ich dich, zumindest die Möglichkeit zu akzeptieren, dass du nicht alles weißt und dass ich vielleicht wirklich etwas anbiete, das die Frostwölfe brauchen. Sind euch im Lauf der letzten Jahre vielleicht Geschichten zu Ohren gekommen? Geschichten über … einen Hexenmeister?“

In der Tat. Vor zwei Jahren hatte sich eine Jagdgruppe der Frostwölfe mit Mitgliedern vom Kriegshymnenklan zusammengetan. Diese Orcs waren der Spur einer Talbuk-Herde gefolgt. Da sie sich nicht mit diesen wunderschönen, anmutigen Geschöpfen auskannten, hatten sie nicht gewusst, dass es unmöglich war, ein einzelnes Tier von der Gruppe zu trennen. Die gestreiften Talbuks waren deutlich kleiner und von feinerem Knochenbau als die Grollhufe. Ein ausgewachsener Grollhuf ließ sich von der Herde abbringen, weil er groß genug war, um sich selbst zu verteidigen. Die Talbuks hingegen wählten eine andere Art von Schutz; wenn sie angegriffen wurden, ergriffen sie nicht sofort die Flucht. Stattdessen verteidigten sie als Gruppe das Tier, das attackiert wurde, und setzten den Raubtieren oder Jägern zahllose geschwungene Hörner und ihre Hufe entgegen. Die Frostwölfe wussten, dass man die Talbuks so erschrecken konnte, dass sie trotz ihres Mutes einige Brüder oder Schwestern zurückließen. Indem sie gemeinsam auf die Jagd gingen, konnten die Frostwölfe und die Kriegshymnenorcs genug Fleisch erbeuten, um sich und ihre Reittiere zu sättigen und reich beladen nach Hause zurückzukehren.

Während sie beim Essen zusammengesessen waren, hatte ein Mitglied des Kriegshymnenklans einen Orc mit seltsamen Mächten erwähnt, wie ein Schamane, nur anders. Hexenmeister war der Ausdruck, den er benutzt hatte; Durotan hatte dieses Wort nie zuvor gehört und auch danach nicht mehr – bis zu diesem Abend.

Garads Gesicht wurde hart. „Dann bist du also derjenige, von dem man sich erzählt“, sagte er. „Hexenmeister. Ich hätte es wissen müssen, als ich dich zum ersten Mal sah. Dein Geschäft ist der Tod, und doch willst du uns mit Worten von Leben auf deine Seite bringen. Ein seltsamer Widerspruch.“

Durotan blickte zu Drek’Thar hinüber. Er musste an die Worte des alten Schamanen denken: Schatten umgeben diesen Orc. Der Tod folgt ihm. Und wie hatte er selbst darauf geantwortet? Die Schatten liegen im Winter lang auf den Hügeln, und ich selbst habe heute Tod gebracht. Das müssen keine üblen Omen sein, Drek’Thar … Hören wir uns erst einmal an, was er zu sagen hat. Danach können wir entscheiden, ob er als Bote des Todes, des Lebens oder als nichts dergleichen gekommen ist.

Er, Garad und der Rest des Klans hörten sich noch immer an, was der Fremde zu sagen hatte.

Gul’dan deutete mit einer Hand auf seine grüne Haut. „Ich wurde mit mächtiger Magie beschenkt. Sie hat mich durchdrungen und meine Haut verfärbt. Sie hat mich als einen der ihren gezeichnet. Und ja, die Magie wird stärker, wenn sie mit Leben genährt wird. Aber sieh mir in die Augen, Garad, Sohn von Durkosh, und sag mir ehrlich: Hast du nie ein Leben im Schnee verbluten lassen, um den Geistern für ihren Segen zu danken? Hast du nie einen Grollhuf getötet, damit zum Beispiel ein Kind sicher in die Welt geboren wird? Hast du nie einen Talbuk liegen gelassen, wo er fiel, nachdem ihr ein Dutzend Tiere mit euren Speeren erlegt hattet?“

Garad gab sich unbeeindruckt, aber die lauschenden Klanmitglieder verlagerten unruhig das Gewicht von einem Bein aufs andere. Es stimmte, was Gul’dan sagte, und sie alle wussten es.

„Diese Art von Opfer nährt uns“, bestätigte der Häuptling. „Das Leben, das wir auf diese Weise beenden, schenkt uns Nahrung.“

„Und auch ich werde so genährt, wenn auch auf eine andere Weise“, erklärte Gul’dan. „Ihr ernährt euch vom Fleisch einer Kreatur, hüllt euch in ihr Fell. Ich nähre mich von Stärke und Wissen und hülle mich … in Grün.“

Durotans Blick wurde von der Sklavin angezogen. Auch sie war grün, aber sie war nicht nur unfrei, sondern wurde offensichtlich auch schlecht behandelt. Es gab so viele Fragen, die er unbedingt stellen wollte – Warum war sie grün? Warum hatte Gul’dan sie mitgebracht? –, aber dies war nicht seine Unterredung, sondern die seines Vaters, also biss er sich auf die Zunge.

Garad schien sich ebenfalls zurückzuhalten. Er enthielt sich eines weiteren Kommentars und lud Gul’dan mit seinem Schweigen ein, fortzufahren.

„Draenor ist nicht, was es einmal war. Das Leben entflieht dieser Welt. Die Winter sind länger, die Frühlinge und Sommer kürzer und karger. Es gibt nicht mehr viel Wild, das man jagen könnte. Man …“

Garad machte eine drängende Handbewegung. Das Feuerlicht tanzte über seine Züge und enthüllte einen ungeduldigen Gesichtsausdruck. „Orc von keinem Klan, du sagst nichts, was ich nicht schon wüsste. Diese Dinge sind bekannt. Legenden sprechen von Zyklen in unserer Welt. Alles ist Ebbe und Flut, Dunkelheit und Licht, Tod und Wiedergeburt. Der Sommer und der Frühling werden wieder länger, sobald dieser Zyklus zu Ende ist.“

„Ist das so?“ Das grüne Feuer in Gul’dans Augen flackerte. „Du kennst den Norden. Ich komme aus dem Süden. Für uns besteht dieser Zyklus aus mehr als nur langen Wintern und weniger Wild. Unsere Flüsse und Seen trocknen aus. Und den Bäumen, von deren Früchten wir uns im Sommer ernähren, folgen keine neuen Schösslinge mehr, und falls überhaupt, tragen sie nur noch kleine, bittere Früchte. Wenn wir ihr Holz verbrennen, riecht es abscheulich. Das Getreide verrottet am Stängel oder wächst gar nicht erst, weil der Boden es nicht länger nährt. Unsere Kinder werden krank geboren – und manchmal kommen sie schon tot zur Welt. Das ist es, was wir im Süden erleben!“

„Das Leid im Süden interessiert mich nicht.“

Ein hässliches, listiges Grinsen verzerrte die Lippen hinter Gul’dans Hauern. „Nein, noch nicht. Aber was dort geschehen ist, wird auch hier geschehen. Es geht um mehr als nur eine magere Jahreszeit oder zehn magere Jahreszeiten. Lass mich dir sagen: Diese Welt stirbt. Am Frostfeuergrat sieht man vielleicht noch nicht, was wir bereits wissen, aber die Zeit kennt keine Entfernung.“

Ohne die Sklavin anzublicken, streckte er ihr die Hand entgegen. Ihre Augen funkelten, aber ihre Bewegungen kündeten von Gehorsam, als sie ihm ein kleines, umwickeltes Bündel reichte.

Gul’dan faltete den Stoff auseinander und brachte ein rundes, rotes Objekt zum Vorschein. „Ein Blutapfel“, sagte er und hielt die Frucht in die Höhe. Sie war tatsächlich klein und sah alles andere als appetitlich aus. Ihre Schale war nicht von dem vollen Karmesinrot, dem sie ihren Namen verdankte, sondern fleckig, aber sie schien weder vertrocknet noch verrottet, wie es der Fall wäre, wenn man sie schon vor längerer Zeit gepflückt hätte. Alle Augen auf sich wissend, schnitt Gul’dan die Frucht mit einem scharfen Fingernagel auf. Sie fiel in zwei Hälften auseinander, und die umstehenden Orcs keuchten leise.