„Das ist des Soldaten Los, mein Herr“, sagte er. Zuneigung ließ die ironischen Worte an Wärme gewinnen. „Je besser ich meine Arbeit mache, desto seltener bittet man mich darum, dass ich sie tue.“
Magni brummelte missbilligend. „Nun ja“, sagte er und fügte sich in die Situation, „es ist trotzdem gut, Euch zu sehen, alter Freund. Sobald die Lieferung fertig ist, lassen wir Eure Wagen beladen und schicken sie auf den Weg.“
Lothar blieb neben einer der Kisten stehen und fuhr mit der Hand sehnsüchtig – und mit großer Vorsicht – über die schimmernde Oberfläche der zweifellos besten Pflugscharen, die die Welt je gesehen hatte.
„Kommt“, fuhr Magni fort. „Ich habe etwas für Euch.“
Er hatte den Hammer, den er bei sich trug, neben einer kleinen Holzkiste auf einem schmalen Tisch abgelegt. Lothar trat neugierig neben ihn. Magni öffnete die Kiste, und Lothar spähte interessiert hinein. Darin befand sich – gebettet auf cremeweißen Stoff – ein Gegenstand, wie er ihn noch niemals zuvor gesehen hatte. Er bestand aus Metall, mit einem breiten Trichter am einen Ende, fast wie bei einem Hornblasinstrument. Das andere Ende war geschwungen, und beide Seiten wurden durch einen dünnen Schaft miteinander verbunden. In einem separaten Fach glänzte ein Vorrat daumennagelgroßer Metallkugeln. Lothar hatte nicht die geringste Ahnung, was er da vor sich sah.
„Was ist das?“, wollte er wissen.
„Ein mechanisches Wunderwerk“, erklärte Magni und streckte mit demselben vernarrten Gesichtsausdruck, den einige Männer für ihr neugeborenes Kind reservierten, die Hand nach dem Ding aus. „Das ist ein Donnerstock.“ Er nahm die Waffe aus der Kiste und hielt sie am geschwungenen Ende.
„Haltet den Donnerstock ungefähr so“, sagte Magni. „Streut ein bisschen Schießpulver hier in den Lauf, drückt es mit dem Ladestab an, eine Kugel hinterher, wieder angedrückt, der Zündstein sitzt hier …“
Er legte mit der Waffe an, um über die Länge des Laufs zu peilen wie ein Bogenschütze, der sein Ziel anvisiert. Dann zog er verwirrt die widerborstigen scharlachroten Augenbrauen zusammen und ließ die neue Waffe sinken. „Merkwürdig“, murmelte er und reichte Lothar geistesabwesend sein Geschenk.
Lothar schob sich die Waffe in den Gürtel und folgte Magnis Blick, um zu sehen, was dessen Aufmerksamkeit erregt hatte. Es war ein Bote des Königs, der auf sie zugelaufen kam, so schnell ihn seine Füße trugen. Lothar richtete sich gerade auf, seine Sinne schärften sich, seine Muskeln spannten sich an – er war bereit, sofort zu handeln, falls das erforderlich sein sollte. Zwerge marschierten, stapften und schlenderten, und manchmal eilten sie auch. Sie rannten jedoch fast nie – und mit Sicherheit nicht so. Irgendetwas stimmte nicht.
Das Gesicht des Zwerges war fast so rot wie der Bart seines Königs, als er die Stufen emporstürmte und nicht langsamer wurde, bevor er vor Magni auf die Knie fiel. Er war zu sehr außer Atem, um Worte hervorbringen zu können, und rang keuchend nach der metallschwangeren Luft, während er dem König ein zusammengerolltes Pergament entgegenstreckte.
„Trink etwas Wasser“, wies Magni den Boten an. Mit seinen dicken Fingern rollte der König das Schreiben flink und geschickt auseinander. Während Magni las, zielte Lothar so mit dem Donnerstock, wie der König es zuvor getan hatte, bevor er neugierig in das Ende des Metallzylinders spähte, die kleine Kugel herausfischte, die sich darin befand, und sie näher in Augenschein nahm. Als Lothar schließlich wieder Magni ansah, merkte er, wie sich die warmherzigen Gesichtszüge seines Freundes verhärteten. Als der König dann langsam aufschaute und Lothars fragendem Blick begegnete, lagen Entschlossenheit und auch ein Anflug von Sorge in seinen Augen.
„Ihr solltet Euch wohl besser auf den Heimweg machen. Wie es scheint, hat jemand eine Eurer Garnisonen angegriffen.“
Lothar beugte sich tief über die Greifin, die ihn nach Sturmwind zurückflog. Die Kreatur – halb Löwe und halb Adler – gehörte zu einer bloßen Handvoll im Besitz Seiner Majestät König Llanes, die hauptsächlich im Dienst geritten wurden. Die Position seines Reiters verriet dem anmutigen Geschöpf, dass er es sehr eilig hatte, und die Greifin brauste so schnell durch die Lüfte, wie sie es eben vermochte.
Lothars Gedanken waren ebenso schnell. Eine Garnison angegriffen? Von wem oder was? Das Schreiben hatte kaum Einzelheiten enthalten. Es waren auch keine Zahlen genannt worden – weder von Opfern noch von Angreifern. Nur die schlichte Mitteilung, dass ein Überfall stattgefunden hatte. Gewiss steckten nicht die Trolle dahinter. Als sich diese blauhäutigen, mit Stoßzähnen bewehrten Geschöpfe das letzte Mal in der Nähe von Sturmwind hatten blicken lassen, waren sie von Medivh und Llane davongejagt worden. Zu Ehren von dessen Beitrag an ihrem Sieg hatte man Medivh sogar eine Statue errichtet.
Die Greifin legte die Schwingen an, um in einen steilen Sinkflug überzugehen, und Lothar klammerte sich fest an den Sattel. Weiter unten, außerhalb der Kaserne von Sturmwind, wurde er von zweien seiner Hauptleute erwartet – von Karos, groß und mit scharf geschnittenen Zügen, die Haltung soldatisch steif, und dem dunkelhäutigen Varis, der seit jeher der Geduldigere der beiden war. Sie wirkten gelassen und professionell, mit gefassten Gesichtern, doch Lothar hatte lange genug mit ihnen zusammen gedient, um zu wissen, dass er recht behalten sollte: Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht.
Sobald die Greifin draußen vor der königlichen Kaserne gelandet war, sprang er von deren Rücken. Sie stieß ihn mit dem Kopf an, und er tätschelte ihr den Nacken, ehe er die Zügel einem Diener reichte. Lothar vergeudete keine Zeit und stieß Karos die Schriftrolle entgegen.
„Diesem Schreiben zufolge gab es einen Angriff. Ich will sofort wissen, was passiert ist!“
Varis nickte, während sie Seite an Seite hineinmarschierten und die Stufen zum Spital hinabeilten. Kerzen in Haltern an den Wänden sorgten für mattes Licht und tauchten die Reihen weiß verhüllter, stummer Gestalten in unheimliches Zwielicht. „Ja, Herr. Wir wissen nicht viel mehr als Ihr, Herr. Die Garnison schickte eine Nachricht, mit der Bitte um Verstärkung. Doch als wir eintrafen, waren … Also, da waren alle schon tot, Herr.“
„Keine Überlebenden?“ Lothar war fassungslos. „Nicht einer?“ Sein Blick glitt von Varis’ distinguierter, düsterer Miene zu Karos’ blassem Antlitz.
„Nein, Herr. Vor Ort fanden wir nur noch Tote vor“, entgegnete Karos. „Wir haben die Leichen hierher gebracht.“
„Zwei Suchtrupps werden noch vermisst“, sagte Varis. „Wir haben … Die Leichen sind …“ Die beiden Soldaten wechselten einen Blick. Lothar galt als Führer, dem seine Männer aus schierer Begeisterung folgten, doch in diesem Moment hätte er am liebsten mit etwas Gewalt nachgeholfen. „Am besten seht Ihr es Euch selbst an, Herr.“
Lothar marschierte weiter und versuchte verzweifelt zu begreifen, was er da gerade gehört hatte. „Eine ganze Garnison wurde ausgelöscht?“, forschte er nach. „Und es gibt niemanden, der uns irgendetwas darüber sagen kann?“
Schweigen, bloß durchbrochen vom Geräusch von Stiefeln auf Stein. Wieder warfen die beiden Soldaten einander einen unbehaglichen Blick zu.
„Nun, wir haben da jemanden gefunden …“, begann Varis unsicher.
„Als er dabei war, die Leichen zu durchsuchen“, sagte Karos. Lothar sah ihn an und stellte fest, dass Schweiß seine Schläfe hinabrann.
„Habt ihr ihn am Ort des Überfalls gefunden?“
„N-nein, Herr“, sagte Karos. „Hier. In der Kaserne. Nachdem wir die Toten hergebracht hatten.“
„In der Kaserne?“ Lothars Stimme hallte in dem Gang wider, doch das kümmerte ihn nicht. „Beim Lichte, welcher Schwachkopf konnte jemanden übersehen, der hier in dieser verdammten Kaserne die Leichen gefallener Soldaten plündert?“
„Wir glauben, er ist ein Zauberer, Herr“, sagte Varis hastig.
Ein Zauberer? Jemand, der dafür sorgen konnte, dass er nicht gesehen wurde. Lothars Schritte wurden langsamer, doch er blieb nicht stehen. Zweifellos war das die Antwort auf die Frage, die er soeben seinen offenkundig ziemlich verwirrten Männern gestellt hatte, doch eine Antwort, die tausend neue Fragen aufwarf.