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Er mühte sich, seine Stimme ruhig zu halten. „Konntet ihr ihn dingfest machen, oder hat er euch in Schafe verwandelt?“ Er versuchte nicht einmal, seine Verärgerung aus seinen Worten herauszuhalten.

„Ja, Herr“, sagte Karos. „Ich meine – ja, wir haben ihn. Wir bringen Euch gerade zu ihm.“

Sie hatten den Möglicherweise-Magier, der in die Kaserne eingedrungen war, in eins der Amtszimmer gesperrt und eine Wache abgestellt, um ihn im Auge zu behalten. Die Wache salutierte zackig, trat beiseite und öffnete mit einem Hauptschlüssel die Tür.

Lothar hatte damit gerechnet, sich einem alten Mann mit einem langen weißen Bart gegenüberzusehen, der ihn mit überheblicher Miene anstierte. Darauf, dass er es mit einem schmutzigen, ungepflegten Halbwüchsigen zu tun bekommen würde, war er nicht gefasst. Als Lothar eintrat, war der Junge gerade dabei, ein Buch durchzublättern, das irgendjemand auf dem Schreibtisch liegen gelassen hatte; jetzt schaute er mit großen braunen Augen auf und sprang auf die Füße.

„Endlich!“, rief er. „Habt Ihr hier das Komman …“

Lothar hatte ihn bereits am Arm gepackt, herumgerissen und auf den Tisch gedrückt. Er griff nach einem Stechzirkel und rammte ihn auf den Tisch, die Spitzen beiderseits des linken Arms des Bengels, sodass dieser festgeklemmt war. Dann zog er dem jungen Eindringling den Ärmel hoch.

Varis hatte recht gehabt. In den Arm des Burschen war das Abbild eines Auges eingebrannt.

„Sha’la ros!“, heulte der Junge, und in seinen Augen glühte blaues Licht. Lothar hielt dem Zauberer mit seiner freien Hand den Mund zu, um die Beschwörung zum Schweigen zu bringen. Helle, himmelblaue Magie wirbelte zwischen den Fingern seiner Rechten, um ohne die Macht der Worte, die sie hätten nähren können, gleich wieder zu vergehen. Lothar drängte sein Gesicht dicht an das des Magiers. „Das ist das Zeichen der Kirin Tor. Was treibst du in meiner Stadt, Hexer?“

Der junge Zauberer sackte zusammen und ließ die Hand sinken. Die Magie, die er heraufbeschworen hatte, verflüchtigte sich. Vorsichtig nahm Lothar seine Hand weg und ließ ihn sprechen. „Bitte, lasst mich meine Untersuchung der Leiche auf der anderen Seite des Gangs zu Ende bringen“, sagte er ruhig, als wären seine Worte tatsächlich irgendwie vernünftig.

Lothar grinste düster. „Und warum sollte ich das wohl tun?“

Der Junge zog seine dunklen Brauen zusammen – aus Frustration? Aus Sorge? „Dieser Leichnam birgt das Geheimnis dieser Überfälle.“ Er leckte sich die Lippen, und mit einem Mal wirkte er wieder wie der Halbwüchsige, der er war. „Ich kann Euch helfen.“

Lothars Augen wurden zu Schlitzen, als er das Gesicht des Jungen musterte. Er hatte es nicht zu etwas gebracht, ohne ein guter Menschenkenner zu sein, und etwas an dem Burschen kam ihm aufrichtig vor. Darum führte Lothar den jungen Magier zu dem Raum, zu dem er wollte, ohne seinen festen Griff um den mit dem Auge markierten Arm des Jungen dabei auch nur für eine Sekunde zu lockern.

Karos zog das Laken zurück und enthüllte den Leichnam, bei dessen Untersuchung man den Magier ertappt hatte. Lothar blieb so abrupt stehen, dass Varis, der die Nachhut bildete, beinahe gegen ihn gestoßen wäre.

Als kampferprobter, abgehärteter Soldat, der er war, hatte Lothar schon unzählige Tote gesehen, die auf die verschiedensten Weisen umgekommen waren, von zivilisiert bis brutal. Aber das hier …

Beide Lider und der Mund des Leichnams standen offen. Die Haut war grau und von dunkleren Flecken übersät, wie von Wundbrand, bloß von etwas weniger Vertrautem. Die Wangen waren eingesunken und die Augen, die ringsum mit Salz verkrustet zu sein schienen, blickten hart und glasig. Nichts an diesem … Ding, das man kaum eine Leiche nennen konnte, war natürlich.

Der junge Magier sagte nichts. Auch er wirkte angewidert von dem, was er sah, doch er war entschlossen, seine Nachforschungen fortzusetzen. Er untersuchte den Körper und nahm jede Einzelheit in Augenschein, ehe sein Blick unaufhaltsam zum kaum menschlichen Antlitz des Toten wanderte. Der Junge wappnete sich innerlich, beugte sich über den Leichnam und schob behutsam zwei Finger in den offenen Mund, um den Kiefer nach unten zu ziehen. Während die Finger des Magiers im Mundraum des Toten herumtasteten, beugte Lothar sich gleichermaßen angeekelt wie fasziniert vor, um besser sehen zu können.

Ein Tentakel aus vagem grünem Nebel stieg aus dem Mund des Toten empor und löste sich in nichts auf. Die Soldaten – darunter auch Lothar – keuchten überrascht. Der Magier sprang zurück und hielt sich mit dem Ärmel Mund und Nase zu; offensichtlich wollte er nicht, dass der seltsame grüne Rauch ihn berührte. Sein Gesicht war blass, und er schluckte schwer, bevor er sich zu Lothar umdrehte.

„Was war das?“, wollte Lothar wissen.

Der Junge nahm einen tiefen Atemzug und versuchte, sich zu beruhigen. „Ihr müsst den Wächter herrufen. Es wäre besser, wenn er Euch erklärt, was vorgeht.“

Das war eine Forderung, keine Bitte. Lothar blinzelte.

„Medivh?“, fragte Karos und sah den Hauptmann an.

„Wir vergeuden kostbare Zeit!“, beharrte der Junge.

Lothar betrachtete ihn mit zu Schlitzen zusammengekniffenen Augen. „Nur der König kann den Wächter rufen. Nicht ich und mit Sicherheit auch nicht irgendein hergelaufener Welpe, dem kaum die ersten Barthaare sprießen.“ An Karos gewandt sagte er: „Schafft ihn nach Goldhain.“

Die Nacht war schon weit fortgeschritten und die Dämmerung nicht mehr fern, als die Greifin mit Lothar am vertrauten Gasthof „Zur Höhle des Löwen“ in Goldhain landete. Die Luft war klamm und frostig, und aus dem Wald riefen zu dieser Stunde noch die nächtlichen Jäger. Einige Schritte entfernt hatten sich ungeachtet der späten Stunde einige Dorfbewohner versammelt, um den König mit seiner Leibgarde zu sehen und nach Möglichkeit Zeugen wichtiger und großer Ereignisse zu werden.

„Bestien, sagt ihr?“ Die Stimme war ruhig und gelassen, aber autoritär und verschaffte sich über das misslautende Durcheinander einiger anderer hinweg mühelos Gehör. Vielleicht, dachte Lothar, als die Soldaten der königlichen Garde zackig salutierten und ihm Zutritt zur „Höhle des Löwen“ gewährten, kam ihm das auch nur so vor, weil er diese Stimme so gut kannte und sie überall heraushörte.

König Llane Wrynn war groß, hatte dunkles Haar und kluge, gütige Augen und trug seinen Vollbart sorgfältig gestutzt. Selbst jetzt, in weniger förmlicher Kleidung, wirkte er von Kopf bis Fuß wie der König, der er war. Die Königsfamilie hatte gerade einen Ausflug in den Wald von Elwynn unternommen, als Llane eine ähnliche Botschaft erreicht hatte wie König Magni. Daraufhin war er zum Gasthof zurückgekehrt, um weitere Nachrichten abzuwarten und sich ein genaueres Bild von der Lage zu machen.

Lothar verspürte einen Stich unangebrachter Nostalgie. Bis zu diesem Moment war das in dem kleinen Dorf Goldhain gelegene Gasthaus für ihn ein Ort gewesen, an dem er sich regelmäßig mit Llane und Medivh getroffen hatte, um mit ihnen gemeinsam zu lachen, zu spielen und zu trinken. Jetzt war es in ein provisorisches Hauptquartier umgewandelt worden. Im Festraum waren mehrere Tische zusammengeschoben worden und jetzt von Karten, Briefen und Tintenfässern bedeckt. Lothar musste lächeln, als er feststellte, dass die ausgerollten Ecken der Pergamente von Bierkrügen gehalten wurden.

„Welche Art von Bestie würde das tun, was ihr berichtet habt?“, fuhr Llane fort. Es kostete ihn sichtlich Mühe, ruhig zu bleiben, als er den Schild eines Sturmwind-Soldaten in Augenschein nahm, der so tief gespalten worden war, dass ihn nur noch ein kleiner Rest der metallenen Verbindung zusammenhielt.

Einer der Offiziere – mit dunklem Haar und noch dunkleren Augen – schüttelte den Kopf. „Nur Gerüchte, Eure Majestät.“