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Gul’dan richtete seine glühenden grünen Augen auf den Frostwolf-Häuptling. „Du wagst es, dieses Urteil zu stören?“

Durotan rührte sich nicht vom Fleck. Er wusste, dass er im Recht war. „Wir haben hart gekämpft. Ihr Zauberer hat Eure Fel-Magie gegen uns eingesetzt!“

Das war nichts als die Wahrheit. Alle, die dabei gewesen waren, hatten es gesehen. Und doch schwiegen sie, als Gul’dans Leib vor Zorn bebte.

„Nur ich allein kann die Fel-Magie beherrschen!“, kreischte er. Er sprang auf die Füße, und seine Augen leuchteten noch heller, als die grünen Flammen flackernd zu neuem Leben erwachten, höher schlugen und hungrig leckten. Viele Orcs keuchten überrascht und wichen zurück. Selbst Durotan tat einen Schritt nach hinten. „Wie ich höre, haben die meisten der Frostwölfe überlebt.“ Gul’dan lächelte spöttisch. „Vielleicht hat Schwarzfaust euch ja absichtlich vom Schlachtfeld ferngehalten. Vielleicht wusste er, dass ihr genauso schwach seid.“

Die Lächerlichkeit dieser Anschuldigung verschlug Durotan für eine Weile schier die Sprache. Zweimal hatte Gul’dan eine schwierige Reise auf sich genommen, um die Frostwölfe zu bitten, sich der Horde anzuschließen. Letzten Endes jedoch war es nicht Gul’dans Flehen gewesen, das die Frostwölfe dazu gebracht hatte, den Treck nach Süden zu unternehmen, sondern die brutale und unausweichliche Tatsache, dass Draenor den Clan nicht mehr länger ernähren konnte. Und Gul’dan wusste das.

Orgrim sprang vor, um mit geballten Fäusten neben der Schulter seines Freundes und Häuptlings aufzuragen. Andere reagierten auf die Geste und wandten sich Orgrim zu. Doch Durotan hatte kein Verlangen danach, einen Kampf vom Zaun zu brechen. Gewalt war keine Lösung, nicht jetzt, und so legte er seinem zweiten Mann beruhigend, aber bestimmt die Hand auf die Schulter. Ganz ruhig.

Orgrim erstickte schier an seiner Wut, fügte sich jedoch dem stummen Befehl. Schwarzfaust wand sich am Boden, und jetzt gelang es ihm, sich auf ein Knie aufzurichten, während er den Stumpf seines Arms umklammert hielt.

„Ich war nicht stark genug, um ihren besten Streiter zu besiegen“, grunzte Schwarzfaust. „Wäre mir das gelungen, wäre das Gefecht anders ausgegangen …“

Durotan wollte nichts davon wissen. Gul’dan war dickköpfig und anmaßend, und Schwarzfaust tat gut daran, dem Hexenmeister nicht zu vertrauen. „Kriegshäuptling …“

„Dein Stolz hat dich geblendet“, brauste Gul’dan auf. „Nur meine Magie kann unsere Feinde bezwingen!“

„Eure Magie hat sie umgebracht!“ Die Worte platzten aus Durotan heraus, bevor er an sich halten konnte.

Gul’dan wandte sich langsam Durotan zu und hob überrascht die Brauen. „Willst du mich etwa herausfordern, kleiner Häuptling?“

Durotan schaute sich um. Alle, die zugegen waren, schwiegen, und ihre Aufmerksamkeit ruhte auf ihm. Er dachte an die Tausende unschuldiger Draenei – darunter auch viele Kinder –, deren Leben die Fel-Magie einfach dafür gefordert hatte, das Portal zu dieser neuen Welt zu öffnen. Er betrachtete die grüne Flamme in dem Kohlenbecken und in Gul’dans Augen und wählte seine nächsten Worte mit Bedacht.

„Ich stelle Gul’dan nicht infrage“, sagte er. „Doch die Fel-Magie wird aus Tod geboren. Sie hat ihren Preis.“

Gul’dan entspannte sich, wenn auch fast unmerklich, und die Furchen auf seiner Stirn schwanden. Tatsächlich lächelte er sogar.

„Ja“, pflichtete er Durotan bei. „Einen Preis, der mit genommenen Leben gezahlt wird.“

Später, viel später, kam er in sein Zelt. Draka war da, im Feuerschein, im guten, wahren Feuerschein, und badete im orangenen Licht der Flammen. Sie wiegte ihr Kind in den Armen und schaute auf, als er eintrat. Beim Anblick seines Gesichts verblasste ihr Willkommenslächeln.

Er berichtete ihr, was sich in Gul’dans Zelt zugetragen hatte. Sie hörte ihm wortlos zu, so, wie sie es auch in jener ersten Nacht unter den Sternen von Draenor getan hatte, als sie aus dem Exil zurückgekehrt war.

Nachdem er ihr alles erzählt hatte, saß er an der Kohlenschale und starrte in die Flammen. Draka verstand seinen Wunsch nach Schweigen und flüsterte ihrem Baby sanft beruhigende Worte zu, während sie den kleinen Kopf zur Seite drehte und einen krallenbewehrten Zeigefinger ausstreckte. Sie stach sich damit in die Brust, und ein Tröpfchen Blut erschien, schwarz im Feuerschein. Sie führte das Baby an ihren Nippel, um es jetzt nicht bloß mit dem Blut seiner Mutter, sondern gleichzeitig auch mit Muttermilch zu füttern. Das war die angemessene Nahrung für einen stolzen Orc, für ein Frostwolf-Kind, für einen künftigen Krieger. Draka schaute zu Durotan auf, und über den Kopf ihres zufrieden saugenden Säuglings hinweg trafen sich ihre Blicke, und zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit erfüllte Durotans Herz ein winziger Anflug von Frieden, hier, allein mit seiner Gefährtin und seinem Kind.

Er fragte sich, ob sie miteinander darüber reden sollten, was jetzt zu tun war, wie sie auf die neuesten Entwicklungen reagieren sollten, was dies alles bedeutete? Aber was hätte er ihr sagen sollen? Was konnte er machen?

Draka stand auf und kam zu ihm herüber. „Möchtest du deinen Sohn halten?“, war alles, was sie sagte.

Sie streckte ihm das kleine, kostbare Bündel hin, das in eine Webdecke eingewickelt war, auf der eingestickt das Zeichen der Frostwölfe prangte. Langsam streckte Durotan die Hände aus.

Das Kind war klein, so klein und so verletzlich. Es bedeckte kaum eine von Durotans mächtigen Handflächen. Es war perfekt und vollkommen … und seine Haut hatte die Farbe des Feuers, das auf Schwarzfausts Leib gewütet hatte.

„Er wird dereinst ein großer Häuptling sein, genau wie sein Vater“, fuhr Draka fort, während sie sich neben ihn setzte und ihm zusah. Ihre Stimme war warm, sanft, zuversichtlich. „Ein geborener Anführer.“

Die Worte schmerzten ihn. „Ich war heute kein Anführer“, sagte Durotan.

Als er sprach, richteten sich die Augen des Babys, blau und hell, geradewegs auf das Antlitz seines Vaters. Kein Orc zuvor hatte jemals blaue Augen …

Das Baby gurgelte fröhlich; seine winzigen Beinchen traten kräftig. Eine kleine Hand langte nach oben und schloss sich unsicher um einen von Durotans Stoßzähnen. Durotan beugte sich vor und runzelte verspielt die Nase. Das Baby grunzte, ein winziger Laut. Einen Moment lang verfinsterte sich seine Miene, ehe es vergnügt giggelte.

„Ha!“, sagte Draka lächelnd. „Er fordert dich bereits heraus!“

Irgendwo aus den Untiefen von Durotans gequälter Seele entkam ein leises Lachen. Das Baby stimmte in das Lachen ein, und sein gesamter Oberkörper hob und senkte sich vom Atmen, während es sanft den Stoßzahn tätschelte, wie gebannt, vollkommen auf das Gesicht seines Vaters konzentriert.

Einen Moment lang wurde Durotans Lächeln breiter, ehe der unerwünschte Gedanke an das, was er heute mit angesehen hatte, seine Freude abrupt trübte. In seinen Augen brannten unvergossene Tränen.

„Wenn Gul’dan jemanden so Unschuldigen wie unseren Sohn infizieren kann, welche Chance haben dann wir anderen?“ Draka sah ihn schweigend an; sie hatte darauf keine Antwort für ihn. „Was immer auch geschieht …“, begann er, doch er konnte den Satz nicht zu Ende bringen.

„Was immer auch geschieht“, entgegnete sie.

9

Als er in den Thronsaal marschierte, glich Lothars Verstand einem Wirbelsturm. Seine Männer, die wussten, dass er die Gefangene verhörte, um von ihr die Position des Feindes zu erfahren, nahmen ruckartig Haltung an, als er eintrat. Ohne jede Vorrede begann er sie mit Fragen zu bombardieren.