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Er hörte auf, hin und her zu laufen, wandte sich ihr zu und musterte sie mit Augen, die geradewegs in ihr Herz zu sehen schienen. „Wie alt bist du …?“

Das Knarren der metallenen Gittertür zu der Kammer unterbrach ihn. Garona wandte flüchtig den Kopf, um hinzusehen, doch ein raschelndes Geräusch, wie von den Schwingen eines Vogels, lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf Medivh – der jedoch fort war. Ein Kribbeln, als würden Blicke auf ihr ruhen, brachte sie dazu, nach oben zu schauen. Ein Rabe kauerte zwischen den Gitterstäben des Fensters; seine Umrisse zeichneten sich vor dem Mond ab, ehe er davonflog.

Schamane, dachte sie.

Garona nahm einen tiefen Atemzug und drehte sich um, um zu sehen, wer ihr da sonst noch einen Besuch abstattete. Es war derjenige, den sie „Lothar“ nannten, der, der den Frostwolf getötet hatte, um sie zu beschützen, bloß um ihr später zu drohen. Bei ihm war die Frau, die auch bei ihrer vorherigen Befragung zugegen gewesen war. Sie wirkte so dürr und zerbrechlich, als bestünde sie aus dünnen Zweigen. Ihre Augen waren groß und braun und sanft, wie die eines Talbuks. Ihr folgte eine Dienerin nach, die sogar noch kleiner war. Die Frau trug ein Stück schmales Holz in den Händen, auf dem eins dieser kleinen Gefäße stand und noch ein anderes, das Garona nicht erkannte. Dampf stieg davon auf. Das Mädchen hatte einen dicken Stapel Felle auf dem Arm.

Lothar legte der Frau eine Hand auf die schmale Schulter. „Ich bin ganz in der Nähe, falls du mich brauchst“, sagte er ihr und warf Garona dann einen warnenden Blick zu. Die Frau nickte und trat zurück, als der Wachmann hereinkam und mit strammen Schritten zu Garonas Zelle ging.

„Zurücktreten!“, befahl er der Orcin. Einen Moment lang rührte sie sich nicht, doch dann tat sie, was er verlangte, und hob ihr Kinn, als die Frau eintrat. Der Wachmann schloss die Gittertür, ehe er sich in die Schatten zurückzog, um aufzupassen, dass Garona keine Dummheiten machte.

„Dein Gefährte“, sagte Garona. „Ich könnte dich töten, bevor er auch nur die Chance hätte, dir zu helfen.“

Die Frau schaute verwirrt drein. Dann folgte sie Garonas Blick und lachte. „Lothar? Er ist mein Bruder! Der König ist mein … Gefährte.“

Der König. Der Anführer. Llane. „Dann bist du das Weib des Häuptlings?“

Bei dieser Wortwahl glitten die dunklen, feinen Brauen in die Höhe. „Ich schätze, schon, ja.“

Garona trat näher; sie überragte die Menschenfrau bei Weitem. „Dann würde es mir noch größere Ehre einbringen, dich zu töten.“ Garona studierte die Reaktion der Frau. Sie wirkte so zart, dass Garona sich fragte, ob die Worte ihr Angst machen würden.

Doch die Frau schüttelte bloß den Kopf. „Nicht unter meinesgleichen.“ Sie nickte dem Mädchen zu, das an Garona vorbeiging und die Felle auf das Bett legte. „Die Nacht ist kalt. Ich dachte, die könntest du brauchen.“

Das Mädchen roch nach Furcht, die Gemahlin des Häuptlings hingegen nicht. Sie trat in ihrem langen, raschelnden Gewand vor und stellte die Dinge, die sie trug, auf dem Tisch ab, um den Becher mit einer heißen Flüssigkeit zu füllen. Sie hielt das Gefäß Garona hin, die es argwöhnisch musterte.

„Das wird dich wärmen“, sagte die Frau. Das Gebräu roch angenehm nach Kräutern, und Garona ertappte sich dabei, dass sie die Wärme willkommen hieß, als sich ihre Hand um den Keramikbecher schloss. „Das ist mein Lieblingstee“, sagte die Frau. „Friedensblume.“ Garona nahm vorsichtig einen kleinen Schluck, stellte fest, dass das Gesöff köstlich schmeckte, und trank es, obwohl es so heiß war.

„Heute Nacht brennen noch mehr von unseren Dörfern“, sagte die Frau, während Garona den Becher leerte. „In einem davon wurde ich geboren.“ Sie kaute auf ihrer Unterlippe herum, ehe sie fortfuhr: „Ich habe deine Wunden bemerkt – die alten. Die Narben. Ich kann mir zwar nicht einmal ansatzweise vorstellen, was du Grauenvolles durchgemacht haben musst, Garona, aber dies alles muss nicht passieren. In diesen Landen herrschte lange Jahre Frieden. Frieden zwischen den Rassen dieser ganzen Welt.“

Friedensblume, dachte Garona. Sie fragte sich, ob die Frau das Getränk wohl absichtlich ausgewählt hatte oder das einfach bloß Zufall war? Sie wandte sich ab und hob einen Umhang auf, der oben auf den Fellen lag. Bei der Bewegung rasselten ihre Ketten, und die Eisenschelle scheuerte über ihren Hals.

Die Frau streckte eine makellose Hand aus, wie um Garonas Kehle zu berühren, und sagte: „Ich kann dir das abnehmen lassen …“

Die Orcin wich ruckartig zurück, schlagartig alarmiert, und verschüttete dabei ihren Tee. Die Gefährtin des Menschenhäuptlings zog ihre Hand zurück, und ihr Gesicht war unsagbar gütig. „Tut mir leid, ich wollte dir keine Angst machen.“ Sie nahm einen tiefen Atemzug. „Hier bei uns wartet ein Leben auf dich, Garona. Falls du das wünschst.“

Bislang hatte nur ein einziges Mal jemand versucht, sie aus reiner Freundlichkeit zu berühren: Draka, Durotans Weib. Drakas Miene war der von Taria ganz ähnlich gewesen – voller Mitgefühl und Zorn auf das, was Garona hatte erdulden müssen.

Sie war sogar vor Durotan geflohen, um ihrem Dasein bei der Horde zu entkommen. Garona wusste sehr genau, wovor sie weggerannt war. Doch war dies der Ort, an dem sie bleiben wollte?

Der Kiesel prallte harmlos von Durotans Schädel ab. Er wandte sich dem Orc neben sich zu und hob eine Augenbraue, um festzustellen, dass sein zweiter Mann – wenig überzeugend – den Unschuldigen spielte. Durotan versuchte, finster dreinzublicken, doch er konnte seinen Schwindel nicht aufrechterhalten und fing an zu lachen. Orgrim stimmte mit ein. Eine Weile kicherten sie wie Kinder.

„Es tut gut, wieder Bäume zu sehen“, sagte Orgrim schließlich. Er saß zusammen mit seinem Häuptling auf einer Anhöhe. Unter ihnen gingen die Routinearbeiten nahe dem Portal weiter, und der grässliche Anblick der Käfige voller menschlicher Sklaven war kaum zu ertragen. Aber darüber, in der Ferne, breitete sich ein Panorama aus, das Durotan fast … fast … an zu Hause erinnerte. Gewiss, es waren andere Bäume, aber sie wuchsen dennoch gerade und hoch. Außerdem trugen sie Früchte und rochen frisch und rein.

„Und den Schnee“, sagte Durotan; Wehmut schlich sich in seine Stimme. „Selbst aus dieser Entfernung.“

Orgrim kratzte müßig an seinen verheilenden Wunden. „Wenn die Menschen geschlagen sind, sollten wir zu den Bergen reisen. Um die Kälte auf unserer Haut zu spüren.“ Seine Worte waren von Ungeduld geprägt, und Durotan verstand sein Verlangen. Seit sie den Norden von Draenor hinter sich gelassen hatten, vermisste er schmerzlich den Schnee.

Allerdings hatte Durotan seinen Stellvertreter nicht darum gebeten, sich zu ihm zu gesellen, damit sie gemeinsam die schneebedeckten Berge betrachten konnten, so wunderschön sie auch sein mochten. Nein, er hatte Orgrim hierher geführt, um ihn daran zu erinnern, wie das wahre Leben aussah. Bei all dem Grauen unter ihnen konnte Durotan das nicht erkennen, umgeben von den Schreien der kranken, verhungernden Menschen und ihrer Kinder und der zermürbenden Plackerei, Steine zu schlagen und zu schleppen. Er rieb sich den Nacken; die Aufgabe, die vor ihm lag, gefiel ihm nicht, doch es gab Dinge, die gesagt werden mussten.

„Erinnerst du dich daran, wie wir Grollhufe durch die Frostwinddünen getrieben haben? Da waren ganze Herden davon, überall. Und wenn gerade keine Grollhufe zu sehen waren, gab es Talbuks. Es gab immer genügend Fleisch. Immer Leben. Im Mittsommer tanzten wir auf den Wiesen, und selbst im Winter haben wir nie gehungert.“

„Aber unsere Welt lag im Sterben“, sagte Orgrim. „Wir mussten fortgehen. Du bist so lange geblieben, wie du konntest, Durotan, doch du wusstest, was wir tun müssen, um zu überleben.“

Düstere Gedanken umwölkten Durotans Geist. Das, was er sagen musste, war gefährlich … aber notwendig. Im Geiste kehrte er zu dem Moment zurück, in dem er die qualvolle Entscheidung getroffen hatte, sich Gul’dan anzuschließen, und zu den Worten, die er damals an seinen Clan gerichtet hatte. Es gibt nur ein Gesetz, nur eine Tradition, gegen die niemals verstoßen werden darf. Und dieses Gesetz besagt, dass ein Häuptling tun muss, was immer für seinen Clan wahrhaft am besten ist.