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Llane blickte zu Medivh hinüber und sah seinen traurigen Gesichtsausdruck. Es zerriss ihm das Herz, aber er wusste, was er zu tun hatte.

„Varis“, sagte er, und der Widerwille war ihm deutlich anzuhören. „Bring den Hauptmann in eine Zelle, damit er sich beruhigen kann.“ Er schluckte hart. Wie hatte es nur dazu kommen können?

Varis zögerte, und Llane verstand seine Gründe nur zu gut. Dies war Anduin Lothar, der Löwe von Azeroth. Varis’ Vorgesetzter, der mit seinem Beispiel voranging und Respekt gebot. Doch selbst Helden schienen eine Belastungsgrenze zu haben.

Llane litt mit seinem Freund, aber auch wenn er Anduin wie einen Bruder liebte – die Sicherheit des Königreichs war wichtiger als seine persönlichen Gefühle. Widerstrebend schob er nach: „In diesem Zustand bist du niemandem eine Hilfe.“ Er musste es Lothar zugutehalten, dass er den Raum verließ, ohne noch einmal die Kontrolle zu verlieren, aber der Blick, den sein Hauptmann dabei dem Wächter von Azeroth zuwarf, troff vor Hass.

Medivh trat an den Tisch und betrachtete die Karte, dann hob er die Figuren hoch, die ihre drei Legionen repräsentierten, und stellte sie vor das kleine Modell des Großen Tores.

„Wir werden das Königreich retten, Mylord“, erklärte er. „Ihr und ich.“

Wann, überlegte Lothar mit bitterem Groll, hatte er sich jemals auf der falschen Seite der Gitterstäbe befunden? Was war geschehen? Ja, natürlich fühlte er sich noch immer leer und verzweifelt ob des Verlustes seines Sohnes. Jedem Vater würde es so gehen. Und da war mehr als nur Schmerz. Schuldgefühle nagten an ihm, und genau die hatte Medivh sich zunutze gemacht, um ihn zu einem Angriff zu provozieren. Doch warum im Namen des Lichts hatte er das getan? Medivh war sein Freund – zumindest hatte er das geglaubt. Und wieso hatte Llane nicht bemerkt, was der Wächter tat?

Er vergrub das Gesicht in den Händen. Wenn er doch nur in die Zeit zurückkehren könnte, bevor er Khadgar begegnet war, als Medivh nur ein Teil seiner Vergangenheit gewesen war und Callan ein Teil seiner Gegenwart. Als alles noch normal gewesen war. Nein, korrigierte er sich. Nicht alles. Er wollte Garona nicht verlieren.

Lothar hörte, wie sich der Schlüssel im Schloss drehte, dann schwang die Tür auf. Er blickte auf, aller Wahrscheinlichkeit zum Trotz in der Hoffnung, dass Llane seine Meinung geändert hätte. Doch es war Garona, die vor ihm stand, als hätte er sie mit seinen Gedanken herbeigerufen.

Trotz des weißglühenden Schmerzes und der Furcht und der Verzweiflung des Moments breiteten sich bei ihrem Anblick Ruhe und Wärme in ihm aus.

„Warum bist du hier?“, fragte er sie.

Wie jeder Orc war sie ganz Kämpferin. „Der König. Er wird gegen die Horde kämpfen. Mit der Hilfe eures Wächters wird Durotan Gul’dan töten.“

Sein Magen zog sich zusammen. „Vertrau ihm nicht.“

Garona runzelte die Stirn. „Ich habe es dir schon einmal erklärt. Orcs lügen nicht.“

„Ich meine nicht Durotan.“ Lothar stand auf und ging hinüber, als sie vor seine Zelle trat. Er legte die Hände um die Gitterstangen. „Ich meine Medivh.“ Verwirrt blickte sie ihn an. Es gab tausend Dinge, die er ihr sagen, vor denen er sie warnen wollte, aber Varis wartete an der Tür. Er hatte nicht viel Zeit.

Sie brauchte keine Erklärungen. „Ich werde versuchen, deinen König zu beschützen“, war alles, was sie sagte.

Augenblicklich flüsterte er: „Geh nicht mit ihnen.“

„Warum?“ Sie trat näher und legte die Hände auf die seinen; ihre Berührung war warm und stark und tröstlich. Sie, die so viel Schmerz erfahren hatte, konnte aus irgendeinem Grund zärtlicher sein als jede andere Person, die er kannte.

Lothar dachte an die letzte Nacht, an ihre Hände auf seinem Körper, und er griff zwischen den Stangen hindurch, um ihre Wange zu streicheln.

„Ich will nicht, dass dir etwas zustößt“, sagte er leise. Es war zwanzig Jahre her, dass Callan geboren, dass Cally gestorben war. Und zum ersten Mal in all dieser Zeit war es nicht ihr Gesicht, das er in seinen Gedanken – und in seinem Herzen – trug. Es war dumm, es war leichtsinnig, es war unglaublich … und es war unleugbar wahr.

Emotionen huschten über ihre Züge, während sie nach ihrem schlanken Hals griff und den dünnen Lederriemen abnahm, den sie als Kette trug. Kurz strich sie über den Anhänger, dann nahm sie seine Hand. Er spürte den Hauer ihrer Mutter, warm, weil er an Garonas Herz geschmiegt gewesen war, dann schloss sie seine Finger um den wertvollsten Besitz, den sie geben konnte.

„Komm lebend zurück“, wisperte Lothar. Er drückte ihre Hand. Ich könnte es nicht ertragen, wenn ich dich auch noch an diesen Krieg verliere.

Sie nickte, aber er wusste, was sie damit sagen wollte. Es war eine Bestätigung seiner Worte, keine Zusicherung. Sie hatte zu viel Ehre, um Versprechen zu geben, die sie nicht halten konnte. Stattdessen schob sie sich die Kapuze über den Kopf, sah ihn aus ihren dunklen Augen an und ging davon, um in den Krieg zu ziehen.

18

Die Menschen konnten ihre verängstigten Augen nicht von Durotan nehmen. Sie starrten zwischen den Gitterstäben ihrer Käfige zu ihm herüber und fragten sich dabei zweifelsohne, was er wohl getan hatte, um gemeinsam mit ihnen eingesperrt zu werden. Vielleicht vermuteten sie auch, dass er hier war, um sie irgendwie zu täuschen und noch mehr zu quälen. Durotan musterte sie traurig. Er hatte versucht zu helfen, aber dieser Versuch war kläglich gescheitert. Er war gescheitert, und jetzt saß er hier, voller Sorge wegen der grausamen Dinge, die Gul’dans Orcs seinem Clan angedroht hatten.

„He! Frostwolf!“, rief seine Wache. Er wandte den Blick von den Menschen ab und runzelte die Stirn. Orgrim Schicksalshammer kam auf seinen Käfig zu. Durotan spannte die Muskeln an. Welches neue Grauen hielt sein einstiger Bruder diesmal für ihn bereit? Die Wache stellte sich Orgrim in den Weg, aber der verlangsamte nicht mal seine Schritte. Er hob lediglich den Schicksalshammer und ließ ihn beiläufig auf den Schädel der verwirrten Wache hinabsausen.

Der Orc brach zusammen.

Als Orgrim sich über den Toten bückte, um ihm seinen Schlüssel abzunehmen, begegnete sein Blick dem Durotans. Mit derselben Gelassenheit, mit der er die Wache erschlagen hatte, sagte nun der Häuptling der Frostwölfe: „Jetzt hast du dir alle Seiten zum Feind gemacht.“

„Ich werde sagen, dass du es warst“, erwiderte Orgrim. Durotan kannte ihn nach vielen Jahren der Freundschaft genau, und er bemerkte das leichte Zittern von Orgrims Händen, als er den Käfig aufschloss. Er blickte Durotan an, aber der blieb ruhig sitzen und ließ sich die Fesseln um Hals, Füße und Hände abnehmen, anschließend griff er nach der dargereichten Hand und ließ sich auf die Beine helfen, wobei er so tat, als würden ihm seine steifen Glieder Schmerzen bereiten. Die beiden musterten einander einen Moment lang, dann verpasste Durotan seinem alten Freund einen heftigen Schlag gegen die Brust. Orgrim stolperte nach hinten gegen das knorrige Holz des Käfigs und kippte auf den Hosenboden. Doch anstatt zurückzuschlagen, saß er einfach nur mit gesenktem Kopf da.

Schließlich brach Durotan die Stille.

„Was ist passiert?“

Orgrim blickte ihm ins Gesicht. „Es tut mir leid, Durotan. Ich hielt es für unvorstellbar, dass wir uns mit den Menschen gegen unser eigenes Volk zusammentun sollten. Ich habe mich geirrt, mein Häuptling. Gul’dans Fel-Magie zerstört uns.“

Durotan schloss die Augen. Er wünschte sich die letzten Sonnen zurück, wünschte, dass die Dinge anders wären. Doch solche Gedanken führten in den Wahnsinn. Also streckte er Orgrim die Hand hin und half seinerseits ihm auf. Anschließend stellte er mit erzwungener Ruhe die Frage, die sein Herz am meisten plagte.

„Wo ist Draka?“