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Und da wusste Lothar, wie er das Ding zum Schweigen bringen könnte.

Er ließ sein Schwert fallen und kletterte an der Kreatur hoch, grub Füße und Finger in den Lehm, bis er die Schulter des Dings erreicht hatte. Seine Finger bekamen das Werkzeug zu fassen, und er schlang es über den missgestalteten Schädel des Golems. An der Stelle, wo sich sein Mund befand, grub er den Draht in sein Gesicht und zog fest daran. Die Kreatur taumelte, drehte sich im Kreis und versuchte, mit ihrer gewaltigen Obsidianhand nach dem lästigen Menschlein zu schlagen. Lothar kletterte zur Seite, und die Steinfaust donnerte durch die Wand des Raumes. Der Körper des Golems folgte der Bewegung. Er beugte sich vor und schüttelte sich, um Anduin abzuwerfen.

Lothar hob gerade noch rechtzeitig den Kopf, um Khadgar auf der unteren Ebene zu sehen, der mit dem Gesicht nach unten zwischen den Trümmern lag. Er bewegte sich nicht. Lothar hatte aber keine Zeit, sich um den Magier zu sorgen, denn Medivh hatte sich ihm zugewandt. Der Wächter spießte seinen alten Freund mit einem grün glühenden Blick auf und zog den Arm zu einem Angriff zurück.

Lothar zog an dem Draht, so fest er nur konnte. Der Golem wurde von der Bewegung nach hinten gerissen, und Medivhs Attacke traf ihn mit voller Wucht gegen die Brust. Die Kreatur stolperte und kippte nach unten und zerschmetterte das Fenster auf der unteren Ebene. Die eine Hälfte des Golems landete im Inneren, die andere – mitsamt Anduin – baumelte aus dem Fenster. Lothar klammerte sich an dem Draht fest, und zu seinem Schrecken stellte er fest, dass das Werkzeug nun genau das tat, was es tun sollte: Es schnitt durch den Lehm, langsam, aber unaufhaltsam.

Eine Sekunde später war ein Teil des Golemschädels durchtrennt, und er segelte an Lothar vorbei in die Tiefe, wo er auf dem Boden auseinanderplatzte. Anduin versuchte, nicht abzurutschen, gleichzeitig rammte er seine Füße in den nach wie vor weichen Rücken des Lehmmannes, um besseren Halt zu gewinnen. Während er so dahing, mit dem Kopf nach unten, seine Beine bis zu den Knöcheln im Lehm steckend, bemerkte er kaum, dass die Beschwörung verstummt war.

Doch obwohl die Hälfte seines Schädels und eines seiner Beine abgeschnitten waren, bewegte der Golem sich weiter. Er griff mit einer Hand nach dem Sims und zog sich mitsamt seinem unerwünschten Reiter nach drinnen. Zurück auf dem festen Boden der unteren Ebene, lehnte er sich gegen die Wand und drehte sich herum. Er wollte Lothar zwischen sich und dem gewölbten Stein des Turms einquetschen, und einen Moment lang war Anduin überzeugt, dass es ihm gelingen würde. Er riss seine Stiefel frei, ließ sich auf den Boden fallen und rollte sich gerade noch rechtzeitig aus dem Weg, bevor der Golem seine Schulter gegen die Wand drückte.

Die Kreatur wiederholte die Bewegung ein weiteres Mal; offenbar hatte sie nicht bemerkt, dass sie ihren menschlichen Parasiten längst losgeworden war. Lothar fluchte, als die Beschwörungsformel erneut seine Ohren erfüllte. Er nutzte die Abgelenktheit des Golems aus, um zu Khadgar hinüberzueilen und die Bücher und Trümmer beiseitezuräumen, unter denen er begraben lag. Zu seiner Erleichterung hatte der Magier, obgleich durchgerüttelt, zerzaust und von blauen Flecken gezeichnet, keine schweren Verletzungen.

„He, Junge“, sagte er. „Wach auf!“ Khadgar rührte sich nicht. Anduin verpasste ihm eine Ohrfeige. Jetzt zuckte der Magier zusammen, seine Augen sprangen auf, und seine Hand packte Lothars Handgelenk. „Alles in Ordnung?“

Khadgar nickte, blinzelte mehrmals benommen, und blickte dann an Anduins Schulter vorbei zu dem Golem. „Gut mitgedacht, ihm so den Schädel abzuschneiden.“

„Ja“, entgegnete Lothar trocken. Wenn der Junge das so sah, warum ihn dann eines Besseren belehren? „Genauso hatte ich es geplant.“ Er zerrte Khadgar auf die Beine. „Was jetzt?“

„Der Wächter muss die Beschwörung selbst aufsagen. Solange er damit beschäftigt ist, können wir näher heran und ihn vielleicht ablenken.“ Entschlossen trat der Magier auf die riesige Lehmkreatur zu.

„Und dann?“, wollte Lothar wissen.

„Müssen wir Medivh in das Becken bekommen“, antwortete Khadgar, dann rannte er los.

„Das ist alles?“, fragte Lothar sarkastisch. Doch noch während er diese Worte aussprach, wurde ihm bewusst, dass er Khadgar inzwischen völlig vertraute. Er begann zu der Ebene mit dem Becken hochzuklettern, wo Medivh jetzt stand und den schrecklichen Gesang fortsetzte, der Tausende blutrünstiger Orcs den Weg nach Azeroth ebnen würde – sofern sie nicht bereits hier waren.

Lothar bewegte sich langsam, nahm sich Zeit, obwohl alles in ihm schrie: Beeil dich, mach schneller! Er hielt inne, aber der Wächter schien zu sehr in seinen Zauber vertieft, um zu merken, dass Anduin sich von hinten an ihn herangeschlichen hatte. Aus einem Impuls heraus öffnete Lothar den Mund, während er sich weiter nach vorne schob.

„Medivh … falls noch ein Teil von dir da drinnen ist, alter Freund … komm zu uns zurück.“ Er erhielt keine Antwort. Der Wächter schien sich seiner Gegenwart überhaupt nicht bewusst zu sein. Voller Bedauern hob Lothar die Hand, um Medivh den Mund zuzuhalten.

Ohne auch nur in seinem Gesang innezuhalten, riss Medivh den Arm hoch, packte Anduin an der Kehle und hob ihn in die Luft. Lothars Hände griffen nach seinem Hals und versuchten verzweifelt, den eisernen Würgegriff von Medivhs Fingern zu brechen. Der Wächter drehte den Arm, bis Lothar direkt vor seinem Gesicht hing – und direkt über dem grün glühenden Becken.

Der Griff um seine Kehle war wie ein Schraubstock, und Medivhs Finger bohrten sich tief in sein Fleisch, aber Anduin konnte noch immer atmen. Noch immer sprechen.

Warum? Warum machte der Wächter nicht einfach kurzen Prozess und zermalmte ihm die Luftröhre?

„Medivh?“, krächzte er, einen flehenden Ausdruck in den Augen.

Sein alter Freund schleuderte ihn von sich. Lothar segelte geradewegs über das Becken hinweg und schlug dahinter hart auf.

Er rang nach Atem wie ein Fisch auf dem Trockenen, aber anfangs verweigerten ihm seine Lungenflügel den Dienst. Die Zähne gegen diesen neuen Schmerz zusammengebissen, stemmte er sich auf die Beine, auch wenn er dabei wie betrunken schwankte. Unter ihm versuchte Khadgar, den halb geköpften Golem zu sich zu locken. Warum, das wusste Lothar nicht. Er wusste nur, das er nicht aufgeben durfte. Er musste weiterkämpfen.

„Komm schon! Töte mich! Ich habe ohnehin nichts, wofür es sich noch zu leben lohnt“, rief er, nachdem er wieder zu Atem gekommen war. Medivh ignorierte ihn; er stand da wie eine Statue und fuhr mit seiner verfluchten Beschwörung fort. „Außerdem ist Leben für dich doch Energie, oder?“ Er versuchte, die Konzentration des Wächters zu brechen, ihn zu einem Angriff zu provozieren. Vermutlich würde er dabei sterben, aber zumindest müsste Medivh seinen Gesang unterbrechen. Lothars Stimme war rau vor Schmerzen, als er an seinen Sohn dachte, der so brutal gestorben war – von Monsterklauen in Fetzen gerissen, während sein Vater hilflos hatte zusehen müssen.

Dann wanderten seine Gedanken zu Llane. Seinem Freund. Seinem Bruder, dem Gesetz nach ebenso wie in seinem Herzen. „Aber Llane“, fuhr er fort, an den Wächter auf der anderen Seite des Teufelsbeckens gewandt. „Er glaubt an dich. Töte nicht deinen König. Töte nicht deinen Freund.“

Medivh hielt in seiner Beschwörung inne. Die Farbe seiner Augen wechselte von dem hellen Grün zu einem tiefen Schwarz. Furcht verwandelte Lothars Eingeweide in einen kalten Klumpen. „Was immer du vorhast, Junge“, rief er Khadgar zu, wo immer er gerade stecken mochte. „Beeil dich damit!“ Noch während er sprach, trat Medivh in das Becken.