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Das war exakt, was Khadgar ihm aufgetragen hatte. Lothars Schultern sackten erleichtert nach unten. Sie hatten es geschafft. Er war zu dem Wächter durchgedrungen, und Medivh war in das mächtige magische Becken gestiegen …

… wo er nun zu wachsen begann.

21

Größer, breiter, massiger – alles an Medivh wuchs auf jede nur erdenkliche Form. Muskeln überlagerten Muskeln, verwandelten seinen athletischen, aber normalsterblichen Körperbau in etwas, das mehr Ähnlichkeit mit einem Orc als mit einem Menschen hatte und mehr Ähnlichkeit mit einem Dämon als mit einem Orc. Seine Haut nahm einen grünen Farbton an, und ein gleichfarbiger Dunst quoll aus seinen Augen. Mit jedem Schritt wuchs ein neuer Schrecken aus seinem Leib und verwandelte Lothars alten Freund noch mehr in einen wandelnden Albtraum. Zwillingshörner sprossen aus seiner Stirn, und gezackte Platten, die wie Obsidiandolche aussahen, stießen durch seine Schultern nach oben, fast so, als hätten sich die Rabenfedern an seinem Umhang in schwarzen Kristall verwandelt.

„Jetzt“, sagte Lothar, aber sein Grauen verschluckte das Wort fast. Das Monster, das einst der Wächter von Azeroth gewesen war, verwandelte sich weiter, wuchs noch mehr in die Höhe, änderte unvermindert seine Form, und sein furchterregender Blick war nach wie vor auf den Krieger fixiert.

„Jetzt!“, rief er an Khadgars Adresse. „Jetzt, jetzt!“

Ein Schimmer fahler blauer Energie erschien direkt über Medivhs Kopf, und dann stürzte der gewaltige Lehmgolem – achtzehn Fuß hoch und unzählige Pfund schwer – auf die dämonische Gestalt in dem Magiebecken hinab.

Es war genauso wundervoll, wie Gul’dan es sich vorgestellt hatte. Die Orcs stürmten durch das Tor, aus einer toten Welt in eine blühende, und die Horde hieß sie mit lautem Brüllen willkommen. Die Menschen verzweifelten und starben, und Gul’dan war zufrieden. Doch schon bald verblasste sein Lächeln.

Das grüne Glühen um die inneren Ränder des Portals flackerte. Das Bild vom Rest der Horde auf Draenor, der darauf wartete, sich seinen Brüdern anzuschließen, verschwamm. Das war schon zuvor geschehen, aber bislang hatte sein größter Verbündeter die Beschwörung stets fortgesetzt. Also wartete Gul’dan.

Stille.

Das Bild trübte sich weiter ein, und noch immer war kein Gesang zu vernehmen. „Nein“, murmelte der Hexenmeister. „Nein, nein …“

Ein letztes Schimmern, ein kurzes Aufflackern orcischer Silhouetten, das sich ihm ins Gehirn brannte – dann waren sie fort. Einen langen Moment starrte Gul’dan entsetzt zum Portal hinüber, dann brüllte er vor Zorn, bis seine Stimme rau und heiser war. Er wirbelte zum nächststehenden Käfig herum, vollgepackt mit kreischenden Menschen, und packte mit beiden Händen die Stangen. Kurz wanderte sein Blick über ihre hässlichen, weichen Gesichter, bevor er mit einer mächtigen Kraftanstrengung den gesamten Käfig von der Plattform stieß. Doch selbst der Anblick, wie er tief unter ihm in einer Explosion von Trümmern und blutigem Brei auseinanderbarst, war in diesem Moment nur eine schwache Genugtuung.

„Dann soll es eben so sein!“, grollte er. „Wir werden diese Welt allein erobern!“

Khadgar klammerte sich an den Golem, den er über Medivh teleportiert hatte, und landete mit ihm in dem magischen Becken, ein Zwerg verglichen mit den beiden unnatürlich großen Gestalten. Er keuchte, und Lothar sah mit Schrecken, dass die Fel-Magie sich nun auch nach dem Jungen ausstreckte.

Grüne Energie knisterte rings um Khadgar, als er sich zu dem Hauptmann herumdrehte. Er streckte ihm die Hand entgegen, die Finger gespreizt, und Lothar rechnete schon mit einem Energieball, der auf ihn zurasen und ihm das Leben aussaugen würde. Doch der Moment kam und ging, ohne dass er als verkrümmte Hülse auf dem Boden zusammenbrach. Stattdessen schimmerte die Luft rings um Lothar, und dann formte sich eine blauweiße Kuppel über ihm. Durch den grünen Nebel konnte er sehen, dass Khadgar aufmunternd lächelte, und ihm wurde klar, dass Khadgar ihn mit einem Schutzzauber umgeben hatte.

Der Junge kroch vorwärts, bis er neben Medivhs gewaltigem, gehörntem Kopf kniete. Dort hob er eine zitternde Hand und presste sie auf die Stirn des Dämons.

„Du bist stärker als er“, sagte Lothar, und dabei erkannte er, dass er jedes Wort so meinte. Khadgar hatte nicht gezögert, und er würde es auch jetzt nicht tun. „Zerstöre sie, Junge!“

Doch Khadgar zerstörte sie nicht. Vielmehr erntete er die Fel-Magie. Sie wirbelte um ihn und Medivh herum, ein Sturm aus wogendem hellem Grün. Er entzog dem Wächter seine Macht, während dieser unter dem Golem eingeklemmt war und brüllend seinen hörnerbewehrten Schädel hin und her warf. All diese Energie, die in Wellen aus seinem Leib wallte, floss direkt in Khadgar hinein. Lothar riss die Augen auf. Dieser grüne Junge benutzte sich selbst als Leiter, um den Makel der Fel-Magie aus Medivhs Bewusstsein zu waschen.

Und es funktionierte.

Während Lothar wie gefesselt zu dem Becken hinüberstarrte, gleichzeitig entsetzt und hoffnungsvoll, begann Medivhs dämonische Gestalt zusammenzuschrumpfen. Langsam näherte sie sich wieder ihrer ursprünglichen Größe und Form an: Der hin und her peitschende Kopf büßte seine Hörner ein, und einmal mehr spross ihm langes Haar aus seiner Kopfhaut. Schließlich ließ Khadgar ihn los und richtete seine Aufmerksamkeit auf das Becken selbst. Er tauchte die Hände hinein, und sein Gesicht, ausgezehrt und angespannt, verzerrte sich vor Konzentration.

Anduin spürte, wie die Mauern von Karazhan selbst unter den Energien ächzten.

Plötzlich erschlaffte das Gesicht des Magiers. Die grünen Augen weiteten sich, als würden sie etwas sehen, das nicht da war, und was immer die Fel-Magie ihm zeigte, sein Mund öffnete sich zu einem stummen, ehrfurchtsvollen O.

Nein. Nicht Khadgar. Nicht der Junge, der auf der Suche nach Antworten in die Kaserne eingebrochen war; der als Erster vor der Substanz gewarnt hatte, die ihn nun zu vernichten drohte. Lothar hatte gesehen, was die Fel-Magie bewirkte. Der Gedanke, dass es Khadgar ebenso ergehen könnte wie Medivh, der Gedanke daran, was er der Welt antun könnte …

Der Junge schloss die Augen. Und als er sie wieder öffnete, glühten sie nicht länger grün … sondern blau. „Aus dem Licht erwächst Dunkelheit“, krächzte er mit heiserer Stimme. „Und aus der Dunkelheit … Licht …!“

Er breitete die Arme aus und bog den Rücken durch, dann schrie er – ein rauer, rasselnder, aber entschlossener Laut –, und die Teufelsenergie schoss aus ihm heraus. Aus ihm, aus dem Becken, aus Karazhan. Die Luft selbst schien von einem ohrenbetäubenden Donner zerrissen zu werden, als eine Woge hellgrüner Energie aus dem Jungen hervorbrach. Sie spülte über Lothars magischen Schild hinweg wie Wasser über einen Glasbehälter.

Einen Moment stand Khadgar noch wankend da, dann brach er hustend und würgend zusammen.

Das Becken des Wächters war leer.

Die Kuppel um Lothar löste sich auf, und er eilte zu dem Magier hinüber. Der hatte sich auf die Hände hochgestemmt, den Kopf gesenkt, während er noch immer würgte und kleine Schwaden von Fel-Magie um ihn herum aufstiegen und verdampften.

Hatte der Junge seinen eigenen Kampf wirklich gewonnen, oder würde Lothar ihn doch töten müssen? „Zeig mir deine Augen“, wisperte Anduin drängend.

Khadgar machte einen keuchenden Atemzug und hob den Kopf. Seine Augen waren klar und braun. Lothar klopfte ihm herzlich auf den Rücken, dann sank er erleichtert zusammen, und einen Moment lang grinsten die beiden einander einfach nur an, während sie sich darüber wunderten, dass sie noch immer hier waren. Und noch immer lebten.

Ein vertrautes, krächzendes Geräusch ertönte von draußen. Lothar warf Khadgar einen fragenden Blick zu. „Ich habe sie gerufen, bevor ich Euch aus Eurer Zelle holte“, erklärte der Magier, noch immer ächzend. „Ich dachte mir, wir könnten vielleicht ihre Hilfe brauchen.“