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Lothar verließ sich ganz auf seine Ausbildung und darauf, dass der Geist seines Bruders seine Hand führen würde. Er wusste, dass er der Gerechtigkeit hier nicht Genüge tun konnte, aber wenn auch sonst nichts, konnte er den Mörder seines Sohnes vernichten. Er konnte dafür sorgen, dass Schwarzfaust nie wieder Eltern mit dem Verlust ihres geliebten Kindes drohte. Und das sollte ihm genügen.

Kurz blieb er noch wie abwartend stehen, dann rannte er direkt auf seinen Gegner zu. Im letzten Moment ließ er sich fallen und rutschte zwischen den Beinen des heranstürmenden Orcs hindurch, auch wenn die steinige Erde ihm dabei die nackten Füße aufriss. Dann hieb er seine Klinge nach oben und machte sich den Schwung des Kriegshäuptlings zunutze.

Schwarzfaust heulte vor Schmerzen und blieb taumelnd stehen. Einen Moment hielt er sich noch auf den Beinen, dann kippte er auf die Knie. Lothar richtete sich auf, trat hinter ihn und rammte sein Schwert mit der ganzen Kraft seines Körpers in den Torso des Orcs.

„Für meinen Sohn“, sagte er leise, anschließend trat er Schwarzfaust nach vorne, sodass er mit dem Gesicht im Staub landete. Grünes Blut sprudelte unter ihm hervor. Der grüne Riese stand nicht wieder auf.

Fassungslose Stille breitete sich aus. Lothar ließ das Schwert sinken und blickte in die Menge. Aus der Ferne hörte er wütendes Grollen und Befehle, die von einer kratzigen, hasserfüllten Stimme gegeben wurden. Mehrere Köpfe drehten sich in die Richtung dieser Stimme, nur um dann wieder zu Anduin herumzurucken. Zweifelsohne hatten sie gerade die Anweisung erhalten, ihn zu töten.

Lothar schloss die Hände fester um den Schwertgriff, bereit, so viele seiner Feinde mit in den Tod zu nehmen, wie er nur konnte. Doch sie blieben, wo sie waren, starrten ihn an mit ihren undeutbaren, seltsam intelligenten, winzigen Augen. Schließlich trat ein Orc vor und hob seine Axt. Doch ein anderer legte ihm die Hand auf die Brust und hielt ihn zurück. Der erste Orc runzelte die Stirn, senkte jedoch seine Waffe.

Ihr Häuptling hatte ein Duell gewollt. Lothar hatte sich ihm gestellt, und sie würden die Regeln eines solchen Duells achten.

Lothar wünschte sich beinahe, sie würden angreifen.

Sein Blick richtete sich auf die reglose Leiche seines Königs. Die Orcs auf dem Schlachtfeld rührten sich noch immer nicht. Zumindest, bis ein grausiges Gebrüll die Luft zerriss. Lothar drehte sich um und sah zwei der abscheulichsten Wesen, die ihm je begegnet waren. Einer war ein gebückt gehender Orc mit hellgrüner Haut und langem grauem Bart. Seine Augen leuchteten vor Fel-Magie – so grell, wie auch Medivhs Augen geglüht hatten. Auf einen Stab gestützt näherte er sich Lothar, und Hörner ragten aus dem Umhang, der seine Schultern bedeckte.

Das konnte nur Gul’dan sein.

Neben ihm ging ein Wesen, dass Lothar einst wunderschön gefunden hatte. Doch jetzt war Garona für ihn sogar noch widerwärtiger als der von Magie verzerrte Hexenmeister an ihrer Seite. Ihre Blicke trafen sich.

Garona musste sämtliche Willenskraft aufbringen, um nicht schluchzend zusammenzubrechen, als Lothar sie anstarrte. Sie wusste nicht, wie sie sich überhaupt so lange zusammengerissen hatte, aber sie wusste, dass sie jetzt stärker sein musste als je zuvor in ihrem Leben. Lothars Augen funkelten wie die eines wilden Tieres. Sie kündeten von seinem gebrochenen Herzen, von der Trauer um Llanes Tod und dem Zorn über ihren Verrat. Er sah aus, als sehnte er sich nach dem Tod. Doch so weit würde Garona es nicht kommen lassen.

„Tötet ihn!“, befahl Gul’dan und deutete mit seinem schwarzen Fingernagel auf Lothar.

Der Mensch musterte den Hexenmeister einen Moment lang, dann lud er sich die Leiche des gefallenen Königs auf die Schultern – mitsamt seiner Rüstung. Seine Knie zitterten, aber nur leicht, dann wandte Anduin seinem Feind den Rücken zu und ging mit festen Schritten zu dem Greif hinüber. Der Sicherheit entgegen.

„Tötet ihn!“, schrillte Gul’dans Stimme. Speichel schäumte über seine grünen, rissigen Lippen.

Die anderen Orcs scharrten mit den Füßen, aber davon abgesehen rührten sie sich nicht, sondern ließen Lothar weitergehen. Einst waren sie ihrem Anführer mit echter Bewunderung gefolgt, aber jetzt erfüllten seine Worte sie mit Unbehagen. Etwas hatte sich verändert, etwas, das weit über den Zusammenbruch des Portals hinausging. Anduin Lothar hatte den mächtigsten Krieger aus den Reihen der Horde besiegt, und das in einem fairen und ehrenhaften Mak’gora. Sie würden sich jetzt nicht gegen ihn wenden.

„Das Mak’gora ist heilig, und der Mensch hat sein Duell gewonnen“, erklärte Garona ihrem einstigen Meister. Ihr Herz raste, aber sie schaffte es, ruhig zu klingen. Weder Gul’dan noch Lothar sollten ihre wahren Gefühle erkennen. Sie deutete auf Schwarzfausts mächtigen, leblosen Körper. „Sie wollen ihrem gefallenen Kriegshäuptling die letzte Ehre erweisen. Lasst Euren Kriegern ihre Traditionen.“

Doch der Hexenmeister dachte nicht daran. Er wandte sich von dem davonstapfenden Menschen ab und starrte seine Horde an. „Worauf wartet ihr noch?“, blaffte er. „Ich rette euer erbärmliches Leben, und so dankt ihr mir? Tut, was ich sage!“

Seine Worte hatten nicht den gewünschten Effekt. Sie bewirkten eher das Gegenteil, wie Garona feststellte. Die Orcs, die eben noch verunsichert gewirkt hatten, pressten nun entschlossen die Kiefer zusammen. Gul’dan sah es ebenfalls.

„Verräter!“ Er spuckte die Worte förmlich aus. „Gehorcht meinem Befehl!“

Einem der Krieger ging diese Beleidigung zu weit. Trotzig rief er: „Hättet Ihr gegen Durotan fair gekämpft, wärt Ihr jetzt nicht mehr am Leben, um Befehle zu geben!“

Garona erwartete, dass Gul’dan den aufmüpfigen Orc niederstrecken würde, aber obwohl er vor Zorn schäumte, ließ er sich nicht zu einer solchen Dummheit hinreißen. Er blickte die anderen nur verächtlich an, dann drehte er sich zu Lothar um. Der Mensch war inzwischen nur noch ein paar Schritte von der Greifin – von seiner Rettung – entfernt. „Geht mir aus dem Weg“, knurrte Gul’dan die widerwillige Horde an. „Ich werde es selbst tun!“

Dann war der ehrenhafte Durotan also auch gefallen. Das kam nicht unerwartet, aber es versetzte Garona dennoch einen Stich. Doch noch größer war ihr Entsetzen über Gul’dans letzte Worte. Lothar mochte Schwarzfaust in seiner von Fel-Magie aufgedunsenen Form besiegt haben, aber der Macht des Hexenmeisters würde er nichts entgegenzusetzen haben. Er würde sterben.

Garona wusste, dass sie es eigentlich zulassen sollte. Bereits jetzt war die Horde unzufrieden mit ihrem Meister, und falls er Lothar niederstreckte, würden sie sich vermutlich vollends gegen ihn wenden. Danach könnte sie die neue Anführerin werden und einen Frieden mit den Menschen aushandeln.

Doch sie konnte den Gedanken nicht ertragen, Lothar tot zu sehen. Vielleicht würde es eines Tages einen Frieden geben. Aber nicht heute. Da war kein Zaudern in ihrem Herzen oder ihrem Körper, als sie vorsprang und sich zwischen die beiden stellte – den Mann, den sie liebte, der sie aber für eine Verräterin hielt, und den Orc, der bislang nicht an ihren Motiven gezweifelt hatte.

Hoffentlich wird er mir auch weiter vertrauen, dachte sie, dann ließ sie ihre Wut und ihren Zorn in harte Worte fließen. „Wer wird Euch gehorchen, wenn Euer eigenes Volk Euch den Krieg erklärt?“

Er starrte sie an, einen mörderischen Ausdruck in seinen grünen Augen. Ihr Leben lag nun in seinen Händen. Berechnend senkte Garona die Stimme und wählte einen besonnenen Tonfall, ehe sie fortfuhr. Gul’dan hatte ihr den Titel gegeben, von dem sie ihr ganzes Leben geträumt hatte: Orcin. Und für die Horde war sie nicht nur das, sondern auch eine ehrenvolle Kriegerin, genau wie Llane es vorhergesagt hatte. Der Hexenmeister konnte es sich nicht leisten, sie direkt anzugreifen, aber sie musste die richtigen Worte finden, andernfalls waren sie und Lothar beide so gut wie tot.