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„Ihr habt uns gerettet, Gul’dan. Ihr habt uns in diese neue Welt gebracht. Aber wir müssen unseren Traditionen treu bleiben. Falls Ihr diesen Menschen jetzt tötet, werdet Ihr die Horde verlieren. Ihr seid unser Häuptling. Wir wissen bereits, wie stark die Fel-Magie Euch gemacht hat. Aber jetzt ist es Zeit, uns eine andere Form von Macht zu zeigen. Für einen Häuptling stehen die Bedürfnisse seines Volkes stets an erster Stelle.“

Unwillkürlich und unerwünscht suchte sie eine Erinnerung heim, daran, wie sie mit Taria über Durotan gesprochen hatte. Er hat mich befreit … Und sein Clan liebt ihn. Er stellt ihre Bedürfnisse über seine eigenen. Immer. Er ist ein starker Häuptling.

Starke Anführer müssen sich das Vertrauen ihrer Clans erst verdienen.

Dann hatte Taria ihr den Dolch gegeben, und nun erhielt sie ihn in Llanes Kehle steckend zurück.

Wütend verdrängte Garona das Bild der verwitweten Königin und konzentrierte sich auf Gul’dan. Sie hatte die Macht der Wahrheit auf ihrer Seite, und das erkannte er. Sein Blick huschte zu dem Orc, der offen Kritik an ihm geübt hatte, dann zurück zu ihr. Sie zwang sich, zuversichtlich zu grinsen, während sie hinzufügte. „Es wird noch andere Tage geben, um Menschen zu töten.“

Ich habe heute so vieles verloren. Llane. Varis und Karos. Das Vertrauen eines guten Volkes. Du wirst mir Lothar nicht auch noch wegnehmen. Wenn du ihn willst, musst du erst mich töten.

Lothar war erstarrt, als Garona sich zwischen ihn und Gul’dan gestellt hatte. Einen schrecklichen und doch wundervollen Moment lang hatte er geglaubt, sie würde erklären, was geschehen war – ihm zeigen, dass sie keine Verräterin war. Aber nein. Es war offensichtlich, dass sie sein Leben retten wollte, aber nur aus persönlichen Gründen.

Die Orcs, die die Greifin festgehalten hatten, ließen sie los, und er legte ihr seinen toten Freund quer über den Rücken. Er spürte jede einzelne seiner Verletzungen, als er sich anschließend selbst auf sein Reittier schwang.

Die Greifin erhob sich vorsichtig in die Lüfte, als wüsste sie, welch bedeutende Fracht sie trug. Während sie höher stiegen, konnte Lothar nicht anders, als ein letztes Mal zu Garona hinabzusehen.

Ihre Blicke trafen sich, aber ihr Gesichtsausdruck gab keinerlei Emotion preis. Dann drehte die Greifin sich gnädigerweise in den Wind und trug ihn auf ihren kräftigen Schwingen fort von dem Schlachtfeld, fort von der Horde, fort von der grünhäutigen Frau, die er einst in seinen Armen gehalten hatte. Deren Liebe er einst für echt und wahrhaftig gehalten hatte.

23

Khadgar beugte sich aus dem Fenster des Gasthauses und ließ seinen Blick über Sturmwind schweifen, das sich unter ihm ausbreitete. Er hatte viele Stunden in diesem Zimmer zugebracht, auch wenn sein Blick auf etwas anderes gerichtet gewesen war: auf Bücher, auf Rätsel. Er hatte öfter bei Kerzenschein als bei Tageslicht gelesen. Jetzt glitten seine Augen über die blauen Dächer und über die wunderschöne weiße Steinkathedrale, um auf der Statue des Wächters von Azeroth zu verweilen.

Ein Amt, das das seine hätte sein können, wenn die Dinge anders gelaufen wären.

„Alles ist gut so, wie es ist“, erklang da eine Stimme. Khadgar zuckte merklich zusammen und schaute auf, um Anduin Lothar am Türrahmen lehnen zu sehen. Der ältere Mann grinste. „Du wärst ein grässlicher Wächter gewesen.“

Khadgar stieß ein leises Lachen aus. „Die Welt zu retten ist keine Aufgabe für einen allein. Das war’s noch nie.“

Mit ungewohnter Liebenswürdigkeit entgegnete Lothar: „Ich wäre dir schon zur Hand gegangen.“ Er schloss die Tür hinter sich und holte etwas unter seinem Hemd hervor, um es auf den Tisch zu werfen. Es war ein kleiner Dolch, exquisit gearbeitet; mit Juwelen am Griff.

Khadgar hielt den Atem an. „Garonas Dolch.“

„Ich habe ihn aus Llanes Hals gezogen.“

Das war unmöglich. Garona hätte so etwas niemals getan. Sie konnte es nicht gewesen sein. Khadgar starrte die Klinge an, ehe er zu Lothar aufschaute und mit fester Stimme erklärte: „Dafür muss es eine Erklärung geben.“

„Die gibt es. Sie hat ihre Wahl getroffen.“ Lothars blaue Augen waren hart wie Eissplitter, doch die Falten darum herum zeugten eher von Kummer als von Zorn.

Nein. Khadgar hatte keine Ahnung, woher er das wusste, aber er tat es. „Das glaube ich nicht.“

Er ließ sich von Lothars durchdringendem Blick nicht einschüchtern. Nach einer Weile sagte der Hauptmann bloß: „Vielleicht haben wir beide sie doch nicht so gut gekannt, wie wir dachten.“ Lothar nickte in Richtung des Dolchs. „Ich fand einfach, du solltest es wissen.“

Und dann war er fort. Khadgar indes starrte die Klinge an, die eine Königin jemandem geschenkt hatte, dem sie vertraute, nur damit diese Klinge irgendwie in der Kehle ihres Gemahls endete.

Er starrte den Dolch sehr, sehr lange an.

Taria hatte sich mit großer Sorgfalt angekleidet. Ihr Haar, auf dem jetzt ihre Krone saß, war perfekt frisiert. Kosmetik verlieh ihrem Gesicht künstlich Farbe, konnte jedoch weder den Schmerz in ihren Augen noch die Erschöpfung verbergen, die ihre Wangen hohl und eingefallen wirken ließ. Und das alles hatte ewig gedauert.

Zuletzt hatte sie sich an ihrem Hochzeitstag so sorgsam herausgeputzt, als sie offiziell ein Teil des Lebens und der Welt ihres Gemahls geworden war. Damals hatte das Ganze sie mit Freude erfüllt, und sie war bereit gewesen, diese Freude mit ihrem Volk zu teilen, so wie es Königinnen tun sollten. Jetzt würde sie ihrem Ehegatten Lebewohl sagen, ihn aus ihrem Leben verabschieden, und das in aller Öffentlichkeit. Auch das war eine königliche Pflicht.

Die Neuigkeit hatte sie am Boden zerstört; insbesondere die quälenden Einzelheiten darüber, wie ihr Mann gestorben war, hatten sie mitten ins Herz getroffen. Zwar wollte Lothar anfangs nicht näher darauf eingehen, doch er wusste genau wie sie, dass sie als Königin und künftige Regentin dieses Reichs die schreckliche Wahrheit kennen musste.

Tränen rannen unter ihren Lidern hervor, doch sie blinzelte sie fort. Ja, sie trauerten alle, und sie vor allen anderen. Aber heute brauchten die Menschen von Sturmwind ihre Stärke, und die würde Taria ihnen nicht vorenthalten.

Tausende hatten sich versammelt, ein gewaltiges Meer nach oben gewandter Gesichter, das sich ganz bis hinunter zum Hafen erstreckte. Gleichwohl, keiner von ihnen jubelte, als sie mit großen Schritten aus der Burg kam, um sie zu begrüßen, und das hatte sie auch nicht erwartet.

Llane lag in der Mitte des Platzes, auf einem erhöhten Scheiterhaufen. Männer wurden beerdigt. Könige wurden verbrannt. Zu seinen Füßen lagen sein Schwert und sein ramponierter Schild.

Taria stand stocksteif da, als die Zwerge zum Salut ihre Donnerstöcke abfeuerten. Ohne zu zögern, ging sie auf den Leichnam ihres Gatten zu. Die Priester des Lichts hatten seinen Leib mit Sorgfalt gebadet, ihn in feine Gewänder gehüllt und ihm seine sorgsam polierte Rüstung angelegt. Sie hatten den prächtigen Umhang gewaschen und ausgebessert. Er hatte ihn in der Schlacht getragen, wo er von Schwertern zerfetzt worden war und mit Blut besudelt an der Stelle, wo der Umhang von einer Spange zusammengehalten wurde, direkt über seinem …

Sie schluckte schwer, beugte sich vor und küsste seine blasse Wange. Als sie ihren Blick über die schweigende Menge schweifen ließ, sah sie eine Vielzahl unterschiedlichster Gesichter. Ladenbesitzer und Flüchtlinge. Menschen, die aus Lordaeron und Kul Tiras stammten. Die violetten Roben der Kirin Tor. Und dann waren da noch jene, die zwar nicht menschlich, aber dennoch hergekommen waren, um einem großen König ihren Respekt zu zollen: die Elfen, die Zwerge, ja, sogar Gnome schauten mit Kummer in den Augen zu ihr auf.

Taria hatte keine Ansprache vorbereitet. Sie würde das sagen, was ihr auf dem Herzen lag, genauso, wie Llane es stets getan hatte. Als sie das Meer von Gesichtern vor sich sah, entschied sie spontan, was sie sagen wollte. Nämlich das, was Llane gewollt hätte, dass sie es sagte.