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Als Orgrim und Durotan schließlich zurückkehrten, war die Dunkelheit bereits hereingebrochen. Unter Drakas Aufsicht hatte der Clan inzwischen die provisorischen Reisezelte aufgeschlagen. Vor jedem davon hing ein Frostwolf-Banner mit dem Symbol des Clans – einem weißen Wolf auf blauem Grund – schlaff in der stillen, trockenen Luft. Durotan ließ seinen Blick über das beträchtliche Meer von Biwaks schweifen; nicht bloß über die der Frostwölfe, sondern ebenso über die der anderen Clans. Sie waren ebenfalls mit Fahnen geschmückt, die genauso verschlissen aussahen, wie Durotan sich fühlte.

Mit einem Mal regten sich die Banner, und eine sanfte Brise brachte den willkommenen Duft von gebratenem Fleisch mit sich. Durotan schlug seinem Begleiter auf den Rücken. „Was immer uns morgen auch erwarten mag, zumindest haben wir heute Nacht zu essen!“

„Mein Magen wird dankbar dafür sein“, entgegnete Orgrim. „Wann haben wir das letzte Mal etwas verspeist, das größer war als ein Hase?“

„Ich kann mich nicht erinnern“, sagte Durotan, und schlagartig kam die Ernüchterung. Wild war auf der Reise hierher fast noch rarer gewesen als im eisigen Norden. Sie hatten unterwegs hauptsächlich kleine Nagetiere erbeutet. Er dachte an die Talbuks, wilde, hirschähnliche und ausgesprochen wohlschmeckende Kreaturen, und an die riesigen Grollhufe – sie zu erlegen war zwar eine echte Herausforderung, doch dafür hatten sie den Clan einst anständig ernährt. Er fragte sich, was für Tiere Gul’dan wohl hier in der Wüste gefunden hatte, gelangte dann aber zu dem Schluss, dass er das eigentlich gar nicht wissen wollte.

Als sie sich dem Frostwolf-Lager näherten, schlug ihnen Gelächter entgegen. Durotan strebte mit großen Schritten voran und fand Draka, Geyah und Drek’Thar um eines der Feuer sitzend. Zusammen mit Orgrim Schicksalshammer waren diese drei so etwas wie Durotans Kreis von Ratgebern. Sie standen ihm stets mit vernünftigen Vorschlägen zur Seite, und als Durotan sich jetzt an Schwarzfausts Befehle erinnerte, regte sich Unmut in ihm. Wenn es nach dem tätowierten Orc-Hauptmann ging, würden außer Orgrim alle von ihnen zurückbleiben müssen. Andere Familien drängten sich um ähnlich kleine Feuer. Dichtbei dösten erschöpfte Kinder. Allerdings sah Durotan, dass ihre Bäuche zum ersten Mal seit Monaten rund von Essen waren, und das erfüllte ihn mit Freude.

In der Mitte des Feuers staken mehrere Spieße mit kleineren Tieren. Er warf Orgrim einen betrübten Blick zu. Wie es schien, mussten sie sich noch immer von Getier ernähren, das kaum größer war als ihre Fäuste. Doch zumindest war es Fleisch, und noch dazu frisches, sodass Durotan keinen Grund sah, sich zu beschweren.

Draka reichte ihm einen Spieß aus dem Feuer, und Durotan biss hinein. Das Fleisch war noch heiß, und er verbrannte sich den Mund, doch das scherte ihn nicht. Ihm war überhaupt nicht klar gewesen, wie lange es schon her war, seit er zuletzt frisches Fleisch gegessen hatte. Als sein gröbster Hunger schließlich gestillt war, berichtete Durotan den anderen, was Orgrim und er gesehen hatten und wie Schwarzfausts Plan aussah. Daraufhin herrschte einen Moment lang Schweigen.

„Wen wirst du mitnehmen?“, fragte Drek’Thar dann leise. Bei dieser Frage wandte Orgrim den Blick ab, doch seine Miene verriet Durotan, dass sein Freund erleichtert darüber war, dass er nicht der Häuptling und damit gezwungen war, die schlechten Neuigkeiten zu überbringen.

Durotan sagte ihnen die Namen, für die er sich auf dem Rückweg von Schwarzfaust im Stillen entschieden hatte. Draka, Geyah und Drek’Thar waren alles andere als begeistert. Durotans Ausführungen folgte von Neuem ein langes Schweigen, ehe Geyah das Wort ergriff.

„Ich werde deine Entscheidung nicht in Zweifel ziehen, mein Häuptling“, sagte sie. „Was mich betrifft, so stehe ich hinter dir. Als Drek’Thar und ich vom Geist des Lebens besucht wurden, sagte er mir, dass ich beim Clan bleiben müsse. Jetzt verstehe ich, was das bedeuten soll. Ich bin eine Schamanin, und ich kämpfe gut, aber es gibt andere, die jünger, stärker und schneller sind als ich. Ich bin die Wissenshüterin. Die Geister wachen über dich, doch sollte diese Vorhut fallen, bliebe so zumindest die Geschichte unseres Volkes lebendig.“

Er schenkte ihr ein dankbares Lächeln. Sie klang niedergeschlagen, doch er wusste, wie sehr es sie verlangte, an der Seite ihres Sohnes zu kämpfen. „Ich danke dir. Ihr wisst, dass ich kommen werde, um euch alle zu holen, sobald es dazu sicher genug ist.“

„Auch ich habe Verständnis für diese besondere Lage“, sagte Drek’Thar mit sorgengefärbter Stimme. Er deutete auf die Stoffbinde, die er stets um den Kopf trug, um seine toten Augen zu verbergen. „Ich bin blind und alt. Ich wäre nur eine Belastung.“

„Nein“, sagte Draka mit harter Stimmer. „Mein Liebster, denk noch einmal darüber nach, Drek’Thar mitzunehmen. Er ist Schamane, und die Geister haben uns gesagt, dass sie dort sein werden, in dieser Welt, die auf uns wartet. Solange es Erde, Luft, Feuer, Wasser und Leben gibt, wirst du einen Schamanen brauchen. Und Drek’Thar ist der Beste, den wir haben. Außerdem ist er Heiler, und“, fügte sie hinzu, „seine Visionen könnten wichtig für dich sein.“

Ein Schauder lief über Durotans Haut und sorgte dafür, dass sich die Härchen auf seinen Armen aufrichteten. Mehr als einmal hatten Drek’Thars Visionen Leben gerettet. Einst hatte eine Warnung vom Geist des Feuers gar den ganzen Clan vor der Vernichtung bewahrt. Wie konnte er Drek’Thar da nicht mitnehmen? „Aber du wirst nicht mit uns kämpfen“, sagte er. „Bloß heilen und uns mit deinem Rat zur Seite stehen. Habe ich dein Wort darauf?“

„Wie immer, mein Häuptling. Es wird mir Ehre genug sein, dich zu begleiten.“

Durotan sah Draka an. „Ich weiß, meine Liebste, dass du kämpfen kannst, aber …“ Er brach ab und erhob sich; eine Hand glitt zum Schaft von Spalter, seiner Axt.

Der Besucher war fast so gewaltig wie Schwarzfaust. Der Feuerschein warf Schatten auf eine Gestalt, die aussah, als wäre sie aus Stein gemeißelt. Schwarzfaust hatte ihn beeindruckt, doch dieser Orc war – wenn auch vielleicht nicht ganz so groß – dafür umso muskulöser und kräftiger. Genau wie Schwarzfaust war auch er von Tätowierungen gezeichnet, aber im Gegensatz zum Hauptmann, dessen Hände tiefschwarz gefärbt waren, war es bei diesem Orc der Kiefer, der so finster war wie die Mitternacht. Sein langes schwarzes Haar war zu einem Dutt zurückgebunden, und seine Augen funkelten im Glanz des Feuers.

„Ich bin Grom Höllschrei, Häuptling des Kriegshymnenclans“, verkündete der Orc, während sein Blick über die Neuankömmlinge glitt. „Schwarzfaust sagte mir, dass die Frostwölfe zu guter Letzt doch noch eingetroffen sind.“ Er grunzte amüsiert und ließ einen Sack vor Durotans Füße fallen. „Essen“, sagte er.

Der Sack zappelte und zuckte, wölbte sich hier und da. „Insekten“, sagte Grom. „Am besten verspeist man sie lebend und roh.“ Er grinste. „Oder getrocknet und zu Mehl gemahlen. Der Geschmack ist nicht übel; etwas gewöhnungsbedürftig, aber in Ordnung.“

„Ich bin Durotan, Sohn von Garad, Sohn von Durkosh“, sagte Durotan, „und Grom Höllschrei, Häuptling des Kriegshymnenclans, ist an unserem Feuer willkommen.“

Durotan entschied, die anderen Angehörigen des Clans, die rings um das Lagerfeuer versammelt waren, nicht eigens vorzustellen, da er keine übermäßige Aufmerksamkeit auf sie lenken wollte – nicht, wenn er vorhatte, Drek’Thar bei Sonnenaufgang mitzunehmen. Er suchte Drakas Blick, und sie nickte. Sie stand auf, berührte Drek’Thar und Geyah sanft an der Schulter und führte sie zu einem anderen Feuer hinüber.

Durotan wies auf die freien Plätze, und Grom ließ sich neben ihn und Orgrim sinken. Er nahm einen Spieß aus der Glut entgegen und biss mit Genuss in das vor Fett triefende Fleisch.

„Obwohl wir einander noch nie persönlich begegnet sind“, sagte Durotan, „jagten einige Mitglieder deines Clans einst Seite an Seite mit den meinen, vor vielen Jahren.“

„Ich entsinne mich, dass unsere Clanbrüder und -schwestern meinten, die Frostwölfe wären gute Jäger und redlich“, stimmte Grom ihm zu. „Wenn auch vielleicht ein bisschen zu …“, er suchte nach dem richtigen Wort, „zurückhaltend.“