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„Es kann keinen größeren Segen für eine Stadt geben als einen König, der sich für sein Volk opfert“, begann sie. In der Menge ertönte das eine oder andere Schluchzen, und auch ihre eigene Kehle war wie zugeschnürt, als sie fortfuhr: „Doch ein solches Opfer will verdient sein. Wir müssen es uns verdienen! Ihr alle, die ihr heute hier seid, habt euch zu einem einzigen Zweck eingefunden: Um das Gedenken an einen großen Mann zu ehren. Doch wenn wir unsere Einigkeit bloß demonstrieren, wenn es gilt, den Tod eines guten Mannes zu betrauern, was sagt das dann über uns?“

Das kam unerwartet, und einige der Trauernden schauten ausgesprochen unbehaglich drein. Gut, dachte Taria. Krieg sollte immer dafür sorgen, dass wir uns unbehaglich fühlen. Flüchtlinge, Gewalt, Furcht – das alles sollte dafür sorgen, dass wir uns unbehaglich fühlen.

Sie setzte nach: „War es falsch von Llane, an euch zu glauben?“

Die Antwort kam postwendend – eine einzelne Stimme rief: „Nein!“ Dieses einzelne Wort griffen andere auf. Mehr und immer mehr stimmten ein, die Gesichter, die sie sah, gezeichnet von Leidenschaft und Tränen. Nein, versicherten diese Menschen ihr. Dein Llane hat sich nicht in uns getäuscht.

Tränen traten ihr in die Augen, doch nun waren es Tränen des Stolzes und der Freude.

Und jetzt jubelten die Menschen. Sie waren bereit. Khadgar, der sich seinen Ehrenplatz zwischen all den Adeligen, Würdenträgern und Hauptmännern wohl verdient hatte, ging zu Llanes Scheiterhaufen. Voller Respekt hob er die große Klinge auf und trug sie quer über seinen ausgestreckten Handflächen vor sich her. Er marschierte dorthin, wo Anduin Lothar stand, je einen Arm um zwei vaterlose Kinder gelegt – um seine Nichte und seinen Neffen –, und hielt dem Löwen von Azeroth das Schwert hin. Ihm, Tarias Bruder und dem besten Freund ihres Mannes. Sie wusste, dass er das Schwert ergriffen hatte, nachdem es aus Llanes Fingern geglitten war, um damit den Kriegshäuptling der Horde zu erschlagen. Daher war es nur angemessen, dass die Waffe nun ihm gehörte. Von allen, die sich hier heute eingefunden hatten, konnte es allein seine Trauer mit der ihren aufnehmen. Er war der Einzige, der von der Bruderschaft der Drei noch übrig geblieben war. Einer von ihnen hatte sich selbst geopfert, ein anderer war der Dunkelheit anheimgefallen. Zwar war er wieder ins Licht zurückgekehrt, nur leider … nicht rechtzeitig genug.

„Wir werden ihn rächen, Mylady!“, rief jemand.

„Führe uns in den Krieg gegen die Orcs, Lothar!“ Andere wiederholten diesen Ruf mit kräftigen Stimmen. Die Rufe wurden eins und dann zum Skandieren eines einzelnen Namens:

„Lothar! Lothar! Lothar!“

Lothar starrte das Schwert einen langen Moment an, so lange, dass Taria schon glaubte, er würde ablehnen und der Pflicht, dem Königreich seines alten Freundes auch weiterhin zu dienen, den Rücken kehren. Gleichwohl, darüber hätte sie sich keine Gedanken machen müssen. Lothar packte das Heft der Waffe und trat auf sie zu, bereit, jetzt und bei allem, was da kommen mochte, an ihrer Seite zu stehen. Dann ließ er seinen Blick über die Menge schweifen und hob das Schwert, als wäre er entschlossen, den Himmel selbst zu spalten, um Sturmwind zu beschützen.

Nein. Nicht bloß Sturmwind. Nicht mehr.

„Für Azeroth!“, rief Anduin Lothar. „Für Azeroth – und für die Allianz!“

Die Menge stimmte in seinen Ruf ein, und als alle versammelten Soldaten ihre Schwerter in die Höhe rissen, um ihrem Hauptmann zu salutieren, schienen die Steine der Stadt selbst die Worte widerhallen zu lassen: Für Azeroth – und für die Allianz!

War es tatsächlich erst ein paar Tage her, dachte Varian Wrynn, während er auf seine verstreuten Holzsoldaten hinabblickte, seit er sich das letzte Mal in den Thronsaal geschlichen hatte, um mit ihnen zu spielen? Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor. Wie war es möglich, dass ihm Spielzeugschlachten jemals so wichtig gewesen waren, jetzt, wo sich sein Leben durch echte Schlachten so unwiederbringlich verändert hatte? Der Blick seiner dunklen Augen fiel auf eine Figur im Besonderen, die umgeworfen auf der Seite lag: ein winziger geschnitzter König auf seinem Ross, mit einem Löwenkopf als Helm und einem wunderschönen handbemalten Metallschwert.

Hände schoben sich unter seine Arme und hoben ihn hoch, auf den Thron von Sturmwind, auf das weiche weiße Fell, das die Kühle des kalten Marmors fernhielt. Trotzdem erschauderte Varian. Kummer war etwas Neues für ihn, und noch nie zuvor in seinem ganzen kurzen Leben hatte er etwas derart Erstickendes, etwas so Überwältigendes und Machtvolles gespürt. Seine schmale Brust erbebte bei jedem Einatmen. Davor hatte er viel geweint. Niemand hatte ihm gesagt, dass er das nicht tun sollte.

Mit verschwommenem Blick sah er Khadgar an. Der junge Magier lächelte, traurig, aber aufrichtig. „Eines Tages wirst du König sein“, sagte er. „Wenn du alt genug bist, wird dies dein Platz sein. Doch glaube niemals, du wärst allein. Du hast deinen Onkel Lothar, deine Mutter, mich und die gesamte Allianz an deiner Seite.“ Der Magier hielt inne, ehe er hinzufügte: „Das ist das Vermächtnis, das dein Vater dir hinterlässt.“

Varian schluckte schwer. Die Trauer war noch immer da, doch irgendwie hatten die Worte des Magiers die Bürde des Kummers leichter gemacht. Seine Beine baumelten über den Rand des Throns. Er dachte daran, wie oft sein Vater hier gesessen hatte, um Recht zu sprechen oder über Taktiken zu diskutieren. Wieder drohten ihm Tränen in die Augen zu schießen.

Khadgar sah das und trat mit ausgestreckter Hand zurück. „Komm“, sagte er. „Es ist spät, und deine Mutter fragt sich gewiss bereits, wo du steckst.“

Varian ergriff Khadgars Hand, glitt von dem viel zu großen Sitz und ging an den kauernden goldenen Löwen vorbei. Er war auf halbem Wege zur Tür, als er noch einmal stehen blieb und zurückschaute. Dann lief er abrupt zu dem Haufen der Spielzeugsoldaten hinüber und wühlte darin herum, bis er fand, was er suchte.

Sanft und respektvoll hob Prinz Varian Wrynn, der künftige König von Sturmwind, den geschnitzten König Llane auf und stellte ihn behutsam wieder hin – aufrecht und edel inmitten von Freund und Feind.

So, wie sein Vater es immer gewesen war.

Krieg.

Nicht eine einzige Schlacht oder eine Reihe von Gefechten; keine einzelne Mission und auch kein Feldzug. Krieg, düster, lang, brutal und grausam.

Gleichwohl, diesmal standen die Menschen von Sturmwind nicht allein da. Sie waren nicht bloß eine Handvoll Legionen, sondern eine Armee, gesalbt mit dem Blut eines Heldenopfers, gebunden an die Geschichten, die jene erzählten, die das Grauen überlebt hatten, dessen Zeuge sie geworden waren. Die Königreiche der Menschen – das angeschlagene Sturmwind, Kul Tiras und Lordaeron – mochten vielleicht unterschiedliche Uniformen tragen, doch sie alle marschierten unter demselben Banner. Da waren Adelige und einfache Rekruten, Ältere und auch einige, kaum alt genug zum Kämpfen. Männer marschierten neben Frauen, und an der Seite der Menschen waren die Zwerge, resolut und mit grimmigen Mienen, um ihre Waffen und ihre Hartnäckigkeit in die Waagschale zu werfen. Einige Gesichter waren klein und kindlich, wieder andere auf unheimliche Weise hübsch und scharf geschnitten.

Gleichwohl, alle Gesichter waren staubig, verschwitzt und von Entschlossenheit gezeichnet.

Die Armee kam zum Stehen.

Vor ihnen lag eine Festung. Sie hatte keine klaren, sauberen Linien wie menschliche Bauwerke, noch war sie so zweckdienlich und beständig wie die der Zwerge; sie zeigte keine eleganten Ornamente und auch keine trügerische Verspieltheit, die die meisterhafte Bauweise verschleierte, wie es bei einer Elfenfeste der Fall gewesen wäre. Stattdessen war diese Festung ganz Knochen und Eisen und Stahl und Hässlichkeit, die bloß einem einzigen Zweck diente und jenen entsprach, die sie errichtet hatten.