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Sie sind ein edler Mensch. Sie werden über meine ungeduldigen Zeilen weder lächeln noch sich ärgern. Vergessen Sie nicht, daß es nur ein armes Mädchen ist, das Ihnen schreibt, daß es ganz einsam ist und niemanden hat, den es um Rat und Beistand bitten könnte, und daß es niemals fähig war, ihr eigenes Herz zu beherrschen. Doch verzeihen Sie, wenn ich in mir auch nur für einen Augenblick Zweifel aufkommen ließ. Sie sind nicht einmal in Gedanken fähig, die zu beleidigen, die Sie so liebte und noch jetzt liebt.‹«

»Ja, ja! So habe ich es mir auch gedacht!« rief Nastenka, und Freude leuchtete aus ihren Augen. »Ja, Sie haben alle meine Zweifel gelöst, Gott selbst hat Sie mir gesandt! Ich danke Ihnen, ich danke!«

»Wofür? Dafür, daß mich Gott gesandt hat?« fragte ich, ihr freudestrahlendes Gesichtchen mit Entzücken betrachtend.

»Ja, meinetwegen dafür!«

»Ach Nastenka! Wir sind ja wirklich einem Menschen manchmal nur dafür dankbar, daß er in unserer Nähe lebt. Auch ich bin Ihnen dankbar dafür, daß wir uns begegnet sind, dafür, daß ich nun mein Leben lang an Sie denken werde!«

»Nun genug! Ich muß Ihnen noch etwas sagen: Wir haben damals ausgemacht, daß er gleich nach seiner Rückkehr mir Nachricht gibt, und zwar durch einen Brief, den er bei meinen Bekannten, guten und einfachen Leuten, die von der ganzen Sache nichts wissen, für mich abgibt; und wenn es ihm unmöglich sein sollte, mir einen Brief zu schreiben, weil man in einem Briefe doch nicht alles aussprechen kann, so wollte er gleich am Tage seiner Ankunft um punkt zehn Uhr abends hierher kommen, wo wir uns also treffen würden. Daß er zurückgekehrt ist, weiß ich bestimmt; und nun sind schon drei Tage vergangen, und er hat mir weder einen Brief geschickt, noch ist er selbst hergekommen. Am Vormittag kann ich unmöglich von Großmutter abkommen. Darum bitte ich Sie, Sie möchten selbst den Brief morgen zu den guten Leuten bringen, von denen ich eben sprach und die ihn dann weitergeben werden. Und wenn eine Antwort darauf kommt, so möchten Sie sie morgen abends um zehn Uhr hierher bringen.«

»Aber der Brief selbst! Der muß ja erst noch geschrieben werden! Die Antwort kann also doch frühestens übermorgen kommen!«

»Ja, der Brief...« versetzte Nastenka etwas verlegen. »Der Brief... aber...«

Sie sprach den Satz nicht zu Ende. Sie wandte ihr Gesichtchen etwas weg, wurde rot wie eine Rose, und plötzlich fühlte ich in meiner Hand einen Brief, den sie wohl schon längst geschrieben und versiegelt hatte. Eine alte, liebe, anmutige Erinnerung ging mir durch den Kopf!

»R, o – Ro, s, i – si, n, a – na!« begann ich.

»Rosina!« sangen wir beide: ich, sie vor Entzücken beinahe umarmend, sie – noch mehr errötend und durch Tränen, die wie Perlen an ihren dunklen Wimpern glänzten, lachend.

»Nun ist’s genug, genug! Leben Sie wohl!« sagte sie hastig. »Sie haben also den Brief und die Adresse, wo Sie ihn abgeben sollen. Leben Sie wohl! Auf Wiedersehen morgen!«

Sie drückte mir fest beide Hände, nickte mir zu und lief wie ein Pfeil in ihre Seitengasse. Ich blieb noch lange stehen und begleitete sie mit den Blicken.

»Also morgen! Morgen!« sagte ich mir, als sie meinen Blicken entschwunden war.

Die dritte Nacht

Heute war ein trauriger, regnerischer Tag, so trostlos, wie das mich erwartende Alter. Mich bedrücken jetzt so seltsame Gedanken und dunkle Gefühle, und in meinem Kopfe drängen sich so viele für mich noch unklare Fragen, – und doch habe ich weder die Kraft, noch den Wunsch, sie zu lösen. Wie könnte ich sie auch lösen!

Heute werden wir uns nicht wiedersehen. Als wir uns gestern abends verabschiedeten, begann sich der Himmel zu bewölken, und ein Nebel stieg auf. Ich sagte noch, daß wir heute einen schlechten Tag haben werden; sie erwiderte darauf nichts, denn sie wollte nicht gegen ihre Überzeugung sprechen: für sie ist dieser Tag leicht und heiter, und ihr Glück von keiner Wolke bedroht.

»Wenn es regnet, werden wir uns nicht sehen!« sagte sie: »Dann komme ich nicht!«

Ich erwartete, daß sie den heutigen Regen gar nicht bemerken würde, sie kam aber wirklich nicht.

Gestern war unser drittes Beisammensein, unsere dritte weiße Nacht...

Wie doch Freude und Glück einen Menschen schön machen! Wie glüht das Herz in Liebe! Man will sein Herz gleichsam in das Herz des andern ausschütten, man will, daß alles froh sei und lache! Und wie ansteckend ist diese Freude: In ihren Worten lag gestern solche Zärtlichkeit zu mir, und in ihrem Herzen soviel Güte!... Wie sie mir den Hof machte, wie freundlich sie zu mir war, wie sie mein Herz ermutigte und umschmeichelte! Wie kokett wird man doch im Glück! Und ich... Ich nahm alles für bare Münze, ich glaubte, daß sie...

Mein Gott, wie durfte ich das glauben? Wie konnte ich so blind sein, wo ich wußte, daß alles einem andern und nicht mir gehört, wo selbst ihre ganze Zärtlichkeit, ihre Besorgtheit um mich, ihre Liebe... ja, ihre Liebe zu mir! – nichts anderes war, als die Freude über das nahende Wiedersehen mit dem andern, als der Wunsch, auch mich mit ihrer Glückseligkeit anzustecken?... Und als er nicht gekommen war, als wir vergebens gewartet hatten, da wurde sie doch traurig, scheu und ängstlich. Alle ihre Bewegungen und Worte waren auf einmal nicht mehr so leicht, spielerisch und freudig wie früher. Und seltsam: sie verdoppelte ihre Aufmerksamkeit gegen mich, als ob sie mir instinktiv das geben wollte, was sie sich selbst ersehnte und worum sie bangte, daß es vielleicht nicht eintreffen werde. Meine Nastenka war so entmutigt und verängstigt, daß sie schließlich einsah, wie sehr ich sie liebte; und sie hatte Mitleid mit meiner unglücklichen Liebe. Wenn wir unglücklich sind, empfinden wir fremdes Leid stärker; unser Gefühl zerstreut sich dann nicht so, sondern wird konzentrierter...

Ich kam also gestern zum Stelldichein mit übervollem Herzen und konnte sie kaum erwarten. Ich ahnte noch gar nicht, was ich später empfinden würde und daß alles anders enden sollte, als ich gedacht hatte. Sie strahlte vor Freude, denn sie erwartete seine Antwort. Die Antwort sollte er selbst sein: er sollte ja kommen, auf ihren Ruf herbeieilen. Sie kam um eine ganze Stunde früher als ich. Anfangs war sie ganz ausgelassen und lachte über alles und über jedes Wort, das ich sprach. Ich versuchte mit ihr ernst zu sprechen, mußte es aber aufgeben. »Wissen Sie, warum ich so lustig bin?« fragte sie: »Warum ich mich freue, wenn ich Sie bloß ansehe? Warum ich Sie heute so liebe?«

»Nun?« fragte ich mit bebendem Herzen.

»Ich liebe Sie, weil Sie sich in mich nicht verliebt haben. Jeder andere an Ihrer Stelle würde wohl zudringlich werden, würde schmachten, stöhnen und mich beunruhigen; doch Sie sind so nett!«

Sie drückte meine Hand so fest zusammen, daß ich fast aufschrie. Sie lachte. Nach einer Minute begann sie sehr ernst:

»Mein Gott! Was für ein guter Freund Sie sind! Ja, Sie sind mir wirklich von Gott gesandt! Wie stünde ich jetzt da, wenn ich Sie nicht hätte! Wie uneigennützig Sie sind! Wie gütig ist Ihre Liebe zu mir! Wenn ich einmal verheiratet bin, werden wir beide Freunde sein, mehr als Geschwister! Ich werde Sie fast ebenso lieben, wie ihn...«

In diesem Augenblick wurde mir so seltsam traurig zumute; dabei regte sich aber in meiner Seele etwas wie Lachen.