»Glauben Sie nur nicht, daß ich unbeständig und leichtsinnig bin; glauben Sie nicht, daß ich so leicht und schnell etwas vergesse und untreu werde... Ich habe ihn ein ganzes Jahr geliebt, und ich schwöre bei Gott, daß ich ihm niemals, auch in Gedanken nicht, untreu war. Er hat meine Liebe mißachtet. Er hat mit mir Spott getrieben – mag er nun gehen, Gott mit ihm. Er hat mich aber auch tief verwundet und mein Herz verletzt... Ich... ich liebe ihn nicht, denn ich kann nur einen Menschen lieben, der großmütig ist, der mich versteht und edel ist. Denn ich bin selbst so, und er ist meiner unwürdig, – Gott mit ihm! So ist es vielleicht auch besser, als wenn ich mich später in meinen Erwartungen betrogen gesehen und erfahren hätte, was für ein Mensch er ist... Das ist ja klar! Doch wer kann wissen, mein guter Freund,« setzte sie hinzu und drückte mir die Hand, »wer kann wissen, vielleicht war auch meine ganze Liebe zu ihm nur eine Sinnestäuschung und Einbildung? Vielleicht war sie nur deshalb aus einer Laune, aus einer Kinderei entstanden, weil ich von Großmutter so streng behütet wurde? Vielleicht sollte ich einen andern lieben und nicht ihn; einen Menschen, der mit mir Mitleid hat und... und... Doch genug davon, genug,« unterbrach sich Nastenka plötzlich, vor Erregung kaum atmend. »Ich wollte Ihnen nur sagen... ich wollte Ihnen nur sagen: wenn Sie, trotzdem ich ihn noch liebe, nein, geliebt habe, glauben... wenn Sie fühlen, daß Ihre Liebe so groß ist, daß sie schließlich die frühere aus meinem Herzen verdrängen kann... Wenn Sie mit mir Mitleid haben und mich nicht allein meinem Schicksal überlassen wollen, ohne Trost und ohne Hoffnung; wenn Sie mich immer so lieben wollen, wie jetzt, so schwöre ich Ihnen, daß meine Dankbarkeit... daß meine Liebe der Ihrigen würdig sein wird... Wollen Sie nun meine Hand?«
»Nastenka!« rief ich schluchzend und um Atem ringend aus. »Nastenka! O Nastenka!«
»Nun ist es genug! Wirklich genug!« brachte sie mit Anstrengung hervor. »Nun ist alles gesagt, nicht wahr? Ja? Nun sind Sie glücklich, und auch ich bin glücklich; also kein Wort mehr darüber! Haben Sie Geduld, schonen Sie mich... Sprechen Sie doch von etwas anderm, um Gottes willen!...«
»Ja, Nastenka, ja! Genug davon! Nun bin ich glücklich, ich... Ja, wollen wir von etwas anderm sprechen, schnell von etwas anderm... Ja, ich bin bereit. ..«
Wir wußten nicht, wovon wir sprechen sollten, wir lachten und weinten, wir sagten tausend Worte ohne Zusammenhang und Inhalt; bald gingen wir auf dem Trottoir auf und ab, bald kehrten wir um und begannen die Straße zu durchqueren; dann blieben wir stehen und kehrten wieder auf den Kai zurück; wir waren wie Kinder...
»Ich bin heute noch ganz allein, Nastenka,« sagte ich, »doch morgen... Sie wissen ja, Nastenka, daß ich arm bin: ich bekomme nur zwölfhundert Rubel Jahresgehalt, das macht aber nichts...«
»Gewiß macht es nichts. Großmutter hat ihre Pension und wird uns nicht zur Last fallen... Wir müssen aber Großmutter zu uns nehmen.«
»Natürlich müssen wir Großmutter zu uns nehmen... Ich habe auch noch meine Matrjona...«
»Und wir haben die Fjokla!«
»Matrjona ist ja eine herzensgute Person, sie hat aber einen Fehler: es fehlt ihr an Verstand. Das macht aber nichts!...«
»Das macht wirklich nichts! Matrjona und Fjokla können gut zusammen leben. Sie müssen aber schon morgen zu uns ziehen.«
»Wie? Zu Ihnen? Gut, ich bin bereit...«
»Ja, mieten Sie sich bei uns ein. Wir haben ja oben eine Mansarde; sie ist jetzt frei. Wir hatten zuletzt eine alte adlige Dame zur Mieterin; sie ist nun ausgezogen, und ich weiß, daß Großmutter jetzt am liebsten einen jungen Zimmerherrn haben möchte. Ich frage sie:»Warum einen jungen Mann?« Und sie sagt: »Ich bin ja schon alt... Glaube aber nicht, Nastenka, daß ich einen Freier für dich suche.« Nun begriff ich, daß sie gerade das will...«
»Ach Nastenka!«
Wir fingen beide zu lachen an.
»Nun genug, lassen Sie es gut sein. Wo wohnen Sie übrigens? Ich habe es schon ganz vergessen.«
»In der Nähe der X-Brücke, im Barannikow’schen Hause.«
»Ist es das große Haus?«
»Ja, das große Haus.«
»Ach ja, ich weiß schon, es ist ein ganz nettes Haus. Doch wissen Sie was, ziehen Sie aus und mieten Sie sich so schnell als möglich bei uns ein...«
»Morgen will ich es tun, Nastenka, morgen; ich schulde zwar noch einen Teil der Miete, aber das macht nichts... Ich bekomme bald mein Gehalt...« »Wissen Sie was? Ich werde vielleicht Stunden geben; werde zuerst selbst etwas lernen, und dann andere unterrichten...«
»Das wäre wirklich schön! Und ich bekomme bald eine Gehaltszulage, Nastenka...«
»Schön, also von morgen ab sind Sie unser Zimmerherr...«
»Ja, und dann wollen wir wieder einmal zum »Barbier von Sevilla« gehen: er wird nämlich nächstens wieder aufgeführt...«
»Gewiß wollen wir hin!« sagte Nastenka lachend. »Doch nein, lieber nicht zum ›Barbier‹, sondern zu einem andern Stück...«
»Gut, zu einem andern Stück; das wird auch viel netter sein, ich hatte es mir im Augenblick nicht überlegt...«
Während wir dies sprachen, waren wir beide wie im Nebel, wie im Rausch, als wüßten wir selbst nicht, was mit uns vorging. Bald blieben wir stehen und sprachen lange, immer auf demselben Flecke bleibend, bald begannen wir wieder zu gehen und kamen Gott weiß wie weit, bald lachten wir, und bald weinten wir. Bald wollte Nastenka plötzlich nach Hause; ich wagte nicht, sie zurückzuhalten und wollte sie bis vor ihr Haus begleiten; wir gingen auch wirklich hin, merkten aber nach einer Viertelstunde, daß wir wieder auf den Kai zu unserer Bank geraten waren. Bald seufzte sie auf, und neue flüchtige Tränen traten ihr in die Augen... und mich überlief es kalt, und ich wurde wieder verwirrt... Schon drückte sie mir aber wieder die Hand und zwang mich von neuem auf und ab zu gehen, zu sprechen und zu scherzen...
»Nun muß ich wirklich nach. Hause! Es ist wohl schon sehr spät,« sagte sie zuletzt. »Wir haben genug Unsinn geredet!«
»Ja, Nastenka, doch ich werde heute nicht mehr einschlafen; ich werde auch gar nicht nach Hause gehen.«
»Auch ich werde wohl nicht schlafen können; begleiten Sie mich aber bis vors Haus...«
»Gewiß!«
»Diesmal wollen wir unbedingt bis zum Hause kommen!«
»Ja, ganz bestimmt...«
»Ihr Ehrenwort? Denn ich muß ja doch einmal heimkommen!«
»Mein Ehrenwort!« sagte ich lachend.
»Also gehen wir!«
»Gehen wir... Schauen Sie nur den Himmel an, Nastenka! Morgen werden wir den schönsten Tag haben; wie blau der Himmel ist, wie schön der Mond scheint! Schauen Sie hin: eine gelbe Wolke will ihn eben verdecken, sehen Sie, sehen Sie! .. Nein, die Wolke ist schon vorbeigeschwommen. Schauen Sie doch hin, schauen Sie!«
Nastenka sah aber nicht zur Wolke empor. Sie stand schweigend und wie angewurzelt da; nach einigen Augenblicken schmiegte sie sich plötzlich seltsam scheu an mich. Ihre Hand zitterte in der meinigen; ich sah sie an... sie schmiegte sich noch fester an mich.
In diesem Augenblick ging ein junger Mann an uns vorüber. Plötzlich blieb er stehen, sah uns aufmerksam an und machte noch einige Schritte... Mein Herz erbebte...
»Nastenka!« fragte ich leise, »Nastenka, wer ist das?«
»Das ist er!« antwortete sie flüsternd und drückte sich ganz fest an mich; dabei zitterte sie immer stärker... Ich konnte mich kaum auf den Beinen halten.