Die maltesischen Jäger sind in einer schwachen Position, denn sie fordern etwas, das Malta große und kostspielige Schwierigkeiten mit der EU einbringen könnte: die Erlaubnis, auf Vögel zu schießen, die zu ihren Brutgebieten unterwegs sind. Die Führer des FKNK haben kaum eine andere Wahl, als kompromisslos auf ihren Forderungen zu beharren und ihre Haltung mit Aktionen wie dem erwähnten Boykott zu unterstreichen. Das weckt falsche Hoffnungen unter den Mitgliedern und fördert Frustrationen und das Gefühl, verraten worden zu sein, wenn die Regierung diese Hoffnungen enttäuschen muss. In dem beengten, unaufgeräumten Büro des FKNK traf ich mich mit dem Sprecher der Organisation, Joseph Perici Calascione, einem nervösen, aber wortgewandten Mann. «Wie kann irgendjemand, der nur ein bisschen Phantasie besitzt, annehmen, dass wir mit einer Frühjahrsjagd zufrieden sind, in der achtzig Prozent der Jäger keinen Jagdschein bekommen können? Wir haben schon zwei Jahre lang auf eine Jagd verzichtet, die Teil unserer Tradition, Teil unseres Lebens ist. Wir hatten nicht erwartet, dass die Jagdzeit so sein würde wie vor drei Jahren, aber doch wenigstens angemessen lang. Das hat die Regierung uns vor dem EU-Beitritt klar versprochen.»
Ich fragte nach illegalen Abschüssen. Perici Calascione bot mir einen Scotch an. Als ich dankend ablehnte, schenkte er sich ein Glas ein. «Wir sind absolut gegen illegale Abschüsse bedrohter Arten», sagte er. «Wir sind bereit, Jagdaufseher auszuschicken, damit diese Leute gestellt und aus unserem Verband ausgeschlossen werden können. Das hätten wir jetzt schon getan, wenn wir eine ausreichende Jagdsaison gekriegt hätten.» Perici Calascione gab zu, er sei nicht ganz einverstanden mit den aufrührerischen Reden seines Generalsekretärs, versuchte aber, sichtlich bekümmert, mir zu vermitteln, wie viel ihm die Jagd bedeutete; eigenartigerweise klang er wie ein gequälter Umweltschützer. «Alle sind frustriert», sagte er mit bebender Stimme. «Psychiatrische Zwischenfälle häufen sich, unter unseren Mitgliedern hat es Selbstmorde gegeben — unsere Kultur ist in Gefahr.»
Inwiefern die Jagd im maltesischen Stil eine «Kultur» oder eine «Tradition» ist, wirft Fragen auf. Während die Frühjahrsjagd und das Abschießen und Ausstopfen seltener Vögel zweifellos eine lange Tradition hat, scheint das Phänomen des wahllosen Abschlachtens erst in den 1960er Jahren aufgekommen zu sein, in einer Zeit, als Malta unabhängig wurde und Geld ins Land kam. In der Tat erscheint Malta wie eine glatte Widerlegung der Theorie, dass zunehmender Wohlstand einer Gesellschaft mit zunehmender Sorge für die Umwelt einhergeht. In Malta jedenfalls ging der Wohlstand mit besseren Waffen, mehr Geld für den Tierpräparator und mehr Wagen und Straßen einher, wodurch das Land für die Jäger noch besser erschlossen wurde. Die Jagd war einst eine Tradition, die vom Vater an den Sohn weitergegeben wurde, doch nun entwickelte sie sich zum Zeitvertreib junger Männer, die in laut prahlenden Gruppen unterwegs waren.
Auf einem Stück Land, wo ein Hotel einen Golfplatz anlegen möchte, traf ich mich mit einem Jäger alter Schule, der sich über das schlechte Benehmen seiner Landsleute und die Toleranz des FKNK gegenüber diesen Auswüchsen entrüstete. Er sagte mir, das wahllose Abschießen liege den Maltesern «im Blut», und es sei blauäugig zu erwarten, sie würden sich anders verhalten, nur weil das Land der EU beigetreten sei. («Wenn deine Mutter eine Hure ist», sagte er, «wird aus dir keine Nonne.») Doch er sah die Schuld zum großen Teil bei den jungen Männern und sagte, die Senkung des Mindestalters von einundzwanzig auf achtzehn Jahre habe es nur noch schlimmer gemacht. «Und jetzt, wo sie die Frühjahrssaison verkürzt haben», sagte er, «können gesetzestreue Leute nicht mehr auf die Jagd gehen. Aber die anderen, die wahllos herumballern, jagen eben doch, denn es gibt nicht genug Polizisten. Ich bin in diesem Frühjahr drei Wochen auf dem Land gewesen und habe nicht einen einzigen Polizeiwagen gesehen.»
Das Frühjahr sei in Malta immer die Hauptjagdzeit gewesen, und der Jäger sagte, wenn es die nicht mehr gebe, dann werde er wahrscheinlich im Herbst jagen, solange seine Hunde noch lebten, doch dann wolle er aufhören und Vögel nur noch beobachten. «Und es passiert noch etwas anderes», sagte er. «Wo sind die Turteltauben? Als ich jung war und mit meinem Vater hinausging, sahen wir zum Himmel, und da waren Tausende. Wir haben jetzt den Höhepunkt der Saison; gestern war ich den ganzen Tag draußen und habe zwölf Turteltauben gesehen. Seit zwei Jahren habe ich keinen Ziegenmelker mehr gesehen, seit fünf Jahren keinen Steinrötel. Im vergangenen Herbst bin ich jeden Morgen und Nachmittag mit den Hunden rausgegangen und wollte Waldschnepfen schießen. Ich habe drei gesehen und auf keine einzige geschossen. Und das ist ebenfalls ein Teil des Problems: Die Leute sind frustriert. ‹Wenn ich keine Waldschnepfe erwische, dann schieße ich eben einen Turmfalken.›»
An einem späten Sonntagnachmittag standen Temuge und ich im Schutz einiger Büsche auf einer Anhöhe und beobachteten durch ein Teleskop zwei Männer, die den Himmel und die Umgebung mit Ferngläsern absuchten. «Das sind eindeutig Jäger», sagte Temuge. «Sie haben die Gewehre versteckt und holen sie erst hervor, wenn sie was sehen, das sie schießen können.» Doch eine Stunde verging, und kein Vogel ließ sich blicken. Die Männer nahmen ihre Harken und begannen, einen Gemüsegarten zu bearbeiten. Nur hin und wieder sahen sie durch ihre Ferngläser. Es verging eine weitere Stunde, und sie arbeiteten konzentrierter, denn es gab keine Vögel.
Für Zugvögel ist Italien ein einziger langer Spießrutenlauf. In der norditalienischen Region Brescia fangen Wilderer jährlich eine Million Singvögel für Restaurants, auf deren Speisekarte Pulenta e osei steht, Polenta mit kleinen Vögeln. In den Wäldern Sardiniens wimmelt es von Drahtschlingen, auf den Marschen des Veneto werden überwinternde Enten abgeschlachtet, und in Umbrien, der Heimat des heiligen Franziskus, gibt es mehr registrierte Jäger im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung als irgendwo sonst. In der Toskana schießen Jäger ihre jährliche Quote an Waldschnepfen, Ringeltauben und vier weiteren jagdbaren Singvogelarten, darunter auch Singdrossel und Feldlerche; doch im morgendlichen Dunst ist es schwer, jagdbare Arten von geschützten zu unterscheiden, und wen kümmert es schon? Im Süden, in der weitgehend von der Camorra beherrschten Campania, liegt der einladendste Rastplatz für durchziehende Schwimm- und Stelzvögel auf Feldern, die von der Camorra geflutet und für bis zu tausend Euro pro Tag an Jäger verpachtet werden; Großhändler aus Brescia fahren mit Kühllastern in den Süden, um die Beute von kleinen Wilderern einzusammeln; weite Teile der Campania sind vollgestellt mit Fallen für fünf besonders schön singende Finkenarten, und auf den illegalen Vogelmärkten bezahlen wohlhabende Camorristi viel Geld für gute Sänger. Weiter südlich, in Kalabrien und Sizilien, ist die Frühjahrsjagd auf durchziehende Wespenbussarde, über die viel berichtet wurde, infolge der energischer auftretenden Polizei und der Überwachung durch Freiwillige stark zurückgegangen, doch vor allem in Kalabrien gibt es zahlreiche Wilderer, die, wenn sie sich sicher fühlen, auf alles schießen, was fliegt.
Ein eigenartiges altes Gesetz, erlassen von den Faschisten, die so den Umgang mit Feuerwaffen erleichtern wollten, billigt italienischen Jägern — und nur ihnen — das Recht zu, bei der Verfolgung des Wildes fremde Grundstücke zu betreten, ganz gleich, wem sie gehören. In den 1980er Jahren machten mehr als zwei Millionen registrierte Jäger die ländlichen Regionen Italiens unsicher, deren Bevölkerung durch Abwanderung in die Städte zunehmend ausgedünnt war. Die meisten Stadtbewohner lehnen die Jagd jedoch ab, und so kam es, dass das italienische Parlament 1992 eines der restriktivsten Jagdgesetze Europas verabschiedete, laut dem — ein äußerst radikaler Einschnitt — sämtliche wilden Tiere ausschließliches Eigentum des italienischen Staates sind. Das heißt, dass für die Ausübung der Jagd eine besondere Genehmigung erforderlich ist. In den zwanzig Jahren, die seither vergangen sind, haben sich einige Populationen italienischer Großtierarten, darunter auch Wölfe, spektakulär erholt, während die Zahl der registrierten Jäger auf unter 800000 gesunken ist. Diese beiden Trends bewogen Franco Orsi, einen zu Silvio Berlusconis Partei gehörenden Senator aus Ligurien, eine Gesetzesvorlage einzubringen, die den Gebrauch von Lockvögeln erlauben, Jagdgebiete ausweiten und Schonzeiten verkürzen würde. Ein zweites, mit Rücksicht auf die EU erlassenes Gesetz, mit dem Italien die Vorgaben der Vogelschutzrichtlinie erfüllen und sich Hunderte Millionen Euro an Strafgeldern ersparen wollte, ist 2010 vom Parlament verabschiedet worden und bedeutet zumindest in einer Hinsicht einen klaren Sieg für die Jagdlobby: Die Jagdzeit für bestimmte Vogelarten ist auf den Februar verlegt worden.