Ein leuchtendes Beispiel für das andere, das arbeitende Italien ist das erfolgreiche Vorgehen gegen den illegalen Abschuss von Wespenbussarden an der Straße von Messina. Seit 1985 stellt die nationale Forstpolizei ein zusätzliches Team ab, das mit Hubschraubern entlang der kalabrischen Seite der Meeresenge patrouilliert. Die Situation in Kalabrien hat sich insgesamt etwas verschlechtert — dieses Jahr war das Team kleiner und blieb kürzer, und die Zahl der Abschüsse war mit vierhundert doppelt so hoch wie in den Jahren zuvor — , aber auf der sizilianischen Seite der Meeresenge wirkt Anna Giordano, eine berühmte Vorkämpferin gegen die Wilderei, und hier gibt es kaum illegale Abschüsse. Schon 1981, mit fünfzehn Jahren, überwachte Giordano die Betonunterstände, aus denen Greifvögel zu Tausenden abgeschossen wurden, wenn sie tief über die Berge bei Messina dahinglitten. Im Gegensatz zu den Kalabriern, die Bussarde aßen, schossen die Sizilianer sie nur aus Tradition, aus Lust am Wettkampf und um Trophäen zu erbeuten. Manche feuerten auf alles, was flog, andere beschränkten sich auf Wespenbussarde («den Vogel», wie sie sagten), es sei denn, es tauchte eine echte Seltenheit auf, ein Steinadler etwa. Anna Giordano eilte dann zur nächsten Telefonzelle, von wo sie die Forstpolizei anrief, und wieder zurück zum Unterstand. Obwohl man ihren Wagen demolierte, sie ständig beschimpfte und bedrohte, wurde nie jemand gewalttätig — vermutlich, weil sie eine junge Frau war. (Das italienische Wort für «Vogel», uccello, ist ein Slangwort für «Penis», was Gelegenheit für viele obszöne Wortspiele bot, doch an der Wand ihres Büros hing ein Poster, das die Sache umdrehte: «Deine Männlichkeit? Ein toter Vogel.») Als sie mehr und mehr Erfolge erzielte, erst recht nach dem Ausbau der Mobilfunknetze, zwang sie die Forstpolizei, gegen die Wilderer vorzugehen, und ihr wachsender Ruhm brachte ihr die Aufmerksamkeit der Medien und zahllose freiwillige Helfer. In den vergangenen Jahren lag die Zahl der von den Mitarbeitern berichteten Schüsse im einstelligen Bereich.
«Anfangs», sagte Anna Giordano, als ich neben ihr auf einem Hügel stand und vorbeifliegenden Falken nachsah, «haben wir es bei unseren Greifvogelzählungen nicht einmal gewagt, Ferngläser zu benutzen, denn wenn die Wilderer bemerkten, dass wir irgendwohin sahen, fingen sie gleich an zu schießen. In unseren Aufzeichnungen aus jener Zeit steht oft ‹nicht identifizierte Greifvögel›. Und jetzt können wir hier den ganzen Nachmittag stehen und die Zeichnungen einjähriger Weihenweibchen studieren und hören dabei keinen einzigen Schuss. Vor ein paar Jahren kam einer der schlimmsten Wilderer, ein gewalttätiger, dummer, vulgärer Kerl, der uns immer und überall Ärger gemacht hat, und fragte, ob er mit mir reden könne. Ich sagte: ‹Oho, interessant! Also gut.› Er fragte mich, ob ich mich erinnern könne, was ich vor fünfundzwanzig Jahren zu ihm gesagt hätte. Ich sagte, ich könne mich kaum an das erinnern, was ich gestern gesagt hätte. Er sagte: ‹Sie haben gesagt, eines Tages würde ich die Vögel nicht mehr töten, sondern lieben. Ich wollte Ihnen nur sagen, dass Sie recht gehabt haben. Wenn ich früher mit meinem Sohn rausgegangen bin, hab ich ihn gefragt: Hast du dein Gewehr dabei? Heute frage ich ihn: Hast du dein Fernglas dabei?› Da habe ich ihm — einem Wilderer! — mein Fernglas gegeben, damit er einen Wespenbussard betrachten konnte, der über uns dahinflog.»
Anna Giordano ist klein, dunkelhaarig und energisch. In letzter Zeit hat sie die Provinzregierung angegriffen, weil diese es versäumt, die Baulanderschließung rings um Messina zu regulieren, und außerdem — als wollte sie unbedingt immer zu viel zu tun haben — hilft sie in einem Heim für Wildtiere aus. Ich hatte bereits einmal ein Tierheim besucht, das auf dem Grundstück einer psychiatrischen Klinik in Neapel stand, und dort die Röntgenaufnahme eines mit Bleikugeln gespickten Falken gesehen, mehrere genesende Greifvögel in großen Käfigen sowie eine Möwe, deren linker Fuß durch Säure schwarz verätzt war. In Giordanos Tierheim auf einem Hügel bei Messina sah ich, wie sie rohes Putenfleisch an einen kleinen Adler verfütterte, der durch Schrotkugeln sein Augenlicht verloren hatte. Sie packte seine Klauen mit einer Hand und drückte ihn an ihren Bauch. Seine Schwanzfedern waren zerrupft, die Augen blickten streng und doch leer, und er ließ es zu, dass sie ihm den Schnabel öffnete und Fleisch hineinstopfte, bis sein Schlund überquoll. Der Vogel war ganz Adler und doch kein Adler mehr. Ich wusste nicht, was er war.
Wie die meisten zypriotischen Restaurants, die Ambelopoulia servieren, verfügte das, in dem ich mich mit einem Bekannten und dessen Freund traf (ich nenne die beiden Takis und Demetrios), über ein Nebenzimmer, in dem die kleinen Vögel diskret verzehrt werden konnten. Wir gingen durch den Gastraum, in dem aus dem Fernseher eine jener in Zypern so beliebten brasilianischen Telenovelas dröhnte, und nahmen Platz zu einem Mahl aus zypriotischen Spezialitäten: Es gab geräucherten Schinken, gegrillten Käse, eingelegte Kapernzweige, wilden Spargel, Pilze mit Eiern, weingetränkte Wurst und Couscous. Der Wirt brachte uns auch einen Teller mit drei gebratenen Singdrosseln, die wir nicht bestellt hatten, und blieb neben dem Tisch stehen, als wollte er sich vergewissern, dass ich meine auch wirklich aß. Ich dachte daran, dass Franz von Assisi einmal im Jahr, zu Weihnachten, seine Tierliebe zurückgestellt und Fleisch gegessen hatte. Ich dachte an einen Jungen namens Woody, der mir bei einer Wanderung, die wir als Teenager unternommen hatten, ein Stück gebratenes Rotkehlchen angeboten hatte. Ich dachte an einen prominenten italienischen Umweltschützer, der gesagt hatte, Singdrosseln seien «verdammt lecker». Der Umweltschützer hatte recht. Das Fleisch war dunkel und schmeckte sehr würzig, und der ganze Vogel war so viel größer als eine Ambelopoulia, dass ich ihn für ein normales Gericht und mich für einen normalen Restaurantgast halten konnte.
Als der Wirt gegangen war, fragte ich Takis und Demetrios, was das für Leute seien, die gern Ambelopoulia äßen.
«Das sind Leute», sagte Demetrios, «die auch in Cabarets gehen, in Bars, wo es Poledance und Frauen aus Osteuropa gibt. Also keine Leute mit hohen moralischen Maßstäben. Mit anderen Worten: die meisten Zyprioten. Eins unserer Sprichwörter lautet: ‹Was immer man sich in den Mund stecken kann, was immer im Arsch Platz hat …›»
«Soll heißen: Das Leben ist kurz», sagte Takis.
«Die Leute kommen nach Zypern und denken, sie sind in einem europäischen Land, weil wir in der EU sind», sagte Demetrios. «Dabei sind wir in Wirklichkeit ein Land des Nahen Ostens, das nur zufällig zu Europa gehört.»
Am Abend zuvor hatte ich auf der Polizeiwache von Paralimni eine Zeugenaussage gemacht. Der junge Polizist, der sie aufnahm, hätte, wie mir schien, gern gehört, dass die Männer, die die CABS-Mitarbeiter angegriffen hatten, einfach nicht hatten gefilmt und fotografiert werden wollen. «Für die Leute hier», erklärte er, als alles zu Protokoll genommen war, «ist die Jagd auf Singvögel eine alte Tradition, und das kann man nicht von heute auf morgen ändern. Man muss mit ihnen reden und es ihnen verständlich machen, das ist viel besser als dieses aggressive Vorgehen des CABS.» Vielleicht hatte er sogar recht, aber diese Bitte um Geduld hatte ich überall am Mittelmeer gehört, und mittlerweile klang sie in meinen Ohren wie eine leicht abgeänderte Version dessen, was die moderne Konsumgesellschaft im Hinblick auf die Natur sagt: Wartet nur ein Weilchen, bis wir alles verbraucht haben, dann könnt ihr Naturschützer kriegen, was übrig ist.
Während Takis, Demetrios und ich auf das Dutzend Ambelopoulia warteten, das wir bestellt hatten, berieten wir, wer sie essen sollte. «Vielleicht nehme ich einen kleinen Bissen», sagte ich.
«Ich mag das Zeug nicht mal», sagte Takis.
«Ich auch nicht», sagte Demetrios.
«Also gut», sagte ich. «Wie wär’s, wenn ich zwei esse und ihr jeder fünf?»