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Die Verrücktheit von The Hundred Brothers resultiert aus seiner Bereitschaft, die düstere Tatsache, dass das Leben jedes Einzelnen letztlich nur ein immer schnellerer Marsch gen Verfall und Tod ist, nicht nur anzunehmen, sondern sogar zu zelebrieren. Der Roman ist ein dionysischer Traum, in dem nichts, nicht einmal die Vernunft, dem zersetzenden Chaos dieses Umstands entgeht; seine Form jedoch ist heldenhaft apollinisch. Er macht den einsamen Solipsismus mittels Riten, Archetypen und hoher Kunst allgemeingültig und menschlich. Was Nick Carraway über seinen Freund Jay Gatsby sagt, lässt sich auch auf den Sündenbock Doug übertragen: Er ist letztlich kein schlechter Kerl. Wir Übrigen, seine Brüder und Schwestern, erwachen aus dem grauenhaften Traum erfrischt und, wie Doug halb ironisch, halb hoffnungsvoll sagt, besser imstande, «zu wachsen und zu gedeihen».

(Übersetzt von Bettina Abarbanell)

Über autobiographische Literatur

Ein Vortrag

Ich möchte mich zunächst mit vier unangenehmen Fragen beschäftigen, die Romanschriftstellern bei einer Veranstaltung wie dieser oft gestellt werden. Augenscheinlich sind sie der Preis, den wir zahlen müssen für das Vergnügen, vor Publikum in Erscheinung zu treten. Es sind Fragen, die uns rasend machen — nicht nur, weil sie so oft gestellt werden, sondern auch, weil sie sich, bis auf eine, schwer beantworten lassen und weil es sich, gerade deshalb, lohnt, sie zu stellen.

Die erste dieser wiederkehrenden Fragen lautet: Unter dem Einfluss welcher Autoren schreiben Sie?

Manchmal hätte der Fragensteller wohl einfach gern ein paar Buchtipps, allzu oft aber ist die Frage ernst gemeint. Sie ärgert mich unter anderem deswegen, weil sie immer im Präsens gestellt wird: Wer beeinflusst Sie? Tatsache ist, dass ich, zum jetzigen Zeitpunkt meines Lebens, hauptsächlich von dem, was ich bisher geschrieben habe, beeinflusst bin. Mühte ich mich immer noch im Schatten von, sagen wir, E. M. Forster ab, würde ich sicher angestrengt so tun, als sei dem nicht so. Einem gewissen Harold Bloom zufolge, dessen clevere Theorie vom literarischen Einfluss ihm zu einer Karriere im Unterscheiden von «starken» und «schwachen» Schriftstellern verholfen hat, wäre ich mir des Ausmaßes meiner Bemühungen im Schatten von E. M. Forster nicht einmal bewusst. Darum wüsste einzig Harold Bloom.

Unmittelbarer Einfluss ist nur für sehr junge Schriftsteller sinnvoll, die, solange sie herauszufinden versuchen, wie man schreibt, erst einmal Stil und Duktus und Methode ihrer Lieblingsautoren kopieren. Ich persönlich war, mit einundzwanzig, sehr von C. S. Lewis, Isaac Asimow, Louise Fitzhugh, Herbert Marcuse, P. G. Wodehouse, Karl Kraus, meiner damaligen Verlobten und der Dialektik der Aufklärung von Max Horkheimer und Theodor Adorno beeinflusst. Eine Zeitlang, in meinen frühen Zwanzigern, gab ich mir große Mühe, die Satzmelodien und komischen Dialoge von Don DeLillo nachzumachen; ich war auch sehr angetan von der strapaziös lebhaften und allwissenden Prosa Robert Coovers und Thomas Pynchons. Und die Plots meiner ersten beiden Romane waren in beträchtlichem Umfang von zwei Filmen geborgt, Der amerikanische Freund (von Wim Wenders) und Cutter’s Way — Keine Gnade (von Ivan Passer). Doch kommen mir diese mannigfaltigen «Einflüsse» nicht bedeutsamer vor als die Tatsache, dass, als ich fünfzehn war, die Moody Blues meine Lieblingsband waren. Ein Schriftsteller muss irgendwo anfangen, aber wo genau er oder sie anfängt, ist im Grunde fast Zufall.

Zu sagen, dass mich Franz Kafka beeinflusst hat, wäre schon bedeutsamer. Damit meine ich, dass es Kafkas Roman Der Proceß war, vermittelt vom besten Literaturprofessor, den ich je hatte, der mir die Augen für die Großartigkeit dessen, was Literatur vermag, geöffnet und mich dazu gebracht hat, meinerseits Literatur schreiben zu wollen. Kafkas brillant zweideutige Darstellung Josef K.s, der ein sympathischer und zu Unrecht verfolgter Jedermann und ein selbstmitleidiger und seine Schuld leugnender Krimineller ist, war mein Tor zu den Möglichkeiten von Literatur als Mittel der Selbsterforschung: als Methode, mich mit den Schwierigkeiten und Paradoxien meines eigenen Lebens zu beschäftigen. Kafka lehrt uns, sich auch dann selbst zu lieben, wenn man gnadenlos gegen sich ist, und angesichts schlimmster Wahrheiten über sich doch menschlich zu bleiben. Es reicht nicht, die eigenen Figuren zu lieben, und es reicht nicht, mit den eigenen Figuren hart ins Gericht zu gehen: Man muss immer beides zugleich versuchen. Nur die Geschichten, die Menschen als die gelten lassen, die sie wirklich sind — die Bücher, deren Figuren sich als sympathische Subjekte und dubiose Objekte erweisen — , sind in der Lage, über Kulturen und Generationen hinweg zu reichen. Aus diesem Grund lesen wir Kafka noch immer.

Die Frage nach dem Einfluss jedoch, und das ist das größere Problem, scheint davon auszugehen, dass junge Autoren weiche Tonklumpen sind, in denen bestimmte namhafte Schriftsteller, ob tot oder lebendig, ihre unauslöschliche Prägung hinterlassen. Und was den Schriftsteller, der diese Frage ehrlich zu beantworten versucht, rasend macht, ist, dass so gut wie alle Schriftsteller, die er je gelesen hat, irgendeine Prägung hinterlassen haben. Es würde mich Stunden kosten, jeden Schriftsteller, von dem ich etwas gelernt habe, aufzuzählen, und es würde doch immer noch nicht erklären, warum mir manche Bücher so viel mehr bedeuten als andere: Warum ich, selbst jetzt, beim Arbeiten oft über Die Brüder Karamasow und Der Mann, der seine Kinder liebte nachdenke und nie über Ulysses oder Zum Leuchtturm. Woher kommt es, dass ich nichts von Joyce oder Woolf gelernt habe, wo beide doch ganz offenkundig «starke» Schriftsteller sind?

Das geläufige Verständnis von Einfluss, ob nach Harold Bloom oder eher konventionell, ist viel zu linear und einseitig. Die Geschichte der Kunst, mit ihrer fortlaufenden Darstellung von Einflüssen, die von Generation zu Generation weitergereicht werden, ist ein nützliches pädagogisches Instrument zur Organisation von Wissen, mit der eigentlichen Erfahrung eines Schriftstellers aber hat sie nur sehr wenig zu tun. Wenn ich schreibe, fühle ich mich nicht als Handwerker, der von früheren Handwerkern beeinflusst wird, die wiederum selbst von früheren Handwerkern beeinflusst wurden. Vielmehr fühle ich mich als Mitglied einer einzigen, großen, virtuellen Gemeinschaft, in der ich dynamische Beziehungen zu anderen Mitgliedern dieser Gemeinschaft unterhalte, von denen die meisten nicht mehr leben. Wie in jeder anderen Gemeinschaft auch habe ich meine Freunde und meine Feinde. Ich begebe mich in jene Winkel der literarischen Welt, in denen ich mich am meisten zu Hause fühle, geborgen, aber auch auf höchst anregende Weise unter Freunden. Habe ich erst einmal genug Bücher gelesen, um zu wissen, wer diese Freunde sind — und da kommt für den jungen Schriftsteller der Prozess aktiver Auswahl ins Spiel, der Prozess der Entscheidung, von wem man «beeinflusst» wird — , vertrete ich unsere gemeinsamen Interessen. Mit dem, was ich schreibe und wie ich schreibe, kämpfe ich für meine Freunde und gegen meine Feinde. Ich will, dass mehr Leser die Herrlichkeit der Russen des 19. Jahrhunderts würdigen; es ist mir egal, ob sie James Joyce lieben; und mein Werk ist ein Feldzug gegen all das, was ich nicht mag: Sentimentalität, eine schwache Handlung, allzu lyrische Prosa, Solipsismus, Sichgehenlassen, Misogynie und andere Beschränktheiten, steriles Spielespielen, unverhohlene Belehrung, moralische Simplifizierung, unnötige Schwierigkeit, informationelle Fetische und so weiter. Tatsächlich ist viel von dem, was man «Einfluss» nennen könnte, eigentlich negativ: Ich will nicht wie dieser oder wie jener Schriftsteller sein.