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«Das ist kein Feuchtgebiet hier, das ist ein Ödland», kommentierte Caribou verbittert das Besucherzentrum. «Das Problem mit den Naturreservaten in China ist, dass die Einheimischen sie nicht unterstützen. Die Leute, die in ihrer Nähe leben, denken: Wegen der Schutzgebiete können wir nicht reicher werden, können keine Fabriken bauen, keine Kraftwerke bauen. Die wissen nicht, was ein Reservat oder ein Feuchtgebiet ist. Yancheng sollte einen Teil des Kernbereichs der Öffentlichkeit zugänglich machen, um ein Interesse dafür zu wecken. Damit sie den Mandschurenkranich kennenlernen. Dann können die Leute das hier auch unterstützen.»

Das Bußgeld fürs Betreten des Kernbereichs beträgt nominell vierzig Dollar, es kann aber, je nach Laune des Polizisten, bis auf siebenhundert steigen. Theoretisch ist der Kernbereich geschlossen, um die Störung seltener Zugvögel durch Menschen zu minimieren, würde man es aber an einem Vormittag Ende Februar trotzdem betreten, dann träfe man auf lange, laute Konvois blauer Laster, die auf Feldwegen kreuz und quer durch Staubwolken und Dieselschwaden rumpeln. Die Laster fahren leer hinein und haushoch und straßenbreit mit abgeerntetem Schilf beladen wieder hinaus. Es wäre ein Leichtes, bedrohte Arten wie den Jangtsepapageischnabel zu finden, weil ihre Populationen auf schmale Streifen Vegetation inmitten riesiger Schlickwattflächen — viele Quadratkilometer weit bis zum Horizont — vertrieben wurden, die bis auf den Boden gerodet sind. Mit etwas Glück könnte man auch einen der weltweit noch rund zweitausend Exemplare zählenden Schwarzstirnlöffler sehen, der in seichtem Wasser neben gefährdeten Schwarzschnabelstörchen und gefährdeten Kranichen Nahrung sucht, während auf einer Landzunge unmittelbar hinter ihnen Arbeiter Schilfbündel auf einen Laster werfen.

Einem Verwalter des Reservats zufolge gestatten die örtlichen Bestimmungen, Schilf vor und nach dem Durchzug von Zugvögeln zu schneiden. Als das Reservat Mitte der achtziger Jahre eingerichtet wurde, hatte ihm die Zentralregierung nicht genügend Mittel zur Verfügung gestellt, sodass die Bauern fürs Schilfschneiden eine Gebühr entrichten mussten; heute wird das Schneiden als Brandschutzmaßnahme ausgegeben. «Globale NGOs möchten, dass China seinen Naturschutz wie der Westen organisiert, aber sie wollen nicht, dass auch jeder Chinese ein Auto fährt», sagte mir der Leiter eines anderen Küstenreservats. «Deshalb müssen wir die Dinge auf die chinesische Art regeln.» Es leuchtete mir nicht ein, dass für die Mandschurenkraniche des Yancheng Feuer ein größeres Risiko darstellen sollte als die Rodung des Kernbereichs zweimal im Jahr, aber ich wusste, dass in China noch vieles unter der Parole der achtziger Jahre, «Erschließung vor Umweltschutz», läuft. Ich fragte Caribou, ob es, da Chinas Wirtschaft ja weiterhin wachse, für die Vögel einfach immer nur schlimmer werde.

«Ganz eindeutig», sagte Caribou. Er führte einige Arten auf — Baikalente, Schuppensäger, Baerente, Schwarzhalsibis, Schwefelammer, Mönchskranich — , die in Ostchina brüteten oder überwinterten und im Verschwinden begriffen seien. «Noch vor zehn Jahren konnte man sie in viel größerer Zahl sehen», sagte er. «Das Problem ist nicht bloß Wilderei. Das größte Problem ist der Verlust des Lebensraums.»

«Das ist ein Trend, daran können wir nichts ändern», sagte Stinky.

Ein Stück hinter dem Besucherzentrum an der Straße, es war fast dunkel, rief Shadow, er habe vier Krickenten und eine Schnepfe entdeckt.

Stinky suchte offiziell nach einer Arbeit im Bereich Marketing oder PR, aber sie wollte eine Stelle, bei der sie keine Überstunden machen musste, und in China wurden heutzutage bei jeder Arbeit Überstunden verlangt. Sie und ihr Mann hatten zwei Jahre in den Staaten gelebt. Obwohl sie das Leben dort, verglichen mit dem in China, letztlich zu langweilig und vorhersehbar fanden, hielten sie sich nun für weniger «flexibel» als ihre Freunde, die nicht weg gewesen waren. «Es fällt uns beiden ein wenig schwerer, unsere Prinzipien aufzugeben», sagte Stinky. «Zum Beispiel sagen die Leute in China wie in den USA, die Familie stehe an oberster Stelle. Aber in den USA meinen sie das wirklich so. In China dreht sich jetzt alles um Karriere und Aufstieg.» Sie und ihr Mann hatten sich schon eine Wohnung für ihren Ruhestand in der sichuanesischen Hauptstadt Chengdu gekauft, wo die Menschen in dem Ruf stehen, das Leben entspannt zu genießen, aber noch machte ihr Mann Überstunden in Suzhou und kam nur ein paar Abende die Woche nach Hause nach Shanghai, und Stinky war bei ihrem neuen Hobby kaum weniger fleißig. Seit ihrer Teilnahme an einer von der Shanghaier Wildvogelgesellschaft veranstalteten Tour zwei Jahre eher hatte sie die Buchführung für die Gesellschaft gemacht, mehrere Projekte geleitet, als aktive Online-Posterin örtliche Vogelzählungen ins Netz gestellt und im Sommer davor, in der Provinz Fujian, eine der seltensten Arten der Welt gesehen, die Bernsteinseeschwalbe.

An einem Sonntagvormittag ging ich mit ihr zum Jahrestreffen der Wildvogelgesellschaft. Vierzig Mitglieder, darunter ein Dutzend Frauen, hatten sich in einem Schulungsraum im neunzehnten Stock eines Gebäudes der Forstbehörde eingefunden. Die neuesten Mitglieder waren leicht auszumachen — es waren die Schüchternen, die kleine glänzende Vogelanstecker tauschten. Stinky, in modischer schwarzer Jeans, die dichten Haare offen auf den Schultern, trat aus einer Gruppe Freunde und gab mit Hilfe von Tabellen — darauf ein niedliches Carbon-Sparschwein, in das Münzen fielen — einen klaren, geschliffenen Finanzbericht. (Im Jahr 2007 hatte die Finanzierung hauptsächlich aus einer Spende über neunhundert Dollar der Hongkonger Vogelgesellschaft bestanden, mit der man das alljährliche Shanghaier Vogelfestival bezahlte.) Dieses Jahr wurde der Vorstand der Gesellschaft erstmals direkt von den Mitgliedern gewählt, anstatt vom staatlichen Sponsor, dem Shanghaier Büro für den Schutz von Wildtieren, bestimmt zu werden. Ein älteres Mitglied erhob sich und trug witzig-sarkastische Kurzbios von neun Nominierten vor, darunter ein «Supermodel» (Stinky), ein «Student, der äußerst jung ist» (Shadow) und ein «netter Kerl, sehr umgänglich» (der beste Amateur-Vogelbeobachter Shanghais). Mitglieder lächelten in Kameras, während sie mit halbernstem Zeremoniell reihum rosa Wahlzettel in den Schlitz einer Kiste steckten.

Chinas politisches System lässt keine Umweltbewegung im westlichen, aktivistischen, integrierten Sinn einer Bewegung zu. Die Drei-Schluchten-Talsperre am Jangtse brachte tatsächlich so etwas wie einen organisierten nationalen Widerstand hervor, aber das lag zum Teil daran, dass die Regierung bei dem Projekt selbst gespalten war und dass die Talsperre zu einem Sammelplatz für politisch Unzufriedene ganz allgemein wurde. Unlängst musste die Regierung sich zu ihrer Schande der Verschmutzung des Tai-Sees nahe der Stadt Wuxi zuwenden, aber nicht wegen des lauten (und daraufhin inhaftierten) Bürgers, der das Problem publik gemacht hatte, sondern deshalb, weil eine Algenblüte den Trinkwasservorrat von Wuxi verschmutzt hatte. In China finden sich durchaus prominente und unerschrockene Umweltaktivisten, viele davon ehemalige Journalisten, und Privatbürger inszenieren häufig (dem Sankt-Florians-Prinzip entsprechende) «NIMBY»-Proteste gegen bestimmte Umweltbedrohungen. (NIMBY steht für «Not In My Backyard», nicht in meinem Garten oder Hinterhof.) Die «Aktivisten gegen Bürokratie»-Dynamik ist indes weniger wichtig als die Spannung zwischen der Regierung in Peking, die sich prinzipiell für einen starken Umweltschutz einsetzt, und den eindeutig wachstumsfreundlichen lokalen und Provinzregierungen. Nichtregierungsorganisationen wie der Shanghaier Wildvogelgesellschaft ist es nicht gestattet, Bündnisse einzugehen oder Anweisungen von einer überregionalen Gruppe zu befolgen, und eine jede braucht einen staatlichen Sponsor. Sie sind ein bisschen so, wie unsere Audubon-Ortsgruppen es wären, wenn es links von ihnen keine überregionalen Gruppierungen gäbe — keinen Sierra-Club, der in Washington agitiert. Fast alle diese Gruppen gibt es noch nicht länger als zehn Jahre, und ihre Zielsetzung ist daher in erster Linie eine erzieherische.