Naturschutzproteste nach westlichem Muster sind, wenn sie denn laut werden, zumeist spontan, lokal und ineffektiv. Noch vor vier Jahren war das Feuchtgebiet Jiangwan — acht Quadratkilometer unterschiedlicher Habitate auf dem Gelände eines stillgelegten Militärflugplatzes — die größte Naturfläche im Zentrum Shanghais und ein Magnet für die dortigen Vogelbeobachter. Als diese erfuhren, dass das Gelände für den Wohnungsbau erschlossen werden sollte, taten sie sich mit Forschern aus der Gegend zusammen, ersuchten die Regierung, das Projekt aufzugeben oder zu modifizieren, und gewannen Journalisten, die ihre Kampagne verbreiteten. Als Reaktion darauf stornierte die Regierung die Ausgabe einer Feuchtgebiet-Briefmarke, auf der, in Caribous abschätzigen Worten, «vielleicht ein paar Amseln oder ein kleiner Reiher zu sehen waren». Ansonsten ging das Projekt wie geplant weiter.
Stinky vereinte bei der Vorstandswahl die meisten Stimmen auf sich, wurde auf achtunddreißig von vierzig Wahlzetteln genannt. Der äußerst junge Shadow gehörte zu den Durchgefallenen. Nach dem Mittagsbuffet sahen wir eine Diaschau vom netten, umgänglichen und besten Vogelbeobachter Shanghais, der kürzlich die Provinz Yunnan mit ihrer großen Artenvielfalt bereist hatte. («Da», sagte er und klickte weiter, «da wurde ich von einem Egel angefallen.») Stinky betrachtete die Präsentation verzückt. Sie wollte selbst zu einer zweiwöchigen Vogelexpedition durch Yunnan aufbrechen, ohne ihren Mann und ihre Tochter, dafür mit Caribou, und sie hoffte, wenigstens auf hundert Vogelarten zu treffen, die sie noch nicht gesehen hatte. Ich hatte sie gefragt, wie ihr Mann ihr Hobby findet. «Er denkt, ich hab’s richtig gut», sagte sie.
Von den Fenstern des Schulungsraums aus konnte ich die obere Hälfte des Jin Mao Tower sehen — die Hälfte, in der das Hotel war, in dem ich wohnte. Bis vor wenigen Monaten war der Jin Mao das fünfthöchste Gebäude der Welt gewesen, dann eröffnete das viel höhere Shanghai World Financial Center gegenüber und trat seine Herrschaft als Asiens höchstes Gebäude an, bis im übernächsten Jahr ganz in der Nähe ein noch höheres fertiggestellt wird. In meinem Hotelzimmer im siebenundsiebzigsten Stock, mein Blick auf Sourcing geeicht, der Himmel in meinen Fenstern weiß von Kohlensmog, forderte mich jede blinkende Installation auf, die Energie zu betrachten, derer es bedurfte, um ihre Rohmaterialien zu fördern, sie zu bearbeiten, nach Shanghai zu schaffen und gut dreihundert Meter über den Erdboden zu heben. Nach der Kälte und Dunkelheit von Subei erschien mir das Zimmer empörend luxuriös, mit Ausnahme allerdings des Leitungswassers, von dessen Genuss den Gästen abgeraten wurde.
«Alle Arten, die Sie nicht im Wald finden», witzelte der oberste Vogelbeobachter in Shanghai, «finden Sie auf dem Markt, wo sie in Käfigen sitzen.»
Bei dem Treffen erboten sich zwei junge Männer, Yifei Zhang und Max Li, mich am nächsten Vormittag im Mündungsdelta des Jangtse herumzuführen. Yifei war ein schlanker ehemaliger Journalist mit feinen Zügen, der jetzt für den World Wildlife Fund in Shanghai arbeitete. Max war gebürtiger Shanghaier, der in Swarthmore Maschinenbau studiert hatte und als veganer Vogelbeobachter in sein Heimatland zurückgekehrt war, um ökologisch tätig zu werden. («Ich versuche es ja, aber als Veganer ist man hier hoffnungslos verloren», sagte Max, während er uns bei einem Straßenhändler ein Frühstücksomelett kaufte.) Nach einem Vormittag in einem Naturreservat auf der Insel Chongming wollten Yifei und Max mir einen Feuchtgebietpark am Rand von Shanghai zeigen. Für chinesische Umweltschützer hat das Wort Feuchtgebietpark ungefähr dieselbe Wertigkeit wie Streichelzoo. Diese Parks bestehen in der Regel aus Baggerseen und fotogenen Inseln, die von breiten, Vögel verscheuchenden Holzpromenaden durchzogen sind. Der Park in Shanghai lag unmittelbar neben einer Militärbasis, deren Salven vom Schießstand so laut waren, dass es wie in einer Videospielhalle klang; am Himmel sauste Leuchtspurmunition über unsere Köpfe hinweg. Auch gab es bunte Scheinwerfer, Felsattrappen, aus denen chinesische Popmusik drang, und dichte, schnurgerade Reihen mit Stiefmütterchen. Yifei blickte auf die Stiefmütterchen und sagte: «Blöd.»
Wir überquerten den Jangtse auf einer alten, langsamen Fähre. Das Wasser hatte die Farbe nassen Zements. Als wir uns dem Ufer näherten, drückten sich Hunderte Passagiere gegen die Spanten der Fähre, quetschten sich durch schmale Türen auf eine enge Plattform und eine steile, schmale Eisentreppe hinab. Obwohl mir das Tempo des Landes gefiel — die Chinesen verlassen ein Düsenflugzeug wunderbar schnell, und chinesische Aufzugtüren springen nur so auf — , wurde ich doch ungern so dicht auf leiterartige Treppen zu gedrängt. Ich war von New York her Menschenmengen gewohnt, aber nicht solche. Ein Unterschied war auch das Tempo, in dem der kleinste Vorteil, das leiseste Zögern ausgenutzt wurde. Noch verblüffender aber war, mit welcher Scheuklappen-Neigung des Kopfes die Frauen (es waren überwiegend Frauen) um mich herum schubsten und stießen. Mit so einer Neigung überblickte man auf dem Boden genau einen Schritt, und sie bewirkte bei mir nicht, dass ich mich herausgefordert oder abgelehnt fühlte (so, wie es meinen Blutdruck in der Lexington-Avenue-Linie erhöhte), sondern dass es mich irgendwie leblos machte. Ich war nichts weiter als ein dunkel erspürtes Hindernis.
Ich fragte Max und Yifei nach der scheinbaren Gleichgültigkeit, die die meisten Chinesen der Umweltkrise, besonders der Tierwelt entgegenbrachten.
«Hier gibt es eine lange Tradition, in ‹Harmonie mit der Natur› zu leben», sagte Max. «Diese Ideen haben Tausende von Jahren überdauert, und sie können sich nicht einfach verflüchtigt haben. Sie sind nur in dieser Generation vorübergehend verlorengegangen. Unter Mao wurden alle möglichen traditionellen Werte zerstört. Und heute denken die Leute nur: Ich will schnell reich werden. Je reicher man wird, desto mehr wird man respektiert. Und die Ersten, die wirklich reich wurden, in den neunziger Jahren, das waren die Kantonesen. Dann kopierten die Leute in anderen Provinzen den Lebensstil der Kantonesen, zu dem unter anderem gehört, dass man viele Meeresfrüchte isst, um zu zeigen, wie reich man ist.»
«Wir haben nicht genügend Forscher, die untersuchen, was da umweltmäßig passiert», sagte Yifei. «Und die Forscher, die wir haben, machen den Mund nicht auf. In den Büros, sogar in der Akademie der Wissenschaften, überlegt jeder nur, was er sagen kann, damit es dem Boss gefällt. Statt echter Informationen gibt es jede Menge falsche — Sätze wie ‹China hat eine Fülle von Naturressourcen›. Die allgemeine Entwicklung des Landes ist gut — hin zu größerer geistiger Freiheit — , aber sie ist doch noch immer sehr beschränkt. Letztendlich interessiert sich jeder nur dafür, was er für sich selbst herausholen kann. Das Ziel ist persönliches Überleben.»
In Ningbo hatte ich darum gebeten, eine Golfschlägerfabrik zu besichtigen, und der unermüdliche David Xu mit seinem schönen Lächeln hatte mir meinen Wunsch erfüllt. Bis zu dem Augenblick, in dem wir in der Fabrik eintrafen, telefonierte er mit dem Firmenchef und versicherte ihm, ich sei wirklich Schriftsteller und er, Xu, arbeite tatsächlich im Außenministerium. Im Vorjahr hatte ein Konkurrent der Firma als Journalisten getarnte Spione in die Fabrik geschickt.
Moderne Golfschläger mögen ultra-hightech aussehen, aber ihre Herstellung ist unumgehbar arbeitsintensiv. Die Fabrik in Ningbo beschäftigt rund fünfhundert Arbeiter, die meisten aus Zentral- und Westchina. Sie leben im Fabrikwohnheim, sie essen in der Fabrikcafeteria, und Lawyrance Luo zufolge, dem jungen Vertriebsleiter der Firma, verstehen sie von den Gegenständen, die sie herstellen, im Großen und Ganzen nicht viel. Luo sagte, er selbst spiele nur wenige Male im Jahr Golf, wenn die Firma neue Produkte testen müsse. Die meisten in der Fabrik hergestellten Schläger gehen im Set und mit voluminöser Tasche an große Einzelhandelsgeschäfte in Amerika. Der nackte Beton und die einfache Beleuchtung mochten ein Jahr oder fünfzig Jahre alt gewesen sein. Ebenso die fettgeschwärzten Maschinen, von Arbeitern bedient, die Rohstahlröhren verjüngten und in den dabei entstehenden Schaft saubere Crimpringe pressten. Arbeiterinnen bestrichen Graphitverbundstreifen mit Klebstoff, die sodann auf die Schäfte gerollt und mittels Heißklebeverfahren aufgetragen wurden. Eine mächtige Maschine stampfte Blechstahl zu hohlen Schlägerköpfen; an einer anderen legten Männer zu beiden Seiten mit Pinzetten Schlagflächen hinein, die Maschine presste horizontale Rillen auf, dann holten die Männer sie wieder heraus. Nach dem Pressen wurden die Schlägerköpfe von muskulösen Männern mit Schutzmasken in einem matt erhellten Raum voller wassergekühlter Schleifmaschinen gefräst; Luo versicherte mir, das Wasser hier werde recycelt und die Ventilation sei viel besser als früher, aber die Szenerie war doch ziemlich infernalisch. Oben, in einem Raum voll haarsträubend intensiver Lackdämpfe, inspizierten robust wirkende Mädchen mit dichten Haaren und extremen Stiefeln und Strümpfen die Verarbeitung der Schlägerschäfte und schliffen kleine Fehler weg. Andere junge Leute sandstrahlten Schlägerköpfe, klebten Abziehbilder auf Schäfte, bemalten die Rillen der Logos per Hand und spritzten Leim in Driver-Köpfe, damit der darin verbliebene Schleifstaub nicht rasselte. In einem überfüllten Raum im Erdgeschoss, in dem sich die fertigen Produkte stapelten, ragten ganze Wälder schimmernder Schlägerköpfe über Grate farbenfroher Taschen und ausgedehnte Schilfbeete, in denen Schäfte die Stiele waren und gepolsterte Griffe die Köpfe des Schilfs.