Wie Chinas Naturreservate wurde auch diese Firma von Schwierigkeiten eingeengt. Die monatliche Lohnsumme, die sich gegenwärtig auf rund zweihundert Dollar pro Arbeiter belief, stieg Jahr für Jahr, und es gab neue Bundesgesetze, die, theoretisch jedenfalls, den Mindestlohn erhöhten und die Firmen verpflichteten, alle bis auf die Kurzarbeiter zu versichern und ihnen Abfindungen zu zahlen. Da die Zentralregierung unbedingt auch das Landesinnere erschließen wollte, mussten Arbeitgeber in Küstenstädten wie Ningbo starke Anreize bieten, um Arbeiter aus ihrer Heimat anzulocken und sie zu halten. Derweil waren Chinas Steuergutschriften bei Exporten weniger großzügig geworden, die Kosten für Rohstoffe stiegen im Monatsrhythmus, die amerikanische Wirtschaft stagnierte, der US-Dollar war ein Flop, und dennoch konnte die Fabrik ihre gesteigerten Kosten nicht an ihre Kunden weitergeben — die amerikanischen Einkäufer gingen sonst einfach zur Konkurrenz.
«Unsere Profitmarge ist sehr, sehr dünn geworden», sagte Luo. «Sie ist genauso wie vor zehn Jahren, als die taiwanesischen Hersteller herzogen. Jetzt wandern immer mehr Unternehmen nach Vietnam ab.»
«Vietnam ist sehr klein», konterte David Xu mit einem breiten Lächeln.
Als wir aufbrachen, stießen wir beim Ausgang auf eine riesige Golftasche voller Schläger in Plastikhüllen.
«Das sind unsere besten Schläger», sagte mir Luo. «Das Spitzenmodell. Der Direktor möchte sie Ihnen zum Geschenk machen, weil Sie sich für Golf interessieren.»
Ich schaute auf Xu und meine Dolmetscherin, Miss Wang, aber beide konnten mir kein klares Zeichen geben, was ich tun sollte. Wie im Traum sah ich zu, wie die Schläger im Heck unseres Wagens verstaut wurden. Und wie die Kofferraumtür zuschlug. Bestimmt gab es hierfür doch irgendeinen bekannten Journalistenkodex?
«Ach, ich weiß nicht», sagte ich. «Ich weiß nicht recht.»
Aber da winkte Luo schon zum Abschied, und wir fuhren fort in den Vormittagsdunst. Ein kräftiger, warmer, rauchgeschwängerter Wind war aufgekommen; plötzlich war die Luft sehr schlecht. Womöglich wäre mir eine Ablehnung des Geschenks gelungen, hätte ich mich in der chinesischen Geschäftsetikette nur sicherer gefühlt. Zugegeben, im entscheidenden Moment war ich auch noch vom Wohlgeschmack des Wortes «Spitzenmodell» und von der Vorstellung, diese schimmernden, sexy, modernsten Golfschläger in Händen zu halten, gelähmt gewesen; die ausgedehnte Fabrikbesichtigung hatte mir Lust auf das fertige Produkt gemacht. Erst jetzt fiel mir ein, dass es da zwischen Ningbo und New York einiges zu schleppen gäbe. Und: Nachdem ich so ein hübsches Geschenk angenommen hatte, wäre es da nicht unverschämt von mir, über die intensiven Lackdämpfe am Arbeitsplatz zu schreiben? Und: Missfiel mir Golf nicht eigentlich?
«Ich überlege, ob wir nicht umkehren und die Schläger zurückgeben sollten», sagte ich. «Ginge das? Wäre der Direktor dann gekränkt?»
«Jonathan, du musst die Schläger behalten», sagte Xu. Aber auch er klang nicht ganz überzeugt. Ich erklärte, was für ein Umstand es wäre, mit Übergepäck zu reisen, und Miss Wang, die selbst nicht viel größer als die Schlägertasche war, erbot sich, sie für mich nach Shanghai zurückzutragen und bis zu meiner Abreise aufzubewahren. «Ich muss abnehmen», sagte sie.
«Sie werden ein Andenken an diese Reise sein», sagte Xu.
«Sie müssen sie unbedingt behalten», pflichtete Miss Wang ihm bei.
Ich dachte an die Reise nach Oregon, die ich einen Monat zuvor unternommen hatte. Aus Anlass eines runden Geburtstags meines Bruders war ich schließlich doch mit ihm ins Bandon Dunes gefahren. Im Proshop des Golfhotels hatte ich ganze Körbe voller besorgt dreinschauender Papageitaucher gesehen, und mit wachsender Ungeduld hatte ich achtzehn herrliche Löcher versemmelt, während Bob einen Monsterputt nach dem anderen versenkte. Um von Bobs Wohnort zum Bandon zu gelangen, waren wir mit dem öffentlichen Nahverkehr der Stadt Portland zum Flughafen gefahren. Wollen Sie sich einmal strahlend weiß, männlich und müßiggängerisch fühlen, gibt es kaum etwas Besseres, als eine ethnisch gemischte Menge Werktätiger zu bemühen, im morgendlichen Berufsverkehr um Ihre Golfbags herumzusteigen.
Ich sagte zu David Xu, ich wolle ihm meine neuen Golfschläger zum Geschenk machen. Er protestierte: «Ich bin bisher noch nicht mal am Eingang zu einem Golfplatz gewesen!» Aber schließlich blieb ihm nichts anderes übrig, als sie anzunehmen. «Sie werden die Erinnerung an dich wachhalten», sagte er philosophisch, «und meinem Leben eine wunderbare, farbenfrohe Würze geben.»
Unter den vielen jüngsten Postings auf der Website der Jiangsu Wild Bird Society — mit Sitz in Nanjing, der Hauptstadt der Provinz Jiangsu, die an Shanghai angrenzt — gab es einen Thread, der damit begann, dass ein neues Mitglied der Gruppe, Xiaoxiaoge, Vogelbilder postete, die er in einem Zoo aufgenommen hatte. Er musste dafür viel Kritik einstecken. Xiaoxiaoge schoss zurück:
Ich habe noch nie gehört, dass eine Tierschutzorganisation eine negative Meinung über Zoos bekundet. … Sind denn nicht auch sogenannte «Wildtierreservate» nur ein Ort, der eingerichtet wurde, um Tiere «einzusperren», damit sie geschützt sind?
Er fuhr fort:
Ist ein Zoo denn nicht der einzige Ort, an dem man Vögel mit einer einfachen Kamera aus der Nähe fotografieren kann? Sonst müsste man doch Tausende [für eine Fotoausrüstung] ausgeben, um Vögel fotografieren zu können, und wäre es dann nicht eine Oberschichtaktivität? … Diese Leute vertiefen sich in die Freude an der Schönheit der Vögel und kommen nicht wieder heraus; sie alle vertiefen sich in die Freude darüber, irgendwo eine neue Art zu finden, und kommen nicht wieder heraus.
Würden den Vogelbeobachtern die Vögel wirklich am Herzen liegen, schrieb Xiaoxiaoge, dann würden sie weniger Energie darauf verwenden, hübsche Bilder zu machen, und mehr Zeit damit verbringen, die Natur gegen die Bedrohung durch den Menschen zu verteidigen.
Als Antwort auf Xiaoxiaoge verwies ein Poster darauf, dass Nanjings allererster Vogelbeobachter