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ein durchschnittliches Fernglas für 200 Yuan benutzt hat, um Vögel zu beobachten, und ein landesweit bekannter Experte geworden ist. Fünf Jahre lang benutzte er dieses Fernglas, bis er es dieses Jahr schließlich gegen ein neues eintauschen musste.

Ein anderer Poster ergriff die Gelegenheit, um das Profitmotiv von chinesischen Zoos zu beklagen:

Besucht man westliche Zoos, stellt man fest, dass die Tiere in einem richtigen Zoo ein viel besseres Leben haben als in der freien Natur. Neulich habe ich mit Leuten gesprochen, die aus Übersee zurückgekommen sind, oder mit Freunden aus Übersee, und nun bin ich noch mehr der Überzeugung, dass der Unterschied in unserem Land der ist: Wir machen nie etwas so, wie es gemacht werden müsste. Alles ist irgendwie ein Geschäft, nur ein egoistisches Geschäft.

Und noch ein anderer Poster schrieb über seinen inneren Konflikt:

Ich persönlich mag Zoos nicht und auch nicht Menschen, die Tiere einsperren. Im Herzen möchte ich die Käfige zerstören, habe aber nicht den Mut dazu. Sie zu zerstören ist eindeutig ein Verbrechen.

Die längste, geduldigste und gründlichste Antwort auf Xiaoxiaoges Provokation stammte von einem Poster, der sich asroma13 nannte (eine Anspielung auf den italienischen Fußballclub). Asroma13 räumte ein, dass Zoos, sofern sie gut geführt seien, besonders für Einsteiger nützlich sein könnten. Er erklärte den Unterschied zwischen einem Zoo und einem Reservat: Ein Reservat schütze vor allem einen Ort. Xiaoxiaoge entgegnete er, er, asroma13, habe viele Fotos von «Umweltzerstörung, Vogelfang und anderen schädlichen Phänomenen» gepostet, aber das könne nicht der einzige Blickpunkt der Website sein. Zu Xiaoxiaoges Genusssucht-Vorwürfen meinte er, nicht viele beschäftigten sich mit Vogelbeobachtung oder Vogelfotografie aus einem umweltschützerischen Impuls heraus, doch befürworteten letztlich die meisten, die diesem Hobby nachgingen, den Schutz der Umwelt. Weiter schrieb er:

Wenn Vogelbeobachter und Vogelfotografen die Freude an der Schönheit und das Entdecken neuer Arten nicht genießen sollen — wenn wir über der Schönheit eines Vogels nicht gefühlvoll aufseufzen dürfen — , woher sollen wir dann die Gründe und die Leidenschaft nehmen, sie zu schützen?

Asroma13 hatte zwei Jahre davor, im Alter von zwanzig Jahren, die Jiangsu Wild Bird Society ins Leben gerufen. Auf Englisch nannte er sich Shrike, Würger. Ich traf mich mit ihm an einem Sonntagvormittag in Nanjing, und während der Fahrt im Taxi zum Botanischen Garten, der auf den dicht bewaldeten Purpurbergen liegt, wurde im Autoradio zufällig von einer Schar durchziehender Schwäne berichtet, die die Wildvogelgesellschaft auf einem See südlich von Nanjing beobachtet habe. Shrike hatte Lokalredakteure während der letzten zwei Jahre mit einem steten Strom von Vogelinformationen versorgt. «Kann man einen Sender oder eine Zeitung für eine Geschichte interessieren, interessieren sich die anderen auch dafür», sagte er.

Shrike war ein großer, sehr jung wirkender Mann mit hohen Backenknochen, der Biomedizintechnik studierte. Er sagte, er kenne jedes Detail einer jeden Vogelart in Nanjing, und ich glaubte es ihm. An einem kalten grauen Tag, auf zwei sehr langsamen Runden durch den Botanischen Garten — wir waren sechs Stunden lang dort — brachte er einen städtischen Park dazu, fünfunddreißig Arten preiszugeben. (An einer Müllkippe stießen wir auch auf drei wildlebende Katzen, die einzigen Säugetiere, die ich in meinen Wochen in China frei herumlaufen sah.) Eine auf ein Stativ montierte Kamera auf der Schulter — wie ein kleines Kreuz, das er für die Natur trug — , führte Shrike mich im Unterholz herum, bis wir einen Huamei, einen Augenbrauenhäherling, zu Gesicht bekamen, einen der charismatischsten und beliebtesten Singvögel Chinas. Das Gefieder des Huamei war ein kräftiges Braun mit Ausnahme der irren weißen Brille, von der sich sein Name herleitet (wörtlich: «gemalte Augenbraue»). Er scharrte in gefallenem Laub wie eine Grundammer, nervös, uns wachsam beobachtend. Anderswo in den Purpurbergen, sagte Shrike, würden Netze ausgelegt, um den Huamei zu fangen, aber der Zaun um den Botanischen Garten halte Wilderer fern.

Shrike war in Nanjing aufgewachsen, als einziges Kind eines Professors für Maschinenbau und einer Fabrikarbeiterin. Mit sechzehn kaufte er sich ein Fernglas und sagte sich: «Ich sollte rausgehen und mir Tiere ansehen.» Auf den Umschlag eines Notizbuchs schrieb er «ÖKOLOGISCHE AUFZEICHNUNGEN» und ging damit in den Botanischen Garten. Der erste Vogel, den er sah, war eine Kohlmeise (eine farbenfrohe Verwandte der Schwarzkopfmeise). Ein halbes Jahr später radierte er das Wort «ÖKOLOGISCHE» auf dem Notizbuch aus und schrieb «VOGEL-» hin. 2005 kam er übers Internet in Kontakt mit einem anderen Vogelbeobachter, einem Kadetten der Polizeiakademie. Die beiden schlossen sich zu einem Forum zusammen, aus dem dann die Jiangsu Wild Bird Society wurde. Die Gruppe hatte inzwischen rund zweihundert Mitglieder, darunter zwanzig, die Shrike als «sehr aktiv» bezeichnete, aber anders als ihr Pendant in Shanghai existierte sie offiziell gar nicht. «Wir sagen im Spaß, dass wir eine Untergrundorganisation sind, die überall entlarvt ist», sagte Shrike. «Jetzt kennen uns immer mehr Leute in der Stadt, weil in den Nachrichten oft über uns berichtet wird. Manchmal, wenn wir unterwegs sind und Vögel beobachten und Leute vorbeigehen, hören wir sie zueinander sagen: ‹Oh, die beobachten Vögel.›»

Die größte Bedrohung für Vögel in China neben Verschmutzung und Verlust von Lebensraum ist die Jagd. Es ist weit verbreitet, wenn auch illegal, sie mit Netzen und Gift zu fangen, um sie dann zu verspeisen. In manchen alten Städten, auch in Nanjing, werden Wildvögel oft als Haustiere verkauft oder an Buddhisten, die sie bei Festen fliegen lassen, da sie glauben, freigelassene Vögel erzeugten ein gutes Karma. (Eine Nonne aus einem Kloster nahe Nanjing sagte mir, die Mönche seien bei der Art der Tiere, die sie freiließen, nicht wählerisch, es zähle nur die Menge.) Shrike zufolge können die Gesetze gegen den Verkauf von Wildvögeln nicht durchgesetzt werden, ohne «gesellschaftliche Instabilität» zu riskieren, daher versuchten er und seine Gruppe stattdessen, die Käufer zu erziehen. «Unsere Botschaft bei unseren Werbeaktionen ist: ‹Wer Vögel liebt, sperrt sie nicht ein — lasst sie frei am Himmel fliegen›», sagte er. «Wir informieren die Leute auch über die ganzen Parasiten und Viren, die sie bekommen können. Wir versuchen, sie zu überzeugen, aber wir bedrohen sie auch!»

Shrike erklärte sich ziemlich widerwillig bereit, mit mir auf den Vogelmarkt von Nanjing zu gehen. Dort sahen wir in einem Gewirr von Gassen nördlich des Qinhuai-Flusses frisch gefangene Feldlerchen, die sich gegen die Gitterstäbe ihres Käfigs warfen. Wir sahen einen Jungen, der einen Spatzen an einer Leine zähmte, indem er ihm den Kopf streichelte. Wir sahen Berge von Vogelscheiße. Am wenigsten verstörten mich die Käfige mit Wellensittichen und Bronzemännchen, die vermutlich schon in Gefangenschaft groß geworden waren. Am nächstwenigsten verstörten mich die farbenfrohen Exoten — Fulvettas, Blattvögel, Yuhinas — , die aus einem geschädigten Wald im Süden geholt und nach Nanjing verfrachtet worden waren. Ich sah sie zwar nicht gern dort, aber sie wirkten nur halb real, weil ich sie in ihrem natürlichen Habitat gar nicht kannte. Es war wie der Unterschied zwischen dem Anblick eines obskuren Fremden in einem Porno und dem Anblick des besten Freundes: die verstörendsten Gefangenen waren die vertrautesten — die Kernbeißer, die Drosseln, die Sperlinge. Mich schockierte, wie viel kleiner und überhaupt abgerissener und geschwächter sie in den Käfigen aussahen als im Botanischen Garten. Es war genauso, wie Shrike zu Xiaoxiaoge gesagt hatte: dass ein Naturreservat einen Ort schützte. Nahezu im selben Maße, wie das Tier zum Ort gehörte, gehörte der Ort zum Tier.

Die beiden beliebtesten Wildvögel in Nanjing, beides Sänger, waren der winzige, edelsteinartige Japan-Brillenvogel und der bedauernswerte Huamei. Frisch gefangene Singvögel gingen für gerade mal einen Dollar fünfzig weg, aber nach einem Jahr Zähmen und Trainieren konnte ein einziger Vogel auch dreihundert Dollar erzielen. Die Brillenvögel waren in eleganten, halbwegs geräumigen Käfigen untergebracht. Man konnte sich wenigstens vorstellen oder es hoffen, dass die Haft sich ungefähr wie Hausarrest anfühlte. Die meisten Huameis, die ich sah, wurden dagegen in üblen Holzzellen mit massiven Wänden aufgezogen, so klein, dass das Tier sich darin kaum umdrehen konnte. An der Vorderseite war immerhin ein Fenstergitter, durch dessen Stäbe die Huameis mit ihren weißen Brillen stumm hinausblickten, während ihr Geldwert abgeschätzt wurde.