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Über den Zusammenhang von Wirtschaftswachstum und Umweltschutz in Entwicklungsländern gibt es zwei konkurrierende Theorien. Die eine, im Hinblick auf Geschäftsinteressen sehr bequeme, besagt, dass eine Gesellschaft sich erst dann Gedanken über die Umwelt macht, wenn es ihr gestattet war, den schmutzigen Weg zu Reichtum, Muße und den Ansprüchen der Mittelschicht zu gehen. Der anderen Theorie zufolge hat die entwicklungsmäßige Reife die westliche Gesellschaft nicht eben davon abgehalten, mit Ressourcen Raubbau zu treiben und die Natur zu zerstören; die Verfechter dieser Theorie, die apokalyptischen Schwarzmaler, raufen sich die Haare, wenn sie an China, Indien und Indonesien denken, die dem westlichen Vorbild nacheifern.

Verfechter der «Erst Wachstum, dann Umwelt»-Theorie könnten sich davon ermutigt fühlen, wie rasch das Auftauchen westlich gesinnter Naturfreunde auf die Explosion von Chinas BIP folgte. Das Problem ist jedoch, dass China so wenig gutes Land hat und sich so rasant verändert. Eine neue Generation mag Naturschutz lernen, aber nicht so schnell, wie die Lebensräume verschwinden. Schon jetzt werden Chinas Nationalparks von einer zunehmend mobilen Mittelschicht zu Tode geliebt. In Nordamerika kann man noch immer mit einer Busladung Schüler in ein Naturreservat fahren und sie einen Tag oder eine Woche lang Tiere beobachten lassen. In Shanghai, dessen Bevölkerung bald zwanzig Millionen betragen wird, gibt es nur ein zugängliches Naturschutzgebiet — Dongtan — , auf der Schwemmlandinsel Chongming im Jangtse gelegen. Das Reservat wird gut geführt, ist aber stark von Fischern und Verschmutzung stromaufwärts belastet. Das ganze nördliche Drittel ist von vogelfeindlichem invasivem Reisgras umschlossen (einer Legende zufolge wurde das Gras auf Drängen von Premier Zhou Enlai eingeführt, der seine Experten beauftragt hatte, eine Pflanze ausfindig zu machen, die Chinas Fläche vergrößern könnte), und an seinem Westrand wird ein riesiger Feuchtgebietpark errichtet, der auch eine «Ferienhauszone» und einen «Feuchtgebiet-Golfplatz» enthält. Mit Beginn des Jahres 2010 soll ein System aus Brücken und Tunneln die Insel direkt mit dem Zentrum Shanghais verbinden. Dann wird es möglich sein, jedes Shanghaier Kind für einen Tag in die Natur nach Dongtan auf Chongming zu karren, allerdings würden die Busse dann dicht an dicht über dem Jangtse stehen.

Erfolgreiche chinesische Bemühungen um den Umweltschutz übergehen heutzutage oft die breite Öffentlichkeit und zielen stattdessen direkt auf das Eigeninteresse der Regierung ab. In Shanghai versucht Yifei Zhang, der ehemalige Journalist und jetzige WWF-Mitarbeiter, die Stadtregierung dazu zu bewegen, über eine vertretbare Obergrenze der Einwohnerschaft und ihre künftigen Trinkwasserquellen nachzudenken. Die Stadt sieht dafür gegenwärtig das Mündungsdelta des Jangtse vor, doch droht der steigende Meeresspiegel, das Wasser zu versalzen. Yifei möchte die Stadt dazu bringen, eine Alternative zu entwickeln, indem sie nämlich den Nebenfluss Huangpu reinigt und sein Einzugsgebiet wiederherstellt — wodurch als zusätzlicher Nutzen ein neues Wildreservat entstehen würde. «Wir verzweifeln nie, weil wir keine hohen Erwartungen haben», sagte Yifei. Flussaufwärts von Shanghai, wo Hunderte Seen dauerhaft vom Jangtse abgetrennt wurden, setzte der WWF sich 2002 zum Ziel, die Regierung von Hubei zu überreden, wenigstens einen der Seen wieder mit dem Jangtse zu verbinden. «Keiner glaubte, das könne möglich sein», sagte Yifei. «Es war nur ein Traum — ein Luftschloss. Aber wir gründeten eine Demonstrationsstelle, und nach zwei, drei Jahren hatten wir die örtliche Regierung so weit, dass sie die Schleusentore saisonal öffnete, damit die jungen Fische in den See konnten. Und es hat funktioniert! Dann konnten wir den örtlichen Regierungen kleine Geldbeträge für Pilotprogramme zukommen lassen. Unser erstes Ziel war ein See gewesen. Und heute sind wieder siebzehn Seen verbunden.»

In Peking traf ich mich mit einem außerordentlich effektiven Basisaktivisten namens Hai-xiang Zhou. Zhou hatte zwanzig Jahre lang in großem Stil, aber als Amateur Vögel fotografiert — er sah sich als nationaler Vorreiter darin — , war aber erst kürzlich zum Aktivisten geworden. Im Herbst 2005 hatte er gehört, dass in der Nähe der Gegend, wo er seine Kindheit verbracht hatte, in der Provinz Liaoning, die Vogelgrippe ausgebrochen war und dass die Behörden behaupteten, die Grippe werde von Wildvögeln übertragen. Eine überflüssige Massentötung befürchtend, nahm er Urlaub und eilte nach Liaoning, wo er sah, dass Wasservögel und Zugkraniche an gewöhnlicheren Ursachen starben — Jagd, Gift, Hunger.

Zhous Brille war so groß, dass sie fast sein halbes Gesicht bedeckte. «Wenn eine NGO hier etwas tun will, dann geht das nur zusammen mit der Regierung», sagte er. «Vogelbeobachter und Umweltschützer können Dinge untersuchen, aber damit auch wirklich etwas getan wird, braucht man einen Ansatzpunkt. Die Leute vor Ort wollen immer mehr Gebiete erschließen lassen, während die Regierung offiziell nachhaltige Erschließung und Umweltschutz will. Da die Ressourcen sehr begrenzt sind, freuen sich die Regierungsvertreter, wenn man ihnen hilft, damit sie zeigen können, dass sie auch wirklich das tun, wozu sie sich offiziell verpflichtet haben. Wenn ein Umweltprojekt gut geworden ist, erhalten Bezirkspolitiker ein positives Feedback und erlangen viel Ansehen.»

Auf einem Laptop zeigte mir Zhou Fotos von lächelnden Würdenträgern auf einer Naturbeobachtungsplattform, die sie in seiner Heimatstadt errichtet hatten. Zhou arbeitete jetzt an einem neuen Projekt im Naturreservat Laotieshan auf der Halbinsel Liaodong. In jedem Herbst drängt sich die gesamte Zugvogelpopulation Nordostchinas auf ihrem Weg nach Süden über diese Halbinsel, auf der dann einheimische Wilderer auf öffentlichem Boden Tausende von Netzen aufstellen, um sie zu fangen und zu töten. Am meisten bringen die großen Greifvögel ein, von denen viele gefährdet oder bedroht sind. Einige der Vögel würden gleich dort gegessen, sagte Zhou, die meisten jedoch in die südlichen Provinzen gebracht, wo sie als Delikatesse gelten. Zhou und seine Tochter, die ehrenamtlich im Reservat arbeitet, sammeln Daten, um sie der Zentralregierung vorzulegen, damit diese die Maßnahmen vor Ort koordinieren kann. Seine Fotos zeigten Aufseher, die Wilderer bei Tag und im Scheinwerferlicht jagten. Sie zeigten Bäume, die von Wilderern gefällt worden waren, um die Pick-ups der Aufseher aufzuhalten. Sie zeigten konfiszierte Motorräder. Ein Zimmer, randvoll mit zusammengeknüllten Netzen jeder Farbe — von den Aufsehern an einem einzigen Vormittag erbeutet. Käfige mit kleinen Vögeln als Köder für die größeren. Baumstämme, die senkrecht auf die Spitzen anderer Bäume gesetzt wurden, damit die Netze sich auf Adlerhöhe befanden. Kleinere Adlerfallen, die an hohen Ästen aufgehängt und mit Holzklötzen beschwert waren. Haushohe Netze mit verletzten Tauben, Seeadlern, Sakerfalken darin. Noch lebende Vögel, die Flügel mehrfach gebrochen, mit herausstehenden Knochen, in grausigen Winkeln abgeknickt. Einen konfiszierten Netzwäschesack, vollgestopft mit Falken und Eulen, viele tot, viele nicht, alle hineingestopft wie dreckige Unterwäsche. Einen Wilderer in Handschellen, er trägt ein hübsches Hemd und neue Turnschuhe, das Gesicht verpixelt. Schweißperlen auf dem Gesicht eines Aufsehers, der einen Falken aus einem Netz befreit. Einen Haufen von siebenundvierzig toten Habichten und Adlern, allesamt an einem Vormittag beschlagnahmt. Einen kleineren Haufen aus blutigen Köpfen, die am selben Vormittag auf der Erde herumlagen.

«Die Leute, die das tun, sind nicht arm», sagte Zhou. «Es dient nicht dem Lebensunterhalt — es ist Tradition. Mein Ziel ist es, die Leute zu erziehen und zu versuchen, den Brauch zu ändern. Ich will den Leuten beibringen, dass die Vögel ihr natürlicher Reichtum sind, und für den Ökotourismus als alternativen Lebensunterhalt werben.»