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Solange der Massenmord nicht aufgeklärt ist, kann Beck sich nur schlecht fühlen. Er und seine Kollegen verfolgen unzählige Spuren, die nirgendwohin führen, sie gehen im schneidend kalten Wind von Tür zu Tür, lassen sich Beschimpfungen von Dummköpfen und Sadisten gefallen, nehmen schrecklich lange Autofahrten auf winterlichen Straßen in Kauf und lesen unvorstellbare Mengen langweiliger Protokolle. Mit einem Wort: Polizeiarbeit ist Schmerz und Leid. Wir Leser, die wir nicht Martin Beck sind, können darüber lachen, wie furchtbar diese Welt ist und mit welch grausamer Effizienz sie den Polizisten Schmerz zufügt; wir Leser haben unseren Spaß. Und doch sind es die leidenden Polizisten, die schließlich etwas Schönes hervorbringen: die gleichzeitige Aufklärung eines sehr alten und eines entsetzlichen neuen Verbrechens. Eine Lösung, die auf einem Detail automobilistischen Spezialwissens beruht und auf die verschiedene Zeugenaussagen bereits hingewiesen haben: «Komisch, dass Sie mich danach fragen …» Endstation für neun ist eine Reise, die durch sehr reale Hässlichkeit zur selbstgenügsamen Schönheit guter Polizeiarbeit führt. Das Buch lebt von der Spannung zwischen der pessimistischen Haltung seiner Autoren und dem unabdingbaren Optimismus des Genres. Als Martin Beck schließlich, auf der letzten Seite, lacht, tut er das, weil er erkennt, wie unnötig all das Leiden war. Wie unwirklich.

(Übersetzt von Dirk van Gunsteren)

Comma-then

Es gibt so viel zu lesen, und wir haben so wenig Zeit. Ich suche immer nach einem Grund, ein Buch wegzulegen und es nicht wieder in die Hand nehmen zu müssen. Einer der besten, den ein Schriftsteller mir liefern kann, ist die Verwendung des Wortes then als Konjunktion ohne nachfolgendes Subjekt.

She lit a Camel Light, then dragged deeply.

(Sie steckte sich eine Camel Light an, nahm dann einen tiefen Zug.)

He dims the lamp and opens the window, then pulls the body inside.

(Er dimmt das Licht und öffnet ein Fenster, zieht dann die Leiche herein.)

I walked to the door and opened it, then turned back to her.

(Ich ging zur Tür und öffnete sie, drehte mich dann zu ihr um.)

Wenn Sie solche Comma-then-Konstruktionen gleich auf den ersten Seiten Ihres Buches häufig verwenden, werde ich freiwillig nicht weiterlesen. Denn dann haben Sie mir schon ein paar wichtige Informationen über sich selbst als Schriftsteller gegeben, und keine davon ist gut.

Zunächst einmal haben Sie mir verraten, dass Sie beim Schreiben nicht auf die gesprochene Sprache hören. Kein Muttersprachler würde auch nur einen der genannten Sätze äußern, es sei denn, er säße in einem Creative-Writing-Kurs. Englischsprachige Menschen würden vielmehr Folgendes sagen:

She lit a Camel Light and took a deep drag.

(Sie steckte sich eine Camel Light an und nahm einen tiefen Zug.)

He dims the lamp, opens the window, pulls the body inside.

(Er dimmt das Licht, öffnet das Fenster, zieht die Leiche herein.)

He dims the lamp and opens the window. Then he pulls the body inside.

(Er dimmt das Licht und öffnet das Fenster. Dann zieht er die Leiche herein.)

He dims the lamp and opens the window and pulls the body inside.

(Er dimmt das Licht und öffnet das Fenster und zieht die Leiche herein.)

When I got to the door, I turned back to her.

(An der Tür drehte ich mich zu ihr um.)

I went to the door and opened it. Then I turned back to her.

(Ich ging zur Tür und öffnete sie. Dann drehte ich mich zu ihr um.)

Englischsprachige Menschen mögen das Wort and sehr gern. Und sehr gern stellen sie das Wort then an den Anfang von Hauptsätzen, wo es Adverb ist und niemals Konjunktion. Der Satz: «I sang a couple of songs, then Katie got up and sang a few herself» (Ich sang ein paar Lieder, dann stand Katie auf und sang auch welche), besteht eigentlich aus zwei Sätzen, die aus Gründen der Dynamik zu einem zusammengefasst worden sind. Legt man Muttersprachlern einen ähnlichen Satz vor, der statt zweier Subjekte nur eines enthält, werden sie sich immer gegen die Verwendung von then ohne vorangehendes and sperren. Sie sagen lieber: «I sang a couple of songs, and then I asked her to sing some of her own.» (Ich sang ein paar Lieder, und dann bat ich sie, auch welche zu singen.)

Natürlich gibt es im Schriftenglisch alle möglichen Gepflogenheiten, die im gesprochenen Englisch selten sind. Ich bin aber sicher, dass die Comma-then-Konstruktion keine sinnvolle Gepflogenheit ist — und dass es sich im Unterschied zum heldenhaften Semikolon oder zur ehrenwerten Partizipialkonstruktion um einen ärgerlichen, aus Faulheit geborenen Manierismus handelt — und zwar deswegen, weil sie fast ausschließlich in «literarischen» Texten der letzten paar Jahrzehnte zu finden ist. Dickens und die Brontë-Schwestern kamen sehr gut ohne Comma-then aus, genauso wie heutige Normalbürger in ihren E-Mails, Semesterarbeiten oder Geschäftsbriefen. Comma-then ist eine Krankheit, typisch für moderne Prosatexte mit vielen Tätigkeitsverben. Von ihr befallene Sätze tauchen fast immer in Begleitung von kurzen, deklaratorischen Sätzen mit and in der Mitte auf. Wenn Sie Comma-then verwenden, um and zu vermeiden, dann sagen Sie mir damit, dass Sie entweder finden, Comma-then klinge besser als and, oder aber selber merken, dass Ihre Sätze zu gleich klingen, und glauben, Sie könnten mich mit kosmetischen Änderungen darüber hinwegtäuschen.

Können Sie aber nicht. Wenn Sie zu viele ähnliche Sätze haben, müssen Sie sie eben umschreiben, ihre Länge und Struktur variieren und sie interessanter machen. (Wenn das schlicht nicht möglich scheint, ist vermutlich die Handlung, die Sie beschreiben, selbst nicht interessant.) Der einzige Unterschied zwischen den Sätzen

She finished her beer and then smiled at me.

und:

She finished her beer, then smiled at me.

oder, noch schlimmer:

She finished her beer then smiled at me.

ist dieser: Die beiden letzteren klingen wie aus der Literaturwerkstatt. Sie klingen unbedacht; und wenigstens diesen einen Sinn sollte Prosa haben: dass ihre Urheber nachdenken.

(Übersetzt von Bettina Abarbanell)

Authentisch, aber schauerlich

Über Frühlings Erwachen

von Frank Wedekind

Frank Wedekind hat sein Leben lang Gitarre gespielt. Hundert Jahre später wäre er mit ziemlicher Sicherheit ein Rockstar geworden; nur dass er in der Schweiz aufgewachsen ist, lässt daran einen kleinen Zweifel aufkommen. Ob man es für einen Segen oder einen Jammer hält, dass er stattdessen zum Autor von Frühlings Erwachen wurde, dem besten und beständigsten deutschen Theaterstück seiner Zeit, hängt sehr davon ab, was man an einem Kunstwerk schätzt. Die großen Stärken von Frühlings Erwachen — Komik, Charakterzeichnung, Sprache — sind für guten Rock weitgehend irrelevant. Andererseits aber verfügt das Stück, selbst wenn es kein Massenpublikum anzieht, über einige ureigene Stärken des Rock: jugendliche Energie, subversive Kraft, spürbare Authentizität. Ja man kann sagen, dass Frühlings Erwachen, Jahrzehnte nachdem Elvis und Jimi Hendrix und die Sex Pistols aufgehört haben, irgendwen zu schockieren, noch irritierender, noch anstößiger geworden ist als ein Jahrhundert zuvor. Was der Dramatiker an Breitenwirkung geopfert hat, gleicht er durch Langlebigkeit wieder aus.