Im Lauf der Jahre habe ich Was am Ende bleibt oft zur Hand genommen und in Passagen von vertrauter Schönheit Trost und Zuspruch gesucht. Jetzt aber, als ich es zur Vorbereitung auf diese Einleitung noch einmal ganz gelesen habe, überrascht mich, wie vieles darin ich noch immer neu und frisch finde. So habe ich bisher nie besonders auf die Anekdote geachtet, die Otto gegen Ende des Buchs über Cynthia Kornfeld und ihren Mann, den anarchistischen Künstler, erzählt: dass Cynthia Kornfelds mit Münzen versetzter Wackelpudding eine Verspottung der Bentwoods ist, die Essen und Privilegien und Zivilisation gleichsetzen; dass die Idee einer Schreibmaschine, die so umgebaut ist, dass sie nur Unsinn produziert, auf subtile Weise das Schlussbild des Romans vorwegnimmt, und dass diese Anekdote mit Nachdruck dazu auffordert, Was am Ende bleibt vor dem Hintergrund einer zeitgenössischen Kunstszene zu lesen, die darauf ausgerichtet ist, Ordnung und Bedeutung zu zerstören. Und dann Charlie Russel — habe ich ihn bisher je wirklich gesehen? Früher war er für mich eine Art Standardbösewicht, ein Abtrünniger, ein ungeheuerlicher Mensch. Jetzt dagegen erscheint er mir für die Geschichte ebenso unabdingbar wie die Katze. Er ist Ottos einziger Freund, sein Anruf löst die finale Krise aus, er zitiert den Satz von Thoreau, aus dem der Titel des Originals stammt, und er spricht ein Urteil über die Bentwoods — «stur und dumm und durch Selbstbeobachtung in Eintönigkeit versklavt, während ihnen die Grundlagen ihrer Privilegien unter dem Hintern weggezogen werden» — , das auf düstere Weise äußerst zutreffend erscheint.
Ich weiß allerdings nicht, ob ich überhaupt noch neue Einsichten möchte. Eine große Gefahr für langjährige Ehen ist die Tatsache, dass man das Objekt seiner Liebe furchtbar gut kennenlernt. Sophie und Otto leiden unter ihrer Kenntnis voneinander, und ich leide an meiner Kenntnis von Was am Ende bleibt. Meine Unterstreichungen und Randbemerkungen ufern aus. Bei meiner vorerst letzten Lektüre finde und markiere ich eine enorme Zahl wichtiger, bedeutsamer Bilder aus den Bereichen Ordnung und Chaos, Kindheit und Erwachsenenleben, die bislang unmarkiert geblieben waren. Und weil das Buch nicht dick ist und ich es inzwischen ein halbes Dutzend Mal gelesen habe, werde ich in absehbarer Zeit jeden Satz als wichtig und bedeutsam markiert haben. Diese außergewöhnliche Verdichtung verweist natürlich auf Paula Fox’ Genie. Es gibt kaum ein zufälliges, unwesentliches Wort in diesem Buch. Diese Strenge und thematische Dichte sind kein Zufall, und doch sind sie für einen Schriftsteller fast nicht zu erreichen, wenn er sich gleichzeitig so weit zurücknimmt, dass die Figuren zum Leben erwachen und der Roman geschrieben werden kann. Aber hier ist er, dieser Roman, und erhebt sich weit über alle anderen realistischen Romane, die seit dem Zweiten Weltkrieg geschrieben worden sind.
Ironischerweise geht mit dieser Fülle einher, dass ich, je besser ich die Bedeutung jedes einzelnen Satzes verstehe, umso weniger imstande bin zu formulieren, auf welche umfassende Bedeutung all die einzelnen Bedeutungen abzielen. Letztlich erzeugt das Übermaß an Bedeutung eine Art Horror. Dieses Übermaß ist, wie Melville in dem Kapitel «Das Weiß des Wals» in Moby-Dick ausführt, eng verwandt mit dem Fehlen jedweder, vom Wirbeln unzähliger kleiner Bedeutungen ausgelöschter Bedeutung. Nicht zufällig ist das auch ein Leitsymptom gewisser Geisteskrankheiten. Maniker, Schizophrene und Depressive sind oft überzeugt, dass absolut alles in ihrem Leben mit Bedeutung aufgeladen ist — und zwar derart, dass das Aufspüren, Entziffern und Organisieren dieser Bedeutungen zu einer überwältigenden Aufgabe wird, die das eigentliche Leben unmöglich macht. Im Fall von Otto und insbesondere Sophie (die von zwei Ärzten gedrängt wird, sich in psychiatrische Behandlung zu begeben) ist der Leser nicht der Einzige, der überwältigt ist. Die Bentwoods sind hochgebildete, durch und durch moderne Menschen. Es ist ihr Fluch, dass sie allzu gut gerüstet sind, sich selbst als literarische Texte voller sich überlappender Bedeutungen wahrzunehmen. Im Verlauf eines einzigen Winterwochenendes werden sie davon, dass die beiläufigsten Bemerkungen und winzigsten Vorfälle ihnen wie «Omen» erscheinen, erst bedrückt und schließlich überwältigt. Die enorme Spannung, die das Buch entwickelt, beruht weder lediglich auf Sophies Angst noch auf der Tatsache, dass Paula Fox Schritt für Schritt jeden Fluchtweg verbaut, oder der Gleichsetzung einer Ehekrise mit der Krise in einer beruflichen Partnerschaft und der Krise des urbanen amerikanischen Lebens. Noch mehr beruht sie, glaube ich, auf der sich langsam auftürmenden und dann niederdonnernden Woge von literarischer Bedeutung. Sophie wählt bewusst und ausdrücklich die Tollwut als Metapher für ihre emotionalen und politischen Nöte, während Otto in seinem letzten Satz, als er schließlich zusammenbricht und seine Verzweiflung hinausschreit, nicht umhinkann, sich (in postmoderner Weise) auf das Gespräch über Thoreau, das Sophie und er vorher geführt haben, zu beziehen und damit all die anderen Themen und Gespräche erneut anklingen zu lassen, die an diesem Wochenende aufgekommen sind, insbesondere Charlies Sticheleien zum Thema «Verzweiflung»: Wie viel schlimmer, als einfach verzweifelt zu sein, ist es für ihn, verzweifelt zu sein und dabei nicht nur zu wissen, welche überaus wichtigen Fragen im Hinblick auf Recht und Ordnung, auf Privilegien und Thoreau’sche Interpretation zu dieser persönlichen Verzweiflung beitragen, sondern auch zu erkennen, dass sein Zusammenbruch Charlie Russel recht geben wird, obwohl er, Otto, im Grunde seines Herzens doch weiß, dass Charlie unrecht hat. Wenn Sophie erklärt, sie wolle tollwütig sein, und Otto das Tintenfass an die Wand wirft, scheinen sie gegen eine unerträgliche, geradezu mörderische Empfindung, dass ihre Worte und Gedanken bedeutend seien, aufzubegehren. Kein Wunder, dass die letzten Handlungen des Buchs wortlos erfolgen, dass Sophie und Otto den Worten, die aus dem Telefonhörer dringen, nicht mehr zuhören und dass das mit Tinte geschriebene Etwas, dem sie sich langsam zuwenden, ein gewaltsam erzeugter, wortloser Fleck ist. Kaum hat Paula Fox den blendenden Erfolg erzielt, in den Nichtereignissen dieses Winterwochenendes eine Ordnung zu entdecken, da verwirft sie (mit einer perfekten Gebärde!) diese Ordnung auch schon wieder.
Was am Ende bleibt ist ein Roman, der gegen seine eigene Perfektion aufbegehrt. Die Fragen, die er stellt, sind unangenehm und radikal. Wozu noch Bedeutung — insbesondere literarische Bedeutung — in einer von Tollwut befallenen modernen Welt? Warum sich die Mühe machen, etwas zu erschaffen und zu erhalten, wenn die Zivilisation ebenso todbringend ist wie die Anarchie, gegen die sie ankämpft? Warum sollen wir nicht tollwütig sein? Warum sollen wir uns mit Büchern plagen? Ich lese diesen Roman zum sechsten oder siebten Mal und spüre eine sich aufbauende Woge aus Wut und Frustration angesichts seiner Rätsel, der Paradoxa der Zivilisation und der Unzulänglichkeit meines eigenen Verstandes, aber dann, aus dem Nichts heraus, verstehe ich das Ende und fühle, was Otto fühlt, als er das Tintenfass an die Wand wirft; und plötzlich bin ich wieder verliebt.