»War er eben nicht. Wie ich schon sagte: Wenn man einen will, muss man ihn engagieren. Und ein anderer Mensch muss so tun, als ob er der Weihnachtsmann sei. Von mir aus auch mit langem Bart und buschigen Brauen.«
»Ich habe noch nie einen Menschen mit so langem Bart gesehen«, kontert Beck. Kein schlechter Einwand. Ich denke einen Moment dar?ber nach. Aber nur einen kurzen. Dann f?llt mir wieder ein, dass ja auch der Weihnachtsmann vor dem Kaufhaus einen solchen Bart hatte.
»Also, der Typ vor dem Kaufhaus hat auch einen Bart. Und du hast selbst gesagt, dass das ein falscher Weihnachtsmann war. Wahrscheinlich hat der sich den Bart nur angeklebt. Wenn es um ihr nicht vorhandenes Fell geht, sind Menschen doch immer sehr einfallsreich.« In diesem Punkt bin nun wieder ich der Experte. Schliesslich lebe ich seit geraumer Zeit mit einer Frau zusammen, die Stunden damit zubringen kann, ihren Haaren auf dem Kopf eine andere Form zu geben. Das kann man bestimmt auch mit Haaren an anderen Stellen des K?rpers machen.
Beck guckt finster. Kein Wunder. Er hasst es, mal nicht im Recht zu sein.
»Und wie willst du das jetzt herausgefunden haben, Sp?rnase Superdackel?«
P?h, das perlt doch an mir ab.
»Luisa hat es mir erz?hlt. Sie sagt, der Weihnachtsmann sei nur eine Erfindung der Erwachsenen, damit die Kinder sch?n brav sind und sich auf Weihnachten freuen.«
»Luisa hat es direrz?hlt. Nat?rlich. Deine kleine Freundin.«
»Ja. Genauso war es.« Auf das Beck’sche Menschen-redennicht-mit-Tieren-Geunke gebe ich l?ngst nichts mehr.
»So, so. Und was hat sie noch erz?hlt, die liebe Kleine?«
»Na, dass Marc dieses Jahr vergessen hat, einen Weihnachtsmann zu engagieren. Und dass das aber gar nicht schlimm ist, weil sie dieses Mal Weihnachten endlich alle zusammen feiern: Marc. Und Carolin. Und Marcs Mutter und die Eltern von Carolin, also die Ersatz-Oma und der Ersatz-Opa.«
»Aha.«
»Glaubst du mir jetzt?«
»Vor allem glaube ich jetzt, dass du dann dieses Jahr etwas kennen lernen wirst, was ohnehin viel schlimmer ist als das Auftauchen des echten oder des falschen Weihnachtsmannes.«
»H??«
»Eine richtige, echte Familienfeier.«
F?NF
Sag mal, mag deine Mutter Fisch?«
»Nicht besonders, nein. Warum?«
»Ich denke ?ber die Vorspeise nach. Und ich ?berlege, ob Balik-Lachs mit Blinis und Cr?me fra?che gut w?re. Schmeckt super, und man kann es ganz einfach vorbereiten. Noch ein L?ffelchen Kaviar, fertig!«
Carolin sch?ttelt sich.
»Brrr, Fischeier, wie eklig. Nee, selbst wenn meine Mutter das m?gen sollte – mir wird schon beim Gedanken daran schlecht.«
Marc seufzt. Hm, ich finde auch, dass schon das Wort»Fischei« nicht besonders lecker klingt. Eben fischig. Da h?tte ich ja gleich eine Katze werden k?nnen, wenn ich so etwas gerne fressen w?rde. Wie das wohl aussieht? Ich kann kaum glauben, dass etwas so Grosses wie ein Ei in etwas so Kleines wie einen Fisch passt. Oder gibt es auch gr?ssere Exemplare als die Goldfische, die bei Luisas Oma im Glas herumschwimmen?
»Mann, ist das momentan schwierig mit dir. Ich hoffe, das gibt sich wieder und du bist irgendwann ganz die Alte.«
Carolin lacht.
»Keine Sorge – noch ein halbes Jahr, dann ist alles ?berstanden, und ich kann wieder essen, was ich will.«
WUFF! Wenn ich das gerade richtig verstanden habe, sind das die tollsten Nachrichten seit langem. Ach was, die sch?nsten
Nachrichten ?berhaupt! Sensationelle Nachrichten! Caro ist zwar krank, aber nicht sterbenskrank, sondern in einem halben Jahr wieder gesund! Also hatte Beck tats?chlich Recht, und ich habe da etwas in den falschen Hals bekommen. Eigentlich hasse ich es, dass dieser fette Kater meistrichtigliegt, aber in diesem Fall bin ich begeistert. Ich w?rde jubeln und singen, wenn ich es denn k?nnte. So belle ich nur kurz und laut.
»Siehst du, Herkules freut sich auch schon darauf, wieder mit der alten Carolin zusammenzuwohnen«, interpretiert Marc meinen Gef?hlsausbruch halbwegs richtig.
»Das glaube ich. Als ich ihm neulich eine Dose aufgemacht habe, musste ich mich sogar ?bergeben. Sch?n war das nicht.«
»Okay, Dosenfutter scheidet als Vorspeise f?r unser Weihnachtsmen? demnach auch aus. Neuer Vorschlag: Gef?llte sizilianische Tomaten. Mit Kapern und schwarzen Oliven. Die Zutaten k?nnte ich noch ganz schnell morgen fr?h besorgen.« Marc schaut Carolin erwartungsvoll an.
Die sch?ttelt schon wieder den Kopf.
»Marc, es gibt einen ganz traditionellen G?nsebraten, dessen Hauptdarsteller Gustav Gans schon seit zwei Tagen auf unserem Balkon lagert. Da passt eine sommerliche, mediterrane Vorspeise doch gar nicht. Was ist denn mit einer Rinderkraftbr?he vorweg oder Feldsalat mit Speck? Das kannst du auch alles morgen besorgen.«
»Langweilig ist das. Du weisst doch, wie gerne ich koche. Und gerade, wenn es das erste gemeinsame Weihnachten mit deinen Eltern und meiner Mutter ist, darf es ruhig etwas Besonderes sein.«
»Tja, und wahrscheinlich bist du nachher so gestresst, dass alles in die Hose geht, und dann war es auch das letzte
gemeinsame Weihnachten. Marc, bitte mach nicht so eine Welle, sondern einfach eine Dose auf. Ich finde gerade alles anstrengend genug!« Carolin schaut sehr leidend, Marc legt den Arm um sie und zieht sie zu sich heran. Noch vor wenigen Minuten h?tte mir das Angst gemacht, aber jetzt bin ich guter Dinge. Carolin wird wieder gesund, das ist alles, was f?r mich gerade z?hlt. Meinetwegen soll sie sich ein bisschen schonen, der Rest kommt schon von selbst.
»Mein armes Spatzl. Ich verspreche dir, du musst dich um nichts k?mmern. Du kannst die ganze Zeit die F?sse hochlegen, dich schonen und dich auf ein tolles Weihnachten freuen. Daf?r werde ich sorgen, Ehrenwort!«
»Ich weiss nicht. Ich bin mir mittlerweile nicht mehr sicher, ob das mit dem grossen Elterntreffen so eine gute Idee war.«
»Doch, war es bestimmt. Du wirst sehen, es wird ein tolles Fest.«
Die beiden k?ssen sich, und ich beschliesse, dass ich mir nun auch ein paar Streicheleinheiten verdient habe. Ich schiebe meine Nase zwischen Marc und Caro.
»Herkules, du sollst doch nicht betteln!«
Wieso betteln? Ich will kuscheln, und zwar pronto! Okay, wir befinden uns in der K?che, und tats?chlich hatte sich Marc gerade ein Brot geschmiert, aber eigentlich bettle ich nur bei Menschen, die diesbez?glich ein gutes Herz haben. Dazu z?hlt Marc eindeutig nicht, auch wenn er ansonsten ein nettes Herrchen ist, der alte Schlankheitsfanatiker!
»Nun sei doch nicht so streng mit ihm und gib ihm ein Eckchen ab. Du weisst schon, Fest der Liebe und so!«
Marc rollt mit den Augen, l?sst sich aber erweichen.
»Na gut. Weil Weihnachten ist« Dann h?lt er mir das St?ckchen vor die Nase. Lecker! Schinken! Schnell schnappe
ich zu, nicht, dass er sich das noch anders ?berlegt. Irgendetwas muss doch dran sein an der Liebe in diesen Tagen, wenn Marc alle Erziehungsprinzipien mich betreffend ?ber Bord wirft.
»Aber jetzt mal im Ernst: Ich gelobe, dass ich mich alleine um ein sch?nes Dreigangmen? k?mmern werde, dass Gustav eine sehr knusprige Gans sein wird – und dass ich vorher meine Mutter einnorde, damit sie nicht allen auf den Keks geht.«
Carolin nickt.
»Ja. Der letzte Punkt – nimm’s mir nicht ?bel – scheint mir der wichtigste zu sein.«
Marc lacht.
»Das nehme ich dir nicht ?bel, Spatzl. Ich kenne meine Mutter. Sie meint es immer gut, aber das Gegenteil von gut ist eben gut gemeint.«
Dieser Spruch k?nnte nun wieder von Herrn Beck stammen. Ein bisschen b?sartig. Etwas gut zu meinen ist doch sch?n! Die meisten Menschen bringen meiner Meinung nach viel zu wenig guten Willen mit. St?ndig m?keln sie an allem und jedem herum, anstatt ihr Leben, das sie schliesslich selbst in der Hand haben, zugeniessen. Mecker, mecker, mecker. Genau wie jetzt: Ich bin mir sicher, hier leichte Kritik an Marcs Mutter herauszuh?ren. Dabei ist Hedwig Wagner eine herzensgute Frau, und im Gegensatz zu ihrem Sohn hat sie ein sehr entspanntes Verh?ltnis zur F?tterung von Haustieren. Im letzten Sommer hat sieMarc eine ganze Zeitlang in der Praxis geholfen. Danach hatte ich einen kleinen Tick zugenommen. Oder, wie Herr Beck es ausdr?ckte: Ich sah aus wie eine Wurst auf vier Beinen. Stichwort: b?sartig. Also, wenn Oma Hedwig kommt, wird Weihnachten auch f?r mich als Hund eine kulinarische Offenbarung!?ber die