»Also, wie Sie das alles machen, Frau Wagner – toll ! Ihre Familie ist doch bestimmt froh, so eine patente, tatkr?ftige Oma zu haben, die sich um alles k?mmert.«
Ich w?rde sagen: Es kommt darauf an. Aber den Hund fragt wie immer keiner.
DREIUNDZWANZIG
Es n?tzt der sch?nste Plan nichts, wenn die Menschen einfach nicht das machen, was sie sollen. Oder zumindest das, was sie sonst immer machen.Normalerweise nimmt Hedwig die Karre mit ins Haus, wenn wir von einem Ausflug oder Spaziergang kommen. Und drinnen r?umt sie alles aus der Karre heraus, was wir unterwegs dabeihatten, und nimmt es mit in die Wohnung. Auf diese Weise h?tte eigentlich auch der Korb mit dem zerkn?llten Zettel auf direktem Weg in die Wohnung gelangen m?ssen. Wie gesagt:h?tte.
Heute allerdings l?sst sie die Karre einfach im Vorgarten neben dem Hauseingang stehen und tr?gt Henri, der mittlerweile eingeschlafen ist, nach oben. Ich muss ihr wohl oder ?bel folgen, Hedwig kann es gar nicht ausstehen, wenn ich allein draussen bleibe. Sie sagt, ein herumlungernder Hund vor einer Tierarztpraxis geh?re sich nicht. Wuff ! Ich und herumlungern. So ein Quatsch ! Ich begr?sse h?chstens freundlich Marcs Patienten, wenn sie uns besuchen. Wenn sie ein gut gelauntes, gesundes Kerlchen wie mich sehen, dann wissen sie doch gleich, dass Marc ein guter Tierarzt ist. Im Vorgarten sitzen ist demnacheher eine vertrauensbildende Massnahme.
Wie dem auch sei– ich darf nicht draussen bleiben, und so komme ich nat?rlich auch nicht ungehindert an den Zettel im Korb. So ein Mist ! Was mache ich denn jetzt ? Vielleicht ein bisschen an der T?r kratzen ? Aber als ich damit anfange, bekomme ich sofort richtig Mecker von Hedwig.
»Aus, Herkules ! B?ser Hund. Ich war gerade erst mit dir spazieren. Ins K?rbchen !«
Ich tue wie befohlen. Vielleicht muss ich einfach ein bisschen abwarten und kann dann auf schwache Blase machen ? Nein. Auch bei meinem n?chsten Versuch l?sst sich Hedwig nicht erweichen.
»Sag mal, was ist denn heute bloss los mit dir ? Ich muss mit Luisa Mathe ?ben, die schreibt morgen eine Arbeit. Also gib Ruhe.«
P?h !Gib Ruhe– wie unfreundlich ! Ich beschliesse, einfach direkt an der T?r liegen zu bleiben. Irgendwann wird sie irgendwer schon ?ffnen. Und dann wird mich nichts und niemand daran hindern, den Zettel zu schnappen und Carolin vor der drohenden Party zu warnen.
Endlich h?re ich Schritte auf dem Flur. Die T?r geht auf – leider so schwungvoll, dass ich einen ordentlichen Stoss in die Rippen bekomme. Jaul !
»Mensch, Herkules, was machst du denn da ? Spielst du Fussmatte ?«
Es ist mein Frauchen. Hurra ! Ich stelle das Jaulen ein und wedele mit dem Schwanz. Hedwig kommt aus der K?che.
»Oh, bist du schon da ?«
»Ja, ich habe ein bisschen fr?her Feierabend gemacht. Ich will noch mit Nina einkaufen gehen. Oder besser gesagt: shoppen. Sie steht schon unten und wartet, ich wollte nur eben meine Kreditkarte holen.«
»Tu mir einen Gefallen und nimm den Hund mit. Der macht mich gerade wahnsinnig. Kratzt die ganze Zeit an der T?r und will spazieren gehen. Dabei muss ich mit Luisa lernen. Ich wollte die Zeit nutzen, solange Henri noch schl?ft, denn Luisa schreibt morgen eine Klassenarbeit.«
Caro z?gert.
»Hm, das passt mir eigentlich nicht so …«
»Ach, nun komm. Ich hatte ihn schon den ganzen Tag. Was wollt ihr denn kaufen ? Lebensmittel ?«
»Nee, keine Lebensmittel. Aber mehr wird nicht verraten.«
»Na, wunderbar ! Dann k?nnt ihr ihn mitnehmen, da st?rt er doch nicht«, sagt Hedwig mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldet. Wenn es um Luisas Leistungen in der Schule geht, kennt Hedwig keinen Spass.
Caro seufzt.
»Na gut, Herkules. Dann komm mit.«
Und bevor sie mich noch anleinen kann, flitze ich schon an ihr vorbei in den Flur und die Treppe hinunter. So, Hedwig, gleich bist du geliefert !
Die Haust?r steht offen, draussen wartet Nina und unterh?lt sich mit Frau Warnke, die gerade eine kleine Zigarettenpause macht. Ich steuere zielstrebig auf die Kinderkarre zu und w?hle mit meiner Schnauze in dem Korb. Hab ihn, den Zettel ! Jetzt brauche ich ihn nur noch Carolin zu geben, dann ist meine Mission erf?llt.
»So, bin ausger?stet !« Caro ist mittlerweile auch vor der T?r angekommen. »Wir m?ssen leider Herkules mitnehmen. Hedwig ist irgendwie genervt von ihm.«
Nina verzieht den Mund.
»Och, ich dachte, wir machen jetzt zu zweit Hamburgs Edelboutiquen unsicher. Ob ein Dackel am Neuen Wall so gern gesehen wird ? Die machen doch eher in Haute Couture als in Hundefutter.«
»Mach dir keine Sorgen um unser Shoppingerlebnis.« Caro klopft Nina beruhigend auf die Schulter. »Ich glaube, notfalls kann ich die mit einer gut gedeckten Kreditkarte gn?dig stimmen.«
Ja, bestimmt. Aber Shopping ist doch nicht das Wichtigste, Carolin ! Guck doch mal, was ich in der Schnauze habe ! Ich springe an ihr hoch und versuche, den Papierball dabei m?glichst auffallend zu pr?sentieren.
»Was hast du denn da, Herkules ?«
Carolin greift nach dem Papier. Ah, es funktioniert.
»Weiss nicht, das hat er eben aus der Kinderkarre rausgeholt«, erz?hlt ihr Frau Warnke. »Vielleicht ’ne olle Windel oder dreckige Feuchtt?cher ?«
»Igitt ! Es ist auch ganz nass ! Wie eklig, Herkules ! Was soll das denn ?«
»Geben Sie ruhig her, ich schmeisse es weg«, bietet Frau Warnke an, »ich muss mir nach dem Rauchen sowieso die H?nde waschen.«
NEIN ! NICHT ! Nicht wegschmeissen ! Lesen ! Ich fange an zu bellen und zu hecheln, aber ich kann nicht verhindern, dass das Unheil seinen Lauf nimmt: Carolin bedankt sich artig und dr?ckt Frau Warnke das Kn?uel in die Hand, die dreht sich um und geht wieder rein. VERFLUCHT ! Mein sch?ner Plan !
»Komm, Herkules, wir m?ssen los. Aber benimm dich, wenn du schon mitdarfst ! Das ist eine grosse Ehre. Und eine Riesenausnahme. Normalerweise sind M?nner bei der folgenden Aktion verboten !«
Danke, Frauchen. Ich f?hl mich gerade auch richtig gut.
»15. Juni, sagen Sie ? Dann sind Sie aber wirklich sehr fr?h dran. Aber das macht nat?rlich nichts. Vorfreude ist die sch?nste Freude, und es ist auch nicht verkehrt, sich verschiedene Kollektionen anzusehen. Wir bekommen ja alle drei Monate neue Ware. Immer topaktuell. Mailand und Paris. Wir f?hren beides.«
Wir stehen in einem Laden voller Baisers. So jedenfalls hat Nina diese Sorte Kleid doch mal genannt: Baiser. Sie sind fast alle lang und fast alle weiss – wobei sich Caro gerade ein Kleid anschaut, das kurz ist, aber auch weiss. Sie h?ngt das Keid wieder an den St?nder und dreht sich zu der ?lteren, ziemlich stark angemalten Dame um, die hier die Verk?uferin zu sein scheint.
»Nein, nicht 15. Juni n?chstes Jahr. Ich meine 15. Juni dieses Jahr. Ich brauche ein Brautkleid f?r den 15. Juni dieses Jahres.«
Dabei l?chelt Caro sehr sanft. Die Verk?uferin schnappt nach Luft und findet im ersten Moment keine Worte. Nina, die schr?g hinter ihr steht, scheint krampfhaft ein Kichern zu unterdr?cken, jedenfalls zittert sie am ganzen K?rper. Kurz darauf hat sich die ?ltere Dame wieder gefangen.
»Dieses Jahr ? 15. Juni dieses Jahres ? Aber, aber … das ist in f?nf Tagen ! Diesen Samstag. Heute haben wir Montag !«
Caro nickt, immer noch sehr freundlich l?chelnd.
»Ja, ich weiss. Und morgen haben wir schon Dienstag. Da suche ich mir wohl besser schnell etwas aus, nicht wahr ?«
»?h, ja, dann schaue ich jetzt mal nach Kleidern in Ihrer Konfektionsgr?sse. F?r eine Bestellung beim Couturier bleibt definitiv keine Zeit mehr. 36/38, nehme ich an ?«
Caro nickt. Die Verk?uferin verschwindet mit hektischen Schritten zwischen den Kleiderst?ndern. Couturi-wer ? Ein seltsamer Laden hier.
Nina kichert.
»Na, der haste aber den Schock ihres Lebens verpasst. Ich dachte schon, ich m?sste meine verstaubten Kenntnisse ?ber die Herzdruckmassage wieder ausgraben.«