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»Ach, Joseph, ich kann nicht mehr. Nun sind wir schon so lange gelaufen, ich brauche dringend ein Lager, um mich auszuruhen. Bald kommt das Kind, und immer noch wissen wir nicht, wo wir bleiben k?nnen.«

Na ja, m?chte ich mich einmischen,das ist ja nicht so schlimm. Immerhin k?nnt ihr Menschen doch lesen und schreiben. Sucht euch ein nettes Pl?tzchen und dann schreibt dem Kind auf einen Zettel, wo es euch finden kann. So w?rde ich es machen, ehe ich noch stundenlang auf das G?r warten w?rde. Also, ich meine, wenn ich schreiben k?nnte.

»Maria, mein Weib, halte durch. Ich frage den Wirt dieser Herberge, ob er nicht doch ein Zimmer f?r uns hat.«

Aha. Herberge. Scheint so eine Art Hotel zu sein. Im Urlaub haben wir dort auch schon mal ein Zimmer gemietet und dann darin gewohnt. Der Junge – offensichtlich Joseph – l?sst Luisas Hand los und geht zu einem T?rrahmen, der quasi im Nichts neben ihm steht. Er macht eine Klopfgeste, ein anderer Junge steht daraufhin von einem Stuhl auf und geht zu ihm. Das muss der Wirt des Hotels sein.

»Heda, was wollt ihr?«

Freundlich klingt das nicht gerade. Erstaunlich. Nach den Erfahrungen, die ich sowohl in unserem Hotel als auch beim stundenlangen Warten auf Carolin in Restaurants und Caf?s gesammelt habe, sind die Menschen an solchen Orten sonst immer sehr nett und bem?ht, sich um alle W?nsche zu k?mmern. Na ja, vielleicht ist der Wirt heute mit dem falschen Bein aufgestanden. Joseph l?sst sich dadurch nicht beirren.

»Wir brauchen ein Zimmer. Meine Frau erwartet ein Kind und muss sich ausruhen.«

Der andere sch?ttelt unwirsch den Kopf.

»Nix da. Ich habe keinen Platz – schon gar nicht f?r ein schreiendes Baby, das mir alle anderen G?ste st?rt.«

Ich weiss zwar nicht, woher der Wirt weiss, dass es sich bei dem erwarteten Kind um ein Baby handelt – aber falls das wirklich der Fall ist, kann ich ihn verstehen. Ich pers?nlich bin kein grosser Babyfreund. So winzig diese Menschenkinder auch sind: Sie k?nnen wirklich unglaublich laut sein. Wenn die losbr?llen, fallen mir die Dackel?hrchen ab. Und sie br?llen oft, so viel steht fest. Eigentlich bei jeder Gelegenheit. Mit einem Baby zusammenzuleben stelle ich mir ganz furchtbar vor! Nein, ich bin echt froh, dass Luisa schon so gross ist.

»Bitte, Herr, lasst euch erweichen! Meine Frau kann ihr Kind doch nicht auf der Strasse bekommen! Sie ist hochschwanger, es kann jederzeit losgehen. Habt Mitleid, ich bitte euch!«

Ach so! Das Kind muss erst noch geboren werden, jetzt verstehe ich. Dennschwanger ist das Gleiche wietr?chtig, so viel habe ich auch schon mitbekommen. Jetzt erschliesst sich mir auch der Sinn des Kissens: Es ist Teil der Verkleidung. So sieht das wohl aus, wenn eine Frau tr?chtig ist. Klar, so ein Baby nimmt auch ganz sch?n viel Platz im Bauch weg. Menschenfrauen scheinen in dieser Situation besonders sch?tzenswert zu sein, jedenfalls legt der Wirt nun die Stirn in Falten, was bestimmt bedeutet, dass er sich die Sache noch einmal anders ?berlegt. Schliesslich zeigt er in die andere Ecke des Raumes, in der etwas Stroh auf dem Boden liegt.

»Da dr?ben ist der Stall, da kannst du mit deinem Weib schlafen. Aber seht bloss zu, dass das Kind niemanden st?rt. Ich kann keine Scherereien brauchen.«

Joseph nickt, dann holt er Luisa-Maria, und die beiden setzen sich ins Stroh. In der gesamten Kirche wird es auf einmal stockdunkel, Joseph und Maria sind nicht mehr zu erkennen. Wenig sp?ter geht ?ber der Ecke mit dem Stroh pl?tzlich ein

helles Licht auf. Im Schein dieser riesigen Lampe kann ich erkennen, dass Luisa nun eine Puppe auf dem Arm h?lt, die sie hin und her wiegt. Aha, das Baby ist also da. Wenigstens ist es friedlich.

Wie aus dem Nichts erscheint auf einmal der kleine Handtuch-Junge von eben wieder. Allerdings hat er nun kein Handtuch mehr auf dem Kopf, stattdessen tr?gt er zwei grosse, weisse Fl?gel auf dem R?cken. Was soll das nun wieder werden? Mit ernster Miene schaut der Junge in die Runde, dann f?ngt er langsam an zu sprechen.

»In jener Gegend lagerten Hirten auf freiem Feld und hielten Nachtwache bei ihrer Herde. Da trat der Engel des Herrn zu ihnen, und der Glanz des Herrn umstrahlte sie. Sie f?rchteten sich sehr, der Engel aber sagte zu ihnen: F?rchtet euch nicht, denn ich verk?nde euch eine grosse Freude, die demganzen Volk zuteilwerden solclass="underline" Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Messias, der Herr. Und das soll euch als Zeichen dienen: Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt. Und pl?tzlich war bei dem Engel ein grosses himmlisches Heer, das Gott lobte und sprach: Ehre sei Gott in der H?he und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.«

H?? Messias? Himmlische Heere? Gott in der H?he? Bevor ich aber noch dar?ber nachdenken kann, was in aller Welt der Kerl mit den Fl?geln damit sagen will, setzt ein ohrenbet?ubender L?rm ein. Wahrscheinlich handelt es sich dabei mal wieder um menschliche Musik, aber diesmal wummert sie so stark und tief, dass es mir fast den Magen umdreht. Menno, warum m?gt ihr Menschen es immer so laut? Und als sei das Wummern noch nicht schrecklich genug, tauchen neben dem gefl?gelten Freund auf einmal ganz viele Kinder mit Fl?geln auf, die lauthals singen. Ach was,kreischen. Grausam. Von»Friede auf Erden« kann hier ?berhaupt nicht die Rede

sein. Wer hat sich das bloss ausgedacht? Als dann auch noch Glockengel?ut einsetzt, beschliesse ich, die Biege zu machen und draussen zu warten. Ist ja nicht auszuhalten hier!

»Du warst eine grossartige Maria! ?berhaupt habe ich noch nie so ein sch?nes Krippenspiel gesehen, echt Weltklasse!«

Marc ist sichtlich stolz auf seine Tochter, er strahlt?ber das ganze Gesicht. Mittlerweile sind wir wieder in unserem Wohnzimmer angelandet – endlich Ruhe und Entspannung! Carolin schenkt den Erwachsenen ein GlasChampagner ein – offenbar ein besonders teures Getr?nk, denn es wird mit einigemOh undAh in Empfang genommen. In trauter Harmonie stehen nun alle um den kleinen Weihnachtsbaum und prosten sich zu.

»Ja, mein Schatz«, wendet sich nun auch Oma Wagner an Luisa, »das hast du wirklich ganz toll gemacht. Ich w?rde mich auch nicht wundern, wenn es dem Weihnachtsmann sehr gefallen h?tte. Du weisst ja – der kann alle Kinder sehen, ?berall auf der Welt! Er schaut durch die Wolken und macht sich Notizen.«

Wenn es ihn denn?berhaupt gibt, erg?nze ich in Gedanken und wundere mich, dass Luisa hier so gar nichts von ihren neuen Erkenntnissen zum Thema Weihnachtsmann preisgibt. Stattdessen l?chelt sie nur und bedankt sich artig f?r Omas Kompliment. Wahrscheinlich will Luisa nur nett sein. Sie ist eben ein sehr liebes Kind.

»Aber die Kost?me waren auch toll, Oma. Und die hat fast alle Carolin gemacht.«

»Ach, ehrlich?« Hedwig dreht sich erstaunt zu Carolin um. »Ich wusste gar nicht, dass du so eine k?nstlerische Begabung bist.«

Carolin grinst.

»Na h?r mal, ichbin K?nstlerin. Jede Geige, die ich baue, ist ein kleines Kunstwerk.«

Hedwig guckt skeptisch.

»So? Das ist doch wohl eher ein Handwerk. Nat?rlich, nicht wie Maurer oder Lackierer, aber …«

Bevor sie noch weiter ausf?hren kann, was selbst in meinen Dackelohren nicht so richtig wohlmeinend klingt, klopft es an der Wohnungst?r. Und zwar richtig laut: Wumm! Wumm! Wumm! Wie seltsam, wir haben doch eine Klingel. Und schon wieder: Wumm! Wumm! WUMM!

Marc steht vom Sofa auf.

»Nanu? Wer kann das denn sein?«

Carolins Mutter hat einen Verdacht:»Vielleicht der Weihnachtsmann?«

Genau! So wird es sein! Ich bin wie elektrisiert und merke, dass sich meine Haare von der Schwanzspitze bis in den Nacken aufzurichten beginnen. Nun wird sich herausstellen, ob der Weihnachtsmann nur Lug und Trug ist – oder ob Beck Recht hat und es ihn wirklich gibt. Und wer wird die Wahrheit ans Licht bringen? Richtig.Ich, Carl-Leopold von Eschersbach. Na gut, von mir aus auchich, Herkules.

Ich renne hinter Marc her, als er zur T?r geht, um sie zu ?ffnen.

»Hoppla, Herkules! Fast w?re ich ?ber dich gestolpert! Ich hoffe, du willst nicht gerade jetzt Gassi gehen, es w?re ein ?usserst unpassender Moment«, schimpft er mit mir.

Ich ignoriere ihn und klebe mich geradezu an sein Bein. Als die T?r einen Spaltbreit ge?ffnet ist, zw?nge ich mich nach draussen. JAAA! Bingo! Der Weihnachtsmann ist da! Unser Besucher ist wirklich unverwechselbar. In seinen Stiefeln, dem langen Mantel, dem buschigen Bart und der M?tze auf dem Kopf erkenne ich ihn sofort. In der einen Hand h?lt