er einen sehr grossen Sack, in der anderen Hand ein dickes Buch. Ich schaue mir den Gesellen genau an: Schlank ist er, viel schlanker als der Weihnachtsmann vor dem Kaufhaus, der ja bekanntlich der falsche ist. Und irgendwie … riecht er vertraut. Hm. Woher kenne ich diesen Geruch?
»Hallo Weihnachtsmann!«, begr?sst ihn Marc. »Komm doch herein. Hast du denn auch Knecht Ruprecht mitgebracht?«
»Hallo, lieber Marc«, antwortet der Weihnachtsmann mit tiefer Stimme. »Nein, Knecht Ruprecht ist leider krank. Aber weil ich geh?rt habe, dass hier ein besonders braves Kind wohnt, habe ich mich trotzdem auf den Weg gemacht.«
Marc?ffnet die T?r jetzt ganz weit.
»So ist es. Folge mir ins Wohnzimmer, dann zeige ich dir das liebe Kind.«
Caro, Hedwig, Klaus und Elke stehen im Flur, auch sie begr?ssen den Weihnachtsmann. Der l?sst sich dadurch aber nicht aufhalten, sondern marschiert schnurstracks in Richtung Wohnzimmer. Komisch, woher weiss der denn, wo das Zimmer liegt? Ist es tats?chlich so, dass der echte Weihnachtsmann alle Kinder durch die Wolken beobachtet? Dann kennt er nat?rlich auch unsere Wohnung.
Im Wohnzimmer angekommen stellt er den Sack neben den Weihnachtsbaum und schaut sich um.
»So, wo ist denn die Luisa?«
»Hier!«, kommt es etwas z?gerlich vom Sofa. Auch Luisa scheint sich momentan nicht mehr ganz so sicher zu sein, dass es den Weihnachtsmann nicht gibt und dieser Auftritt hier ganz grosser Schmu ist.
»Sehr sch?n, Luisa. Dann komm doch mal her!«
W?hrend Luisa sich aufrappelt und in seine Richtung geht, schnuppere ich m?glichst unauff?llig an seinem Mantel. Wer
ist das? Ich habe ihn schon mal gerochen, ich kenne ihn – da bin ich mir fast sicher. Bloss wo? Und wenn ich ihn kenne, dann kann es jedenfalls nicht der Weihnachtsmann sein, der mit seinen Rentieren hinter den Wolken am Nordpol wohnt. Denn ohne zu wissen, wo das genau ist, bin ich mir ziemlich sicher, dass mich mein t?glicher Spaziergang dort noch nie hingef?hrt hat. Wer ist das also, wer?
Der Weihnachtsmann schl?gt sein Buch auf.
»Also, Luisa. Hier steht, dass du deinem Vater immer sehr viel Freude machst, weil du so gut in der Schule bist. Und der Carolin auch. Stimmt das denn?«
Luisa nickt sch?chtern.
»Und dann steht hier noch, dass du auch gerne im Haushalt hilfst, wenn man dich darum bittet. Das ist sch?n. Aber weisst du, was hier noch steht?«
Luisa sch?ttelt den Kopf.
»Hier steht, dass dein Zimmer oft ziemlich unordentlich ist.«
»Oh!«
»Ja, Luisa, das muss besser werden im neuen Jahr. Versprichst du mir das?«
Luisa nickt.
»Ja, lieber Weihnachtsmann.«
»Und dann habe ich eben erfahren, dass du eine ganz tolle Maria beim Krippenspiel in der Kirche warst. Das finde ich nat?rlich besonders gut, denn das Christuskind arbeitet ja mit mir zusammen.«
Marc und Carolin schmunzeln, Luisa guckt angestrengt und unsicher. Richtig gl?cklich sieht sie nicht dabei aus, und das gef?llt mir gar nicht! Bestimmt ?berlegt Luisa, ob Pauli doch Unrecht hatte und hier der echte Weihnachtsmann vor ihr steht. Und in diesem Punkt werde ich meiner kleinen
Freundin helfen. Ich beschliesse, dass es an der Zeit ist, dies ein f?r alleMal herauszufinden.
Der Mantel des Weihnachtsmannes ist ziemlich lang, bestimmt bekomme ich ein St?ck davon zu fassen, wenn ich mich genug recke. Ich pirsche mich also an ihn heran, strecke meine Nase so weit wie m?glich nach oben – und packe zu. Schnapp! Schon habe ich den Saum des Mantels im Maul und fange an, daran zu ziehen. Erst merkt der Weihnachtsmann nichts, aber dann mache ich einen richtigen Satz nach hinten und bringe ihn dabei ins Wanken.
»Hey, Herkules, spinnst du jetzt v?llig?«
Wuff! Woher kennt der meinen Namen? Und warum klingt die Stimme pl?tzlich so anders, l?ngst nicht mehr so tief? Hier ist doch ein Betrug im Gange, ich bin mir mittlerweile ganz sicher. Ich packe fester zu und zerre, so doll ich kann. Rrrratsch – ich halte einen Stofffetzen im Maul und schaue erstaunt nach oben. Tats?chlich, dem Weihnachtsmann fehlt ein grosser Teil seines Mantels, und darunter kommt ganz normale menschliche Kleidung zum Vorschein. Eine Hose und ein Pullover. Und noch etwas anderes kommt ans Tageslicht, denn jetzt nimmt der Weihnachtsmann seine M?tze ab – und den Bart gleich mit. Es ist Alex, Ninas Freund!
»Mensch, Herkules! Ich w?rde sagen, du hast den Top Act geschrottet!«
Alex klingt sehr vorwurfsvoll, und obwohl ich nicht weiss, was einTop Act ist, bin ich mir nicht mehr so sicher, dass es eine gute Idee war, den Weihnachtsmann gerade heute zu enttarnen. Ein Blick in die entt?uschten Gesichter von Caro und Marc best?tigt diese Einsch?tzung. Marc murmelt etwas, das wieso eine M?he gemacht f?r das Kind, und dann dieser bl?de K?ter … klingt. Carolin sch?ttelt ununterbrochen den Kopf, so als k?nne sie einfach nicht fassen, dassihr Herkules so einen
Bl?dsinn macht. Auch Hedwig, Elke und Klaus schauen betreten zwischen mir und Alex hin und her. Wuff, schlechte Idee. Mist! Ich habe das Fest zerst?rt. Mein erstes richtiges Familienfest – und ich hab’s versaut.
Mit gesenktem Kopf trotte ich aus dem Zimmer und rolle mich in meinem K?rbchen, das Marc heute Morgen in den Flur gestellt hat, zusammen. Am besten bleibe ich hier den ganzen Abend liegen, vielleicht vergessen dann alle, dass ich es war, der den Weihnachtsmann enttarnt hat. Wobei – unwahrscheinlich. Die meisten Menschen haben leider ein ausgezeichnetes Ged?chtnis. Das ist wahrscheinlich auch eine Trainingsfrage, und weil sich Menschen sehr gerne mit Dingen besch?ftigen, die l?ngst abgeschlossen sind und in der Vergangenheit liegen, haben sie nat?rlich unglaubliche ?bung darin. Nein, sie werden meinen kleinen Auftritt so schnell nicht vergessen. Eher wird mir das noch die n?chsten f?nf Weihnachten vorgehalten werden, wenn ich ?berhaupt noch einmal mitmachen darf. Es ist zum Heulen!
»Armer Herkules! Du wolltest uns nur vor dem fremden Mann besch?tzen, nicht?« Luisa ist mir gefolgt und kniet sich neben mein K?rbchen. »Du bist eben ein tapferer Jagdhund! Komm doch wieder rein, es ist bestimmt keiner mehr sauer auf dich. Ich habe Papa und Carolin jetzt erz?hlt, dass ich garnicht mehr an den Weihnachtsmann glaube. Ich habe eben doch nur so getan, um Papa eine Freude zu machen. Und Alex hab ich sowieso gleich erkannt. Also alles gut, S?sser! Und ausserdem habe ich auch ein Geschenk f?r dich, das m?chtest du doch bestimmt haben, oder?«
Ach, Luisa, du bist wirklich das liebste Menschenkind, das ich kenne! Eine wahre Freundin! Ich sch?ttle mich kurz, dann richte ich mich auf und h?pfe aus meinem K?rbchen. Zur?ck im Wohnzimmer scheint die Stimmung tats?chlich nicht
schlecht zu sein. Alex hat seine Verkleidung komplett abgelegt und sitzt mit Caro auf dem Sofa, auch er h?lt mittlerweile ein Glas Champagner in der Hand.Als er mich sieht, steht er auf.
»Auweia! Da kommt der Killer-Dackel! Da muss ich mich ja wohl in Sicherheit bringen.«
Er lacht fr?hlich, und auch die anderen beginnen zu lachen. Uff, dann ist ja alles wieder gut. Luisa kommt zu mir und h?lt mir etwas Grosses, Braunes unter die Nase: einen gigantischen Kauknochen!
»Hier, Herkules, mein Geschenk f?r dich! Fr?hliche Weihnachten!« Toll! Noch nie im Leben habe ich ein Weihnachtsgeschenk bekommen! Ich bedanke mich, indem ich M?nnchen mache und gleichzeitig mit dem Schwanz wedele. Keine leichte ?bung, aber sie gelingt mir mit grosser Eleganz.
Alex trinkt sein Glas aus, stellt es ab und klopft auf den Wohnzimmertisch.
»Ich sach maclass="underline" Der Weihnachtsmann muss jetzt los zu seinem Weib! Also feiert noch sch?n und fr?hliche Weihnachten!«
»Gr?ss Nina!«, bittet ihn Carolin.
Als er gegangen ist, geben sich auch alle anderen ihre Geschenke. Luisas sind noch in dem grossen Sack, den Alex hereingeschleppt hat, ich helfe ihr, sie dort herauszuzerren. Besonders freut sie sich ?brigens ?ber das Geschenk, das ich mit Marc gekauft habe. Na gut, gekaufth?tte, wenn wir nicht aus dem Kaufhaus geflogen w?ren. Aber das war ja nicht meine Schuld. So gesehen ist es trotzdem auch mein Geschenk!