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»Hallo, Herkules! Ist das nicht klasse? Claudia und Daniel haben sich verabredet. Ich glaube, die m?gen sich.«

»Ja, aber ich dachte, er w?rde noch auf eine andere Frau warten.«

»Wie kommst du denn darauf?«

»Er sagte, wir seien mit zwei attraktiven Frauen verabredet. Momentan sehe ich nur eine.«

»Charmant bist du ja nicht gerade.«

»Charmant? Wie meinst du das?«

»Weisst du nicht, was Charme ist?«

»Nicht so richtig.« Eigentlich gar nicht, aber das will ich nicht zugeben.

»Jemand, der charmant ist, hat eine ganz tolle Ausstrahlung. Er schafft es, Eigenschaften seiner Mitmenschen besonders freundlich hervorzuheben, selbst wenn die auf den ersten Blick gar nicht so toll sind.«

»Aha. Er l?gt also.«

Cherie schnauft.

»Nein. Er ist charmant. Er sorgt f?r ein bisschen Freude im Leben anderer Menschen. Mit L?gen hat das nichts zu tun.«

»Versteh ich nicht. Und noch weniger verstehe ich, was Charme damit zu tun hat, dass Daniel auf zwei tolle Frauen wartet.«

»Na, ist doch wohl klar: Mit den zwei attraktiven Frauen meinte Daniel Claudia undmich.«

»Echt? Kann ich mir gar nicht vorstellen. Du bist doch nur ein Hund.«

»Wuff!« Cherie klingt emp?rt.

»?h, ich meine, inDaniels Augen bist du doch nur ein Hund.« Mist, ich habe das Gef?hl, mich hier gerade um Kopf und Halsband zu reden.

»Tja. Auf alle F?lle ist Daniel deutlich charmanter als du. Besser kann ich dir das auch nicht erkl?ren. Aber vielleicht fragst du einfach mal den fetten Kater. Der weiss doch sowieso immer alles besser.« Cherie klingt eingeschnappt.

»Tut mir leid, das war jetzt doof von mir. Aber du weisst doch, dass ich dich total sch?n finde. Du bist f?r mich die sch?nste H?ndin der Welt. Ich bin so gl?cklich, dass du wieder da bist, ehrlich!«

Cherie guckt mich an, als w?rde sie etwas ?berlegen. Dann

schnellt ihr Kopf vor, und sie schleckt mir einmal ?ber die Schnauze. Wahnsinn – ich habe das Gef?hl, dass mich gerade ein gewaltiger Blitz getroffen hat.

»Danke, Herkules, das ist lieb von dir! Ich habe dich auch vermisst. Vielleicht bin ich momentan einfach etwas empfindlich. Claudia sagt immer, das seien die Hormone. Ist eben ein besonderer Zustand.«

Hormone. HORMONE? Eine sehr, sehr ungute Ahnung beschleicht mich. Ich mustere Cherie.

»Wie meinst du denn das?«

Cherie r?ckt ganz nah an mich heran, ihre Stimme ist nur noch ein leises Fl?stern.

»Ich bin tr?chtig. Ich werde endlich, endlich Mutter! Ist das nicht sch?n?«

ZEHN

Wieso ist das Leben so ungerecht? Warum bin ich kein preisgekr?nter Golden-Retriever-R?de und h?re auf einen klangvollen Namen? Warum biegen sich zu Hause nicht die Regale unter der Last der Pokale, die ich dann schon als Bundessieger, internationaler Champion und Gott weiss noch was alles gewonnen h?tte? Wieso bin ich nur ein kleiner, kurzbeiniger Rauhaardackelmix, den kein Z?chter jemals als Vater der Kinder einer so tollen H?ndin wie Cherie in Erw?gung ziehen w?rde? Warum? WARUM?! Warum bin ich getauft auf Carl-Leopold von Eschersbach und sehe doch keinen Deut imposanter aus als Herkules Neumann? Kurz: Wieso bin ich nur ich und nicht Alec of Greensbury Hills?

»Papa, ich glaube, Herkules ist krank. Kannst du ihn dir mal angucken?«

Luisa ist schon aus der Schule zur?ck und hat mich runter in die Praxis von Marc getragen. Das Kind ist einfach ungeheuer zartf?hlend. Sie hat gleich gemerkt, dass mein Leben ein absolutes Jammertal ist. Gut, vielleicht hat auch geholfen, dass ich seit ungef?hr einer Stunde in eine Art Dauerheulton verfallen bin.

»Wie kommst du denn darauf, dass Herkules krank sein k?nnte?«, will Marc wissen, als er mich aus ihren Armen nimmt und vorsichtig auf seinen Untersuchungstisch stellt.

»Er jault schon, seit ich aus der Schule bin. Und fressen will er auch nichts. Nicht mal die gute Kalbsleberwurst.«

»Verstehe. Der Fall ist also ernst.«

»Sehr ernst!«

Luisa ist einfach meine beste Freundin in dieser?beraus tristen Welt. W?hrend der fette Kater sich wahrscheinlich nur an meinem Ungl?ck weiden w?rde, versucht sie sofort, mir zu helfen. Das ist wundervoll – auch wenn dieser Versuch in einer tier?rztlichen Untersuchung m?ndet.

Marc streicht mit einer Hand?ber meinen R?cken, guckt in meine Ohren und tastet meine Beine ab. Dazu legt er den Kopf schief und murmelthm, hm oderso, so. Schliesslich ?ffnet er meine Schnauze und schaut in mein Maul. Okay, wenn er von da aus bis zu meinem Herzen sehen kann, ist das eine schlaue Idee. Denn das ist mit Sicherheit gebrochen und bietet einen j?mmerlichen Anblick. Als Marc meine Schnauze wieder losl?sst, jaule ich ein bisschen.

»Oh, das klingt in der Tat nicht gut!«

»Konntest du denn irgendetwas finden, Papa?«

»Ich w?rde sagen, Herkules bedr?ckt etwas. Man k?nnte meinen, sein Herz tut weh.« Wuff, jetzt bin ich platt! Ist Marc am Ende doch der Meister aller Hundeversteher? »Hast du eine Idee, was das sein k?nnte?«

»Vielleicht macht er sich Sorgen, weil das Baby bald kommt.«

Nein, falsch, Freunde! Marc war doch schon auf der richtigen Spur. Es geht um mein Herz!

»Glaubst du? Aber warum sollte er sich denn deswegen Sorgen machen?«

»Vielleicht hat er Angst, dass sich dann niemand mehr um ihn k?mmert, weil alle nur noch mit dem Baby besch?ftigt sind.« Also – wie kommt das Kind bloss auf solche Sachen? Klar mache ich mir ?ber das Baby ab und zu Gedanken, aber deswegen liege ich doch nicht im K?rbchen und heule!

»Hm. Hat dir Herkules so etwas erz?hlt?«

Luisa kichert.»Nein, Papa. Herkules kann doch gar nicht sprechen. Jedenfalls nicht richtig. Aber es kam mir irgendwie so vor, als w?rde er so etwas denken.«

Jetzt schaut Marc Luisa ganz nachdenklich an.

»Glaubst du das, weil du dir selbst deswegen Sorgen machst?«

Erst sagt Luisa nichts, dann nickt sie langsam.

»Ein bisschen schon. Ich meine, ich freu mich ganz doll auf das Baby, und ich habe mir immer ein Br?derchen oder ein Schwesterchen gew?nscht – aber manchmal, da denke ich, dass du dann nicht mehr so viel mit mir machen kannst, wenn wir ein Baby haben.«

Marc legt seinen Arm um Luisa und zieht sie ganz nah an sich heran.

»Luisa, du bist doch mein kleines M?dchen. Und das wirst du auch immer bleiben. Mach dir bitte keine Sorgen – es wird sich nichts ?ndern, das verspreche ich! Grosses Indianerehrenwort!«

Er hebt eine Hand hoch und reckt drei Finger in die Luft. Lustig – was soll das denn wohl bedeuten?

Luisa scheint es zu wissen, denn jetzt strahlt sie von einem Ohr zum anderen.

»Hugh! Ehrenwort angenommen!«

Aha. Na, ein kleiner Dackel muss schliesslich nicht alles verstehen.

»Ausserdem hat Mama gesagt, dass ich jederzeit zu ihr kommen kann, wenn ihr euch nicht mehr richtig um mich k?mmert.«

Marc geht einen Schritt zur?ck und guckt Luisa sehr ernst an.

»Bitte, was hat deine Mutter gesagt?«

»Am Wochenende habe ich sie gefragt, wie ich eigentlich als Baby ausgesehen habe. Wir haben uns zusammen mein Babyalbum angeguckt. Na, und dabei hat Mama erz?hlt, wie viel Arbeit so ein Baby macht. Und dass es sein k?nnte, dass du f?r mich bald keine Zeit mehr hast.«

Dazu sagt Marc erst einmal nichts. Stattdessen presst er seine Handfl?chen so fest aufeinander, dass die Adern darauf deutlich hervortreten. Dann atmet er tief durch und setzt mich wieder auf den Boden.

»Glaube mir, Luisa, das wird nicht passieren. Damit kannst du auch deinen Freund Herkules beruhigen, wenn ihr euch mal wieder ?ber das Thema unterhaltet. Ich bin n?mlich ein ganz hervorragender K?mmerer.«

Wirklich sch?n zu wissen. Tr?stet mich aber gerade ?berhaupt nicht. Schliesslich will ich nicht, dass Marc sich um mich k?mmert. Sondern Cherie. Ach, Cherie …

»Mein Gott, Herkules! Jetzt versuch doch bitte mal, die ganze Geschichte etwas sachlicher zu betrachten.«

Okay, im Rahmen seiner M?glichkeiten gibt sich Beck tats?chlich alle M?he, mich zu tr?sten. Aber so wird das nichts. Denn das Letzte, was ich h?ren will, sind gute sachliche Argumente. Schliesslich tut mir das Herz weh, nicht der Kopf. Das hat Marc schon ganz richtig erkannt.