»Und du bist dir da ganz sicher?« Herr Beck ist fassungslos.
»Ja, leider. Im wahrsten Sinne des Wortes: todsicher.«
»Aber, aber – das ist ja schrecklich! So eine junge Frau! Was ist denn das bloss f?r eine f?rchterliche Krankheit?«
»Das hat sie nicht so genau gesagt. Aber sie hat nicht mehr viel Zeit. Weihnachten wollen sie es Luisa sagen.«
»O nein. Das arme Kind.«
»Ach, Beck, ich bin so ungl?cklich.« Ich beginne zu jaulen. Beck macht ein Ger?usch, das dem menschlichenhm, hm sehr nahekommt.
»Aber vielleicht ist es auch blinder Alarm, und du hast die beiden einfach falsch verstanden. Vielleicht wollen sie Luisa an Weihnachten etwas ganz anderes sagen. Weisst du, Menschen sind Meister der Doppeldeutigkeit, das ist als Haustier nicht immer leicht zu verstehen.«
Typisch Beck. Nie nimmt er mich ernst. Ein toller Freund. Ich jaule noch ein bisschen lauter.
Beck seufzt.
»Okay. Nehmen wir mal an, du h?ttest Recht. Dann musst du dich ein bisschen ablenken. Sonst wirst du noch schwerm?tig. Und mit einem schwerm?tigen Dackel ist auch niemandem gedient. Am wenigsten Carolin.«
»Ich bin bereits schwerm?tig. Mein Frauchen wird sterben, wie k?nnte ich da gut gelaunt sein?«
Beck seufzt.
»Noch maclass="underline" Vielleicht hast du sie einfach falsch verstanden. Leider k?nnen wir sie das nicht einfach fragen. Bis wir Gewissheit haben, bist du gut beraten, nicht die ganze Zeit ?ber den Tod nachzudenken. Zu viel denken ist f?r Haustiere insgesamt nicht gut. F?r Menschen eigentlich auch nicht, aber die sind f?r sich selbst verantwortlich. Also, lass uns ?ber etwas anderes reden.«
Dieser fette Kater ist so verdammt herzlos! Wor?ber soll ich denn jetzt mit ihm reden?
»Mir f?llt nichts ein, wor?ber ich mich im Moment mit dir unterhalten m?chte.«
»Wie w?re es denn zum Beispiel mit dem Thema Weihnachten?«
»O nein! An Weihnachten wollen sie es doch Luisa sagen. Und dann wird das arme Kind erfahren, dass …«
»Herkules!«, unterbricht mich Beck r?de. »Keine Gespr?che ?ber den Tod!«
Na gut, dann eben nicht. Wir schweigen uns an.
»Wann ist eigentlich Weihnachten?«, will ich schliesslich von Beck wissen.
»Na, so wie jedes Jahr.«
»Das ist mir klar, ich habe es nun schliesslich auch schon zweimal mitgemacht – aber trotzdem habe ich es mit der menschlichen Zeiteinteilung nicht so. Also – ist Weihnachten eher morgen, oder dauert es noch ein bisschen?«
Beck bewegt den Kopf bed?chtig hin und her. Offenbar weiss er es auch nicht so genau.
»Lass mal ?berlegen. Auf Ninas Wohnzimmertisch steht so ein rundes Teil mit Kerzen drauf. Vier St?ck. Und soweit ich weiss, m?ssen alle brennen, damit Weihnachten ist.«
»Aha. Aber die brennen doch, weil die Menschen sie anz?nden. Dann k?nnte ja jeder selbst bestimmen, wann das ist. Einfach alle Kerzen angez?ndet, fertig.«
Herr Beck zieht seine buschigen Augenbrauen hoch und schaut mich tadelnd an.
»Nein, so geht das nat?rlich nicht. Diese Kerzen kann man nicht einfach so anz?nden.«
»Kann man nicht? Brennen die dann nicht?«
»Quatsch, das meine ich nicht. Ich meine, sie werden nach einem bestimmten … na … wie nenne ich es? Genau – sie werden nach einem bestimmten Ritus angez?ndet. Erst eine,
dann zwei … und so weiter. Bis sie schliesslich alle brennen. Dazwischen m?ssen aber immer ein paar Tage liegen.«
»Welchen Sinn soll das denn haben?«
»Herkules, manchmal stellst du Fragen wie ein Maik?tzchen. Als ob bei den Menschen immer alles einen Sinn h?tte.«
Nee, nee, mein Lieber – so einfach kommst du mir nicht davon. Wer den Spezialisten gibt, muss auch mit kritischen Nachfragen rechnen.
»Ich sage ja gar nicht, dass bei den Menschen immeralles einen Sinn haben muss. Aber wenn sie es so kompliziert machen, haben sie sich doch in der Regel schon etwas dabei gedacht«, halte ich dagegen. Herr Beck macht ein Ger?usch, das wiePFFF klingt und wahrscheinlich Missbilligung ausdr?cken soll, aber an den Bewegungen seiner Schwanzspitze kann ich erkennen, dass er tats?chlich ?ber meinen Einwurf nachdenkt.
»Okay, wenn ich mich richtig erinnere, hat das irgendetwas mit Abwarten zu tun.«
»Abwarten?«
»Ja. Die Menschen warten auf irgendetwas oder irgendjemanden. Und damit die Zeit schneller vergeht, z?nden sie nach jeder Woche, die sie erfolgreich hinter sich gebracht haben, eine neue Kerze an.«
»Aber auf wen oder was warten sie denn? Das muss ja etwas ganz Besonderes sein, wenn daf?r so ein Brimborium veranstaltet wird. Ich meine – Carolin wartet auch h?ufiger mal auf einen Kunden, der sich versp?tet. Oder auf Marc, dem ein Notfall dazwischengeplatzt ist. Meines Wissens hat sie deswegen aber noch nie eine Kerze angez?ndet.«
Jetzt guckt Herr Beck wirklich sehr nachdenklich.
»Du hast Recht. So habe ich es noch nie betrachtet. Ich sch?tze mal, sie warten auf den Weihnachtsmann.«
»Den Weihnachtsmann? Aber den gibt es doch momentan an jeder Ecke. Auf den muss man nicht warten, man kann ihm zurzeit eigentlich kaum entgehen. Erst heute Morgen hat mir Luisa einen kleinen Schokoweihnachtsmann zugesteckt. Sehr lecker! Und ein grosser, dicker Weihnachtsmann sitzt jetzt auch vor dem riesigen Haus, in dem man von der Fleischwurst bis zur Unterhose alles besorgen kann. Vor ein paar Tagen war ich mit Carolin dort, es war unglaublich voll, und gleich am Eingang war dieser Weihnachtsmann und br?llteho ho ho und bimmelte ununterbrochen mit einer sehr lauten Klingel. Also, f?r den w?rde ich garantiert keine Kerze anz?nden. Ich w?re eher froh, wenn dernicht kommt.«
Beck seufzt.
»Herkules, mein Freund. Das war mit Sicherheit nicht der echte Weihnachtsmann.«
»War er nicht? Er sah aber so aus. Genau wie so ein Schokoladenkerl, nur in echt.«
»Nein. Der echte Weihnachtsmann kommt nur an Weihnachten und bringt die Geschenke.«
»Ach? Die Geschenke sind vom Weihnachtsmann? Bist du sicher?«
»Ganz sicher. Er kommt und verteilt sie an die Kinder. Ich habe ihn schon selbst dabei gesehen.«
»Wo denn? Nina hat doch gar keine Kinder. Weder eigene noch geliehene. Und ihr Freund Alex hat auch keine.«
Herr Beck lebt n?mlich bei Nina, Carolins bester Freundin, und das praktischerweise in der Wohnung ?ber Carolins Werkstatt. Insofern kenne ich Nina sehr gut und weiss aus eigener Anschauung, dass sie eine echte Kinderallergie hat. Die Vorstellung, dass Nina eine f?r Menschen so wichtige Veranstaltung wie Weihnachten wom?glich freiwillig mit
fremden Kindern verbringen k?nnte, ist geradezu ausgeschlossen. Der Kater gibt also nur an, sonnenklar.
»Doch nicht bei Nina. Ich habe ihn bei Frau Wiese gesehen.« Frau Wiese war Becks altes Frauchen. Die hatte allerdings auch keine Kinder. Ich hole tief Luft, Beck macht eine hektische Bewegung mit seiner Tatze.
»Stopp, stopp – ich weiss, was du sagen willst: Ja, Frau Wiese hatte auch keine Kinder. ABER sie hatte ja diesen nichtsnutzigen Neffen. Der wiederum bekanntermassen drei ungezogene Kinder hat.«
Stimmt. Ich erinnere mich. Herr Beck war einmal ein paar Tage bei Wiese junior untergebracht und kehrte danach mit Geschichten heim, die denen vom alten Eschersbach?ber etwas, was erKrieg nannte, in nichts nachstanden. Herr Beck blickt nur bei dem Gedanken an diese Familie ausgesprochen finster drein.
»Und diese ganze grausame Sippe war auch an Weihnachten einmal zu Besuch. Du kannst dir ja gar nicht vorstellen, wie schlimm –«
»Beck«, unterbreche ich ihn, »was war denn nun mit dem Weihnachtsmann?«
»?h, richtig. Der Weihnachtsmann. Na, der kam mit einem grossen Sack voller Geschenke f?r diese furchtbaren G?ren. Die Kinder sangen ein Lied, der Weihnachtsmann guckte sehr streng und las vor, wann die Kinder im letzten Jahr unartig waren. Das hat nat?rlich ziemlich lange gedauert, und als der Weihnachtsmann dann auch noch mit der Rute gewedelt hat, fing das kleinste Kind an zu weinen, und die anderen beiden versteckten sich hinter dem Sofa. Da hat sich der Weihnachtsmann beeilt, doch noch etwas Nettes zu sagen und Geschenke zu verteilen. Die Kinder haben dann gelobt, in Zukunft immer brav zu sein. Aber als der Weihnachtsmann